Künstler*innennachlässe sind oft eine wichtige Anlaufstelle bei der Planung von Ausstellungen. Ein Gespräch mit Hadwig Goez, Leiterin des Archiv Baumeister, über den künstlerischen und schriftlichen Nachlass von Willi Baumeister, dessen Werke in der Ausstellung KUNST FÜR KEINEN. 1933-1945 zu sehen sind.
Hadwig, vielleicht erklärst du zunächst einmal, was das Archiv Baumeister überhaupt ist.
Das Archiv Baumeister ist eine Forschungseinrichtung, in der der künstlerische und schriftliche Nachlass von Willi Baumeister verwahrt wird. Baumeister ist 1955 in Stuttgart verstorben. Sein Nachlass war dann erstmal privat bei der Familie untergebracht. Seit 2005 befindet sich das Archiv im Kunstmuseum Stuttgart. Aber schon vor 2005 war es insbesondere für Forschende möglich, mit den Beständen des Nachlasses zu arbeiten.
Was befindet sich denn ganz konkret im Archiv Baumeister?
Das künstlerische Nachlass umfasst Originalwerke von Willi Baumeister, die wir hier im Archiv verwahren. Das heißt, der Archivraum, in dem wir arbeiten, ist gleichzeitig auch der Depotraum für die Arbeiten auf Papier. Dazu gehören neben Zeichnungen auch das druckgrafische Werk, das Serigrafien, Lithografien und Radierungen umfasst. Hinzu kommen Gestaltungen für Bühnenbilder und typografische Entwürfe. Aber auch Baumeisters Skizzenbücher befinden sich im Archiv. Ein kleiner aber überraschender Bestand umfasst Baumeisters textile Gestaltungen, die er in den 1940er und 1950er Jahren für die Firma Pausa angefertigt hat. Wir haben hier eine kleine Auswahl von Halstüchern und Dekorationsstoffen, die Baumeister gestaltet hat.
Der schriftliche Nachlass umfasst neben seiner Korrespondenz vor allem Presseartikel, Zeitungen und Zeitschriften, aber auch Bücher und Ausstellungskataloge, in denen Baumeister erwähnt wird. Außerdem haben wir im Archiv Kopien seiner Tagebücher. Neben den schriftlichen Archivalien befindet sich hier auch ein kleiner Bestand von originalen Tonaufnahmen. Das sind vor allem Radio-Interviews. Neben diesen Originalaufnahmen von Baumeister gibt es noch eine Reihe von Video-Interviews, die Baumeisters Tochter Felicitas gemeinsam mit Jochen Cannobi in den 1980er Jahren mit Zeitgenoss*innen geführt hat. Darunter sind u. a. Gespräche mit Alfred Gunzenhauser oder auch Marta Hoepffner.
Was sind ganz konkret deine Aufgaben als Archivleiterin?
Eine meiner wichtigsten Aufgaben ist es zunächst einmal, den Überblick über sämtliche Projekte zu bewahren. Wir bekommen ja einige Leihanfragen für Objekte oder Archivalien, die dann auf verschiedenen Ausstellungen gezeigt werden. Ein nicht unwesentlicher Teil meiner Arbeit ist dabei auch die Kommunikation mit den Kolleg*innen aus dem Kunstmuseum Stuttgart. Ich kuratiere auch selbst immer wieder Ausstellungen für das Museum aus den Beständen des Archivs.
Dann haben wir natürlich Forschungsprojekte, die wir betreuen. Zu uns kommen viele Wissenschaftler*innen, die das Archiv ganz gezielt mit einem bestimmten Anliegen oder Thema aufsuchen. Das kläre ich dann im Vorfeld mit ihnen ab und schaue, dass sie möglichst unkompliziert und zügig an ihr Material kommen. Und wenn ich kann, gebe ich ihnen Hinweise, wo sie noch mehr Informationen zu ihrem Thema finden können. Zweimal im Jahr haben wir außerdem den Expert*innen-Tag, auf dem wir Werke, die bisher nicht im Werkkatalog verzeichnet sind, begutachten. Diese Anfragen kommen oft über Auktionshäuser oder Privatpersonen. Eine mehrköpfige Gutachter*innenrunde beurteilt dann, ob es ein Original ist oder nicht. Im Regelfall lässt sich das gut zuordnen. Aber ab und zu bleibt die Urheberschaft offen und dann muss man das auch so stehen lassen.
Auch wenn es bei den vielen Beständen sicher schwerfällt: Hast du ein Lieblingsobjekt oder eine Lieblingsarchivalie?
Da gibt es natürlich eine ganze Menge. Besonders gerne habe ich die Postkarte, die Baumeister 1952 an die Staatliche Akademie der Bildenden Künste geschickt hat. Er war damals dort Professor und entschuldigt sich mit der Karte, dass er wegen Fußschmerzen nicht zu einer Sitzung kommen kann. Sehr schön ist auch eine Papierserviette, auf der sich die Skizze für ein Bühnenbild, dass Baumeister 1952 entworfen hat, erhalten hat. Er muss das Bühnenbild tatsächlich auf der Zugfahrt im Speisewagen kurz auf der Serviette skizziert haben. Ich finde es wirklich kurios, dass man so etwas aufbewahrt hat. Dass man sowas nicht einfach weggeworfen hat.
Zu euch ins Archiv kommen ja sehr viele Forscher*innen, teilweise ja auch von sehr weit her. Wer sind denn eure Besucher*innen und wie gestaltet sich die Zusammenarbeit?
Die Forscher*innen, die zu uns kommen, kommen zu einem großen Teil aus dem deutschsprachigen Raum. Wir haben aber auch zwei japanische Forscher*innen, die sich wirklich seit Jahren mit Baumeister und seinem Lehrer Adolf Hölzel beschäftigen. Das sind die, die von am weitesten her ins Archiv kommen – zumindest seit ich hier tätig bin. Manchmal ist bei so großen Entfernungen ein persönlicher Besuch aber gar nicht möglich. Wir versuchen dann trotzdem vieles möglich zu machen. Wenn wir Anfragen bekommen, geht das ja oft erstmal per Mail. Und wenn dann eine Anfrage aus Australien kommt und das Material nicht zu umfangreich ist, scannen wir die Briefe. Unter den Forscher*innen sind auch immer wieder Studierende, die für ihre Bachelor-, Master- oder Promotionsarbeiten forschen und uns kontaktieren. Und natürlich Kuratoren*innen, die für Ausstellungen und Texte recherchieren. Die allermeisten sind also Kunsthistoriker*innen.
Aber ihr arbeitet nicht nur mit Kunsthistoriker*innen zusammen, richtig?
Genau, mittlerweile arbeiten wir in einem Forschungsprojekt auch mit Restaurator*innen. Das Projekt ist eine Kooperation mit der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart und hat sich aus dem Ausstellungsprojekt KAMM, PASTELL UND BUTTERMILCH entwickelt. Im Rahmen dieses Projekts haben wir uns Baumeisters Maltechnik auf empirische Weise genähert. Daraus hat sich das neue Forschungsprojekt entwickelt, in dem nun die Werke selbst, die Materialien, die Bindemittel und Bildträger in der Werkstatt der Restaurierungsabteilung der Akademie genau untersucht werden. Das finde ich wirklich total spannend. Zu den Ergebnissen soll es dann 2025 auch eine Ausstellung im Kunstmuseum Stuttgart geben.
Wenn unsere Leser*innen jetzt total begeistert sind und das Archiv besuchen wollen – geht das? Kann jeder das Archiv benutzen?
Für Forschungsanliegen versuchen wir natürlich alles möglich zu machen. Bei reinem Privatinteresse wird es schwieriger. Das können wir personell gar nicht leisten. Aber für alle, die sich für das Archiv und die Arbeit im Archiv interessieren, bieten wir vierteljährlich eine Führung an. Die nennt sich Backstage und ist fester Bestandteil im Rahmenprogramm des Kunstmuseums Stuttgart. Während der Führungen bekommt man einen guten Einblick, was es alles im Archiv gibt. Wir öffnen dann natürlich auch die ein oder andere Schublade. Und wenn es gerade eine Ausstellung zu Willi Baumeister im Kunstmuseum Stuttgart gibt, wird die Führung dann thematisch auch darauf hin angelegt. Und natürlich kann man auch als Gruppe eine Archivführung buchen.