Wie lässt sich politische Identität durch Kunst darstellen? Diese Frage beschäftigte bereits die erste nationale Literatur- und Kunstbewegung im Sudan. Seither hat sich vieles verändert, doch der Wunsch, ein kollektives politisches Selbstverständnis über Kunst auszudrücken, lebt weiter – auch in den Werken von Amna Elhassan.
In postkolonialen Ländern ist die Beziehung zwischen Kunst und Politik oft ebenso komplex wie kontrovers: Einerseits hat Kunst die Macht, Bestehendes auf den Prüfstand zu stellen und den Erfahrungen und Sichtweisen marginalisierter Gemeinschaften eine Stimme zu geben. Das kann sie jedoch zur Zielscheibe von Zensur und Unterdrückung durch die Mächtigen machen. Andererseits ist die in diesen Ländern entstehende Kunst häufig vom fortdauernden Erbe des Kolonialismus geprägt und von der Notwendigkeit, neue Eigenbilder in der Nachfolge imperialer Beherrschung zu verhandeln. In diesem Artikel möchte ich die Verflechtung von Kunst und politischer Identität im Sudan am Werk Amna Elhassans beleuchten, das derzeit in der SCHIRN zu sehen ist.
Die von Muhammed Al-Makki Ibraheem, Al Nour Abubakar und Muhammed Abdel Hai gegründete Forest and Desert School war die erste nationale Literatur- und Kunstbewegung im Sudan. Sie befasste sich mit der kulturellen Eigenwahrnehmung der Region Nordsudan und des nordsudanesischen Individuums, wobei der Wald sinnbildhaft für das afrikanische Kulturmerkmal stand und die Wüste für seinen arabischen Gegenpart. Dieses Verständnis sudanesischer Identität als einer Vermischung afrikanisch-arabischer Kulturen speiste sich aus der Vorstellung verschiedenartiger, doch miteinander verbundener Landschaften und Ökosysteme.
Allerdings zog diese Betrachtungsweise Kritik auf sich, weil sie komplexe Identitäten in unzulässiger Weise vereinfache und die reiche, vielfältige Geschichte sowie die kulturellen Praktiken sowohl der afrikanischen als auch der arabischen Völker nur ungenügend berücksichtige. Ebenfalls hinterfragt wurde der Ansatz, eine einheitliche Selbstdarstellung aus der Zusammenschau von Landschaften und Ökosystemen heraus zu konstruieren, wobei man Gefahr laufe, die Differenziertheiten und den Vernetzungsgrad unterschiedlicher Biome und Territorien außer Acht zu lassen.
Für und Wider der Identitätsdarstellungen
Die Kunstkritiker Hassan Musa und Abdallab Bolla haben an der Forest and Desert School kritisiert, dass sie die sudanesische Gesellschaft auf ein binäres oder binationales Selbstverständnis reduziere und koloniale Stereotype aufrechterhalte. Im Jahr 1993 hat Musa im „Sudanese Writings Magazine“ die Ansicht vertreten, dass die Kulturschaffenden der Forest and Desert School „dem Einfluss der islamischen Geldwechsler den Weg bereitet und ihre demagogischen Argumente mit Bezugnahmen auf den Arabismus und Islam gerechtfertigt haben“ („Identity suspicions – von Hassan Musa in arabischer Sprache publizierte Artikelserie). Seinerseits plädiert er für eine Kunst, die bestehende Klassen- und Identitätskonflikte in der sudanesischen Gesellschaft aufzeigt und aktuelle Gegebenheiten infrage stellt, anstatt sie zu ignorieren oder in die Falle politischer Propaganda zu tappen.
Diese Debatten beherrschten die sudanesische Kulturszene bis in die 1980er-Jahre hinein. Unter der islamischen Regierung der 1990er-Jahre kämpften dann sudanesische Künstler*innen um die Freiheit, kreativ zu sein und sich auszudrücken. Zensur und Einschränkungen des künstlerischen Ausdrucks waren an der Tagesordnung, und wer es wagte, seine Meinung zu äußern oder ein regierungs- oder islamkritisches Werk zu schaffen, riskierte Zensur oder sogar Verhaftung. Trotz großer Risiken setzten Künstler*innen weiterhin ihre Kunst als Mittel des Widerstands und Protests gegen das repressive Regime ein. Nach dem Sturz der islamischen Militärregierung lebte die alte Debatte um Identität wieder auf, und die künstlerische Praxis sah sich mit neuen sudanesischen Metamorphosen konfrontiert.
Während der sudanesischen Revolution von 2018 machten sich Aktivist*innen daran, ein kollektives Selbstbild zu formen, um auf diese Weise den politischen Herausforderungen zu begegnen, denen sie sich gegenübersahen. Hierfür bedienten sich einige revolutionäre Künstler*innen und Dichter*innen der Methode der Forest and Desert School und reaktivierten Symbole aus der vorkolonialen Geschichte des Sudans. Doch gingen sie noch weiter in der Zeit zurück und wurden bei der Bildsprache und Ikonografie der antiken nubischen Zivilisation von Kusch fündig, die 3500 Jahre zurückreicht. Die Figur der Kandake, einer nubischen Regentin, wurde ausgewählt, die von Frauen angeführte Revolution zu repräsentieren. Künstler*innen wie Amna Elhassan haben hingegen neue Möglichkeiten gefunden, sudanesische Identität auszudrücken, ohne sich auf Sinnbilder der Vorgeschichte zu berufen.
Amna Elhassan ist eine sudanesische Künstlerin, die sich in ihren Werken mit den alltäglichen Schwierigkeiten und Problemen der Menschen, vor allem Frauen, beschäftigt. Trotz der Ernsthaftigkeit dieser Sujets zeichnen sich ihre Arbeiten durch leuchtende Farben aus und zeigen Frauen beim Ausüben von Alltagstätigkeiten wie dem Servieren von Tee, Waschen, Tanzen und Singen. Anhand solch scheinbar banaler Handlungen thematisiert Elhassan die Wandlungsprozesse, die Frauen im Sudan sowohl körperlich als auch geistig durchlaufen. Trotz der Freude und Festlichkeit, die die Werke ausstrahlen, sind sie zugleich geprägt von Schmerz, Verlust und Trauer und spiegeln die ständigen Nöte und Entbehrungen, die die Menschen im Sudan zu bewältigen haben. In ihrer Kunst feiert Elhassan nicht nur die Kraft der Frauen, sondern betont auch die Notwendigkeit kontinuierlichen Fortschritts und Wandels.
Kollektive Identität durch eine feministische Linse ausdrücken
In ihrer Kunst setzt sich Elhassan mit sozialen und politischen Fragen der sudanesischen Revolution ebenso wie mit der Suche nach einem nationalen Selbstverständnis auseinander, nähert sich ihnen aber durch eine einzigartige Linse. Anstatt eine herausragende prähistorische Identität in den Blick zu nehmen, widmet sie sich den Alltagsgeschichten sudanesischer Frauen. Hierzu gehört auch das Werk „The Tea Lady“, das die Mühsal heutiger sudanesischer Frauen im öffentlichen Raum betont. Die Teeverkäuferin ist ein alltäglicher Anblick in sudanesischen Städten, serviert heiße Getränke und schafft temporäre Treffpunkte, sieht sich aber auch Unterbeschäftigung und Diskriminierung durch das islamische Regime ausgesetzt. In Werken wie „Tea Lady“, „Outdoor“, „Microphone“ fügt Elhassan noch weitere Bildsymbole hinzu: Das Mikrofon steht für die „goona“, eine sudanesische Hochzeitssängerin, und verweist auf die marginalisierte Stellung der Frauen in der sozioökonomischen Sphäre. Mit diesen kraftvollen Symbolen würdigt Elhassan die Stärke und Widerstandsfähigkeit sudanesischer Frauen und macht zugleich auf die Leiden und Herausforderungen aufmerksam, denen sie sich in einer von Männern dominierten Gesellschaft stellen müssen.
Ihre Arbeit kann als künstlerischer Beitrag zu der aktuell im Sudan geführten Debatte um ein kollektives Selbstverständnis gelten. Über ihre öffentlichen Darstellungen der Figur der Frau setzt sich Elhassan mit feministischer Erkenntnistheorie auseinander und reflektiert das gegenwärtige sozialpolitische Klima im Land. Diese Perspektive bringt sie ebenfalls in Diskussionen innerhalb der sudanesischen Kunstströmungen ein. Auch wenn ihre Arbeit eine größere Nähe zur Klassen- und Identitätskritik Hassan Musas aufweist als zur Forest and Desert School, so beteiligt sie sich doch am Diskurs, indem sie private Geschichten in die größere Erzählung kollektiver Identität mit einbezieht. Jede dieser Geschichten ist bedeutsam für das sudanesische Ringen um eine gemeinsame Selbstwahrnehmung, und Amna Elhassans künstlerischer Ausdruck hilft dabei, die weibliche Sicht der revolutionären Generation beizusteuern.
AMNA ELHASSAN. DECONSTRUCTED BODIES – IN SEARCH OF HOME
4. November 2022 – 12. Februar 2023