Anlässlich der großen Paula Modersohn-Becker Ausstellung bringt die SCHIRN bedeutende Künstlerinnen auf die Kino-Leinwand, die mit den künstlerischen und gesellschaftlichen Konventionen ihrer Zeit brachen.
Das SCHIRN OPEN AIR KINO zeigt die verfilmten Künstlerinnenbiografien „Paula“ (2016) von Christian Schwochow, „Camille Claudel 1915“ (2013, fällt leider aus) von Bruno Dumont, „Séraphine“ (2008) von Martin Prouvost sowie das Historiendrama „Little Women“ (2019) von Greta Gerwig. Die Filme erzählen von dem unermüdlichen Drang und der Ausdauer als kunstschaffendes Individuum wahrgenommen und anerkannt zu werden.
Auf den ersten Blick scheinen wenige Gemeinsamkeiten zwischen den Künstlerinnen Paula Modersohn-Becker, Camille Claudel, Séraphine Louis und den fiktiven Charakteren der March-Schwestern aus dem Film „Little Women“, erkennbar zu sein. Allerdings zeigt ein zweiter Blick auf die Lebensgeschichten der Figuren, dass jede für sich auf unterschiedliche Art und Weise repräsentativ für die begrenzten Möglichkeiten der Frauen in jener Zeit, von Mitte des 19. bis Anfang des 20. Jahrhunderts, zu deuten ist.
Die wohl bekannteste deutsche Vertreterin der klassischen Moderne, Paula Modersohn-Becker, lebte zwischen der Künstlerkolonie im ländlichen Worpswede und dem avantgardistischen Paris. Dorthin zog es sie im Zeitraum von 1900-1906 insgesamt vier Mal und dort verbachte sie insgesamt zwei Jahre. In ihren Arbeiten spiegeln sich die verschiedenen Eindrücke dieser zwei unterschiedlichen Orte, die durch ihre großen Gegensätze damit auch ihre künstlerische Praxis entscheidend prägten. Im Jahr 1907 starb Modersohn-Becker mit nur 32 Jahren nach der Geburt ihrer Tochter.
Die französische Bildhauerin Camille Claudel arbeitete gemeinsam mit ihrem Liebhaber Auguste Rodin in seinem Atelier in Paris. Es schwebten Konflikte über der Beziehung, in denen es vornehmlich um die künstlerische Anerkennung Claudels ging. Nach dem die Beziehung zwischen den beiden endete, verwahrloste Claudel in ihrer Atelierwohnung, woraufhin sie von ihrer Familie in eine psychiatrische Heilanstalt in Montdevergue gebracht wurde. Dort verbrachte sie ihr restliches Leben. Claudes tragische Geschichte erzählt die Auswirkungen ihres ausgebliebenen Erfolges.
Die religiöse Malerin Séraphine Louis, eine Vertreterin der Naiven Kunst in Frankreich, erlitt ein ähnliches Schicksal. Zuerst arbeitete sie als Haushälterin und fand sehr eigenständig und ohne künstlerische Ausbildung ihren Weg zur Malerei. Sie arbeitete exzessiv im Verborgenen an ihren leuchtenden naturinspirierten Leinwänden. Durch einen Zufall wurde sie von dem deutschen Kunsthändler Wilhelm Uhde entdeckt, der unter anderem auch mit Werken von Henri Rousseau oder Picasso handelte. Louis war durch den plötzlichen Erfolg überwältigt und ging verschwenderisch mit dem neuen Geld um. Ebenso wie Camille Claudel endete Séraphines Leben auf tragische Weise in einer psychiatrischen Heilanstalt.
Aus kunsthistorischer Perspektive gibt es nahezu kaum Parallelen zwischen den Frauen. So lohnt es sich mehr, aus sozialgeschichtlicher Perspektive auf das Schicksal der Künstlerinnen zu blicken. Mit ihren Lebensentwürfen stellten die Künstlerinnen für ihre Zeit große Ausnahmen dar. Sie wollten von ihrer Kunst leben und forderten die gleiche Anerkennung wie ihre männlichen Kollegen. Diese Lebensentwürfe entsprachen zu dieser Zeit nicht den gesellschaftlichen Konventionen, da es für Frauen, wie in Paula Modersohn-Beckers Fall, eher üblich war, beispielsweise als Lehrerin zu arbeiten, anstatt in Paris zu leben und eine Künstlerinnenkarriere anzustreben.
Greta Gerwigs Verfilmung „Little Women“, der auf dem gleichnamigen Roman aus dem Jahr 1868/1869 von Louis May Alcott basiert, setzt sich mit ebendiesen Wünschen und Perspektiven auseinander. Die mutigen und selbstbewussten March-Schwestern konstruieren und dekonstruieren immer wieder Fragen nach emanzipatorischer Selbstbestimmung und individueller künstlerischer Freiheit. Ihre Träume werden stets durch äußerliche gesellschaftliche Konventionen in Frage gestellt, wie der Frage nach einer gutbürgerlichen Heirat und häuslichen Pflichten. Dennoch finden die Frauen ihre eigenen Wege zur Selbstbestimmung. Was den Künstlerinnen, Paula Modersohn-Becker, Camille Claudel und Séraphine Louis ein Leben lang verwehrt wurde, gesellschaftliche Anerkennung, Selbstbestimmung und künstlerischer Ruhm, erkämpfen sich die March-Schwestern in der Fiktion.
SCHIRN OPEN-AIR-KINO
15. – 18. September 2021, 20.30 UHR, Eintritt frei, bei Regen fällt die Veranstaltung aus