Paula Modersohn-Becker ist eine Ikone der Kunstgeschichte. Als sie mit nur 31 Jahren starb, hinterließ sie ein umfangreiches und teilweise rätselhaftes Werk. Wir haben uns fünf Motive genauer angeschaut.
Als Paula Modersohn-Becker im Jahr 1907 mit nur 31 Jahren starb, hinterließ sie ein umfangreiches Werk. Die 734 Gemälde und rund 1500 Arbeiten auf Papier zeigen eindrucksvoll ihr Können und ihre künstlerische Vielseitigkeit. Einige Personen und Gegenstände tauchen immer wieder in ihren Bildern auf, andere stechen aufgrund ihrer Besonderheit hervor. Wir haben uns fünf Motive genauer angeschaut!
Viva la Flora!
Die Fülle und Vielfalt an Rosen, Lilien, Ringelblumen oder Mohn in Paula Modersohn-Beckers Gemälden und Zeichnungen lässt nur einen Schluss zu: Sie liebte Blumen! Im Garten, im Haus, in der Natur und als Schmuck im Haar. Der „Mädchenakt mit Blumenvasen“ ist ein großartiges Beispiel: Die Künstlerin inszeniert das abgebildete Mädchen wie eine kindliche Göttin aus einer überzeitlichen Natur-Religion.
Mit einer blau-weiß-gemusterten Halskette und einem gelben Blumenkranz im Haar, sitzt das junge Mädchen inmitten von vier Blumenvasen, einer leeren Schale und einer einzelnen orangeroten Blume zu ihren Füßen. Nicht immer lassen sich die Gewächse zweifelsfrei identifizieren – hier jedoch handelt es sich mit Fingerhut, Glockenblumen und Calendula um bekannte Heilspflanzen. Paula Modersohn-Becker hatte durchaus einen Hang dazu, die Natur zu mystifizieren und hielt in ihrem Tagebuch folgenden Satz fest: „Gott sage ich und meine den Geist, der die Natur durchströmt“. Als Gleichnis für den ewigen Kreislauf und die Geheimnisse der Natur, werden die Pflanzen in ihren Bildern oft als Symbole des Lebens gedeutet.
Ein rätselhafter Topf
Paula Modersohn-Becker sammelte ungewöhnliche Gegenstände, von denen sie einige in ihren Stillleben gruppierte. Ein Objekt dürfte vor allem für Frankfurt*innen besonders interessant sein, da es doch eine große Ähnlichkeit mit dem Ebbelwoi-Bembel (= Krug für Apfelwein) aufweist: Der Ingwertopf. Neben Modersohn-Becker hielten auch Vincent van Gogh und Paul Cezanne das eigentümliche Gefäß in Stillleben fest. Doch was hat es damit auf sich? Ingwer ist als Pflanze in Europa schon seit der Antike bekannt und beliebt – als Gewürz und Heilmittel, oder als kandierte Süßigkeit. Eigentlich kommt Ingwer jedoch aus China. Als Anfang des 20. Jahrhunderts Porzellan, das lange Zeit nur in China gebrannt wurde, auch in Europa vermehrt gefertigt wurde, entstanden Gefäße wie der Ingwertopf. Die Porzellanproduktion war zunächst stark von Handarbeit geprägt. Dies betraf nicht nur die Herstellung des Gefäßes an sich, sondern auch dessen Dekorierung. Wie hier im Bild festgehalten, wurden die weißgrauen Töpfe kobaltblau verziert.
„…die zarten schlanken Jungfrauen“
Helle, hohe Birken säumen die Wege und prägen die Landschaft, die so typisch für die Gegend um Worpswede ist. Paula Modersohn-Becker schien eine besondere Faszination für die Birke zu hegen, denn sie hielt sie in mehr als 70 Gemälden fest. In engen Bildausschnitten und mit nur wenigen Strichen stellte sie die charakteristische, gefleckte Rinde des Baumes dar. „Weg mit Birken“ besticht vor allem durch das schmale Hochformat, das in Kombination mit dem Motiv an ein japanisches Rollbild erinnert. Dass Paula Modersohn-Becker erst drei Jahre später in Paris eine Ausstellung mit altjapanischer Malerei sah, unterstreicht ihr außergewöhnliches Gespür und ihre Bildsprache, die ihrer Zeit weit voraus war. Modersohn-Becker drückte ihre Birken-Faszination übrigens nicht nur malerisch aus, sie verglich sie auch mit „der modernen Frau“: „…die zarten schlanken Jungfrauen… mit jener schlappen träumerischen Grazie, als ob ihnen das Leben noch nicht aufgegangen sei. Sie sind so schmeichelnd, man muss sich ihnen hingeben, man kann nicht widerstehen.. Das sind meine modernen Frauen“.
Gold des Nordens
Paula Modersohn-Becker ist bekannt für ihre Portraits und Selbstportraits, in denen sie nach Einfachheit in Form und Farbe strebte. Meist sind die portraitierten Personen in schlichter Kleidung in gedeckten Farben dargestellt, doch so ganz wollte Modersohn-Becker dann doch nicht auf ein modisches I-Tüpfelchen verzichten: In vielen Bildern tragen die Frauen Halsketten und Schmuck im Haar. Eine Kette fällt besonders ins Auge: Eine schlichte, lange Bernsteinkette, die man später auch in ihrem persönlichen Nachlass fand. Bernstein kommt vor allem im Ostseeraum vor und enthält zum Teil Einschlüsse von Insekten oder Samen. Brennbar, schwimmend, duftend und elektrisch aufladbar, galt Bernstein lange als Wunder der Natur. In den Metamorphosen II von Ovid wird er als „Tränen der Sonnentöchter“, im Volksmund als „Gold des Nordens“ bezeichnet.
Im Fokus
Eigenartig groß und oft zu kräftig für die sonst schmalen Körper muten die Hände in vielen Werken der Künstlerin an. Auch im Gegensatz zu der schlichten Kleidung und eher zurückhaltenden Körperhaltung, stechen sie besonders hervor. Modersohn-Becker inszenierte die Geste der Hände, indem sie hier eine Blüte, dort eine Frucht ergänzte und so den Fokus auf diesen Bildausschnitt richtete. Junge Frauen und Mädchen, ob sitzend oder stehend, halten besonders häufig einen Gegenstand in ihren Händen. Die Beziehung, in der die Person und das Objekt zueinanderstehen, ist oft geheimnisvoll und rätselhaft. Einmal umfasst ein Mädchen mit gelbem Blütenkranz eine Blume mit beiden Händen – hat sie den Kranz selbst gebunden? Reicht sie die Blume jemand Außenstehendem als Geschenk? Mit den Leerstellen, die Paula Modersohn-Becker in ihren Werken lässt, gibt sie uns Betrachtenden den Raum, diese selbst zu füllen.