Anfang des 20. Jahrhunderts galt die bürgerliche Ehe als Idealbild. Paula Modersohn-Becker und Charlotte Berend-Corinth sind seltene Beispiele dafür, wie es Künstlerinnen trotzdem gelang, ihre Unabhängigkeit zu bewahren.
Anfang des 20. Jahrhunderts galt für Künstlerinnen zumeist das Credo der Eheschließung. Es lebten zwar durchaus auch Künstlerinnen alleine und somit jenseits der Normen, dann allerdings ohne gesellschaftliche Anerkennung. Denn das Konstrukt des Künstler-Seins, das als Gegenentwurf zum bürgerlichen Idealbild gesehen wurde, inkludierte nicht die verheiratete Künstlerin. So bestimmte das Geschlecht auch das Rollenverhältnis in den Künstler-Ehen.
Die Künstlerinnen übernahmen traditionell den „passiven“ häuslichen Part, nicht zuletzt, damit sie für den Ehemann keine Konkurrenz darstellten. Trotzdem lässt sich beobachten, dass Künstler vorzugsweise mit Künstlerinnen zusammen waren, damit sie in ihrem kreativen Genie „verstanden“ wurden. Umso interessanter ist ein Blick auf die zwei folgenden Künstlerpaare, Paula Modersohn-Becker und Otto Modersohn sowie Charlotte Berend-Corinth und Lovis Corinth. Beiden Künstlerinnen gelang es auf unterschiedliche Art und Weise, weiterhin künstlerisch tätig zu sein und ihre Unabhängigkeit innerhalb des ehelichen Konstrukts zu behalten.
Die Künstlerinnen behielten ihre Unabhängigkeit
Charlotte Berend-Corinth verfolgte schon seit ihrer Jugend das Ziel, eine angesehene Künstlerin zu werden. Als Schülerin von Lovis Corinth, strebte sie weder danach zu heiraten, noch Kinder zu bekommen – die künstlerische Arbeit war für sie das höchste Ziel. Doch beide näherten sich in seiner Malschule an und heirateten schließlich im Jahr 1903. Die Tatsache, dass sich Charlotte Berend und Lovis Corinth aus einem Lehrer-Schülerinnen Verhältnis kannten, führte wohl zu einem Machtgefälle, sodass die beiden nicht gemeinschaftlich arbeiteten. Vielmehr stand sie ihrem erfolgreichen Mann rund neunzig Mal für seine Ölgemälde Modell und unterstützte ihn bei seiner Arbeit sowie den Ausstellungsvorbereitungen.
So war es für Berend-Corinth nicht leicht, an der Seite von Corinth weiterhin als Künstlerin tätig zu sein. Der als sehr rücksichtslos geltende Lovis Corinth zeigte wenig Interesse an Berend-Corinths künstlerischer Tätigkeit und reglementierte sie oftmals, nicht dieselben Malfarben zu benutzen oder dieselben Motive zu malen. Dessen unbeirrt porträtierte Berend-Corinth schillernde Persönlichkeiten aus der Berliner Theaterwelt, wie den Operettenstar Fritzi Massary und ihren Partner Max Pallenberg. Weiterhin zählt das Werk „Die schwere Stunde“ 1908 zu ihrem großen Erfolg: Es stellte eine gebärende Frau dar und sorgte in der Öffentlichkeit für Furore.
Als Lovis Corinth im Jahr 1911 zum Vorsitzenden der Berliner Secession ernannt wurde, wurde seine Gattin als eines der wenigen weiblichen Mitglieder aufgenommen und später sogar als Jurymitglied berufen. Im Jahr 1917 stellte sie ihre Zeichnungen und Lithografien in der „Schwarz-Weiß-Ausstellung“ in der Berliner Secession aus und konnte sogar zahlreiche Werke verkaufen, während Corinth keine Werke verkaufte.
Nach dem Tod von Lovis Corinth kümmerte sich Charlotte Berend-Corinth intensiv um seinen Nachlass. Zudem eröffnete sie auch Malschulen, zunächst in Berlin und anschließend in den USA. Berend-Corinth starb 1967, im selben Jahr wurden ihre Werke erstmals in einer großen Ausstellung in der Berliner Nationalgalerie gezeigt.
Die künstlerische Arbeit hatte immer Priorität
Ebenso wie Charlotte Berend strebte die sehr ambitionierte und selbstbewusste Paula Becker danach, als Künstlerin erfolgreich zu werden. Sie lernte den elf Jahre älteren und etablierten Landschaftsmaler Otto Modersohn in der Worpsweder Künstlerkolonie kennen. Bevor sie im Jahr 1901 heirateten, pflegten beide ein freundschaftliches Verhältnis zueinander. Nach ihrer Heirat bedeutete die Eheschließung für Paula Modersohn-Becker keineswegs, dass sie ihre künstlerischen Ziele für die Hausarbeit aufgab. Ganz im Gegenteil, verfolgte sie doch ihre Ambitionen mit größtem Ehrgeiz weiter. Es war für Modersohn-Becker keine Option, ihre künstlerische Arbeit zu Gunsten Otto Modersohns Karriere aufzugeben.
Vielmehr unterstützte Modersohn sie darin, indem er eine Haushaltshilfe engagierte, sodass Paula Modersohn-Becker weiterhin täglich und mit straffem Tagesablauf in ihrem Worpsweder Atelier arbeiten konnte. Die Künstlerin und Otto Modersohn malten anfangs sogar oft gemeinsam in der Landschaft vor demselben Motiv. Trotz einiger Beziehungskonflikte und Kritik an ihren außergewöhnlichen Menschendarstellungen, schätzte Otto Modersohn die Arbeiten von Paula Modersohn-Becker sehr und unterstützte sie sogar bei ihren alleinigen Aufenthalten in Paris finanziell.
Ihre Umgebung nahm sie als Künstlergattin wahr
Aus heutiger Perspektive wirkt es widersprüchlich, aber aus ebendieser finanziellen Absicherung heraus konnte sich Paula Modersohn-Becker künstlerisch emanzipieren und zu ihren avantgardistischen Bilderfindungen gelangen, die von den Einflüssen der unterschiedlichen Orte Paris und Worpswede zeugen. Auf Verkäufe und Ausstellungen konnte sie allerdings – auch wegen ihrer Themen und ihres wenig gefälligen Stils – kaum hoffen. Ihre Umgebung nahm sie vor allem als Künstlergattin wahr.
Otto Modersohn setzte sich nach dem sehr frühen Tod von Paula Modersohn-Becker im Jahr 1907 unermüdlich für die öffentliche Wertschätzung von Paula Modersohn-Beckers Werken ein. Im Jahr 1927 eröffnete der Bremer Unternehmer Ludwig Roselius Paula Modersohn-Becker das erste einer Künstlerin gewidmete Museum in Bremen.
Modersohn begrüßte ihren emanzipatorischen Willen
Diese zwei Künstler-Beziehungen zeigen, wie sehr die Künstlerinnen in der damaligen Zeit von dem Wohlwollen ihrer Ehemänner abhängig waren. Dass Künstlerinnen in einer paritätischen Ehe lebten, war eine große Ausnahme. Obwohl Charlotte Berend-Corinths Arbeit von ihrem Gatten wenig gewürdigt wurden, fand sie ihre eigenen Strategien Erfolge zu verzeichnen und verstand sich immer ganz klar als Künstlerin. Es war ihr dabei aber stets bewusst, dass der Erfolg ihres Mannes nur dann zu Stande kommen konnte, wenn sie ihre eigenen Karrierebestrebungen zurücknahm. Für Paula Modersohn-Becker war ihre Freiheit trotz Ehe die Bedingung, zu heiraten, und Otto Modersohn begrüßte diesen emanzipatorischen Willen.