Wie können wir mit den Machtverhältnissen der Vergangenheit brechen und eine dekoloniale Zukunft schaffen? Ein Blick auf die Repräsentation von Indigenen Frauen im Film.

Die Repräsentationen von Frauen Indigener Kulturen verlieren sich allzu gerne in Stereotypen. Auf eine homogene Gruppe reduziert, werden Frauen Indigener Gemeinschaften verkitscht, verdinglicht oder marginalisiert. Hier eine Auswahl an Filmen aus Süd- und Nordamerika, die nicht nur die Vielfalt der zahlreichen heterogenen Kulturen, ihre Traditionen und Lebensweisen, aber auch die Rolle der Frauen in den Fokus rücken. Doch gelingt es den ausgewählten Filmbeispielen mit Stereotypen zu brechen oder bedienen sie diese nicht doch unbewusst? Vier Filme mit Indigenen Frauen in Schlüsselrollen als Tipp.

1. „How a People Live“, Lisa Jackson und Colleen Hemphill, 2013 (Kanada)

Zwangsmigration, Enteignung, das Verbot der eigenen Sprache und Ausübung ihrer Kultur sowie die Einweisung der Kinder in oftmals brutale Internate mit dem Ziel der Umerziehung gemäß der westlichen Kultur, nachdem diese von ihren Eltern entrissen wurden. Das erlebten die Menschen der First Nations, Kanadas Indigene Völker. Die Über­le­ben­den der Gwa’sala-‘Nakwaxda’xw First Nations beauftragten ihre Vertreterin Colleen Hemphill und Anishinaabe-Filmemacherin Lisa Jackson, ihre persön­li­che Geschichte, insbe­son­dere der älte­ren Frauen zu dokumentieren, welche 1964 ihr Terri­to­rium an den Smith und Seymour Islands sowie den Nach­bar­in­seln an der Küste British Colum­bias verlas­sen muss­ten.

Die Folgen dieses Traumas forderten zahlreiche Todesopfer. In einer Komposition aus Interviews mit den überlebenden Zeug*innen der Umsiedlung und selektiertem historischen Archivmaterial dokumentiert die Regisseurin Jackson die Reise der Gwa’sala-Nakwaxda’xw Familien von Grace, Vanessa, Christina und ihren Kindern, die in einer Bootsfahrt zu ihren Homelands zurückkehren und in den Interviews ihre Geschichte und das damit verbundene Trauma, den Verlust und die damit migrierten Folgen teilen. Die offenen persönlichen Erinnerungen an die eigene Indigene Lebensweise, die an den harten Konsequenzen kolonialer Vergangenheit brechen, sind unmittelbar bewegend. Beeindruckend sind gerade die überlebenden Frauen, die ihre Töchter und Enkelinnen durch die Wiederbegegnung mit ihren Traditionen dazu inspirieren, sich mit dem Ursprung ihres Volkes zu verbinden, mit ihren Traditionen, mit Tanz und Gesang, mit dem Wissen über Flora und Fauna. Aus dem Zusammenhalt schöpfen die Töchter, und auch ihre Kinder, ihre Identität, Stolz und Stärke der Gemeinschaft, um selbst heilen zu können.

How A People Live (Filmstill), Lisa Jackson (Dir.) © Gwa'sala and 'Nakwaxda'xw First Nations 2013
How A People Live (Filmstill), Lisa Jackson (Dir.) © Gwa'sala and 'Nakwaxda'xw First Nations 2013
How A People Live (Filmstill), Lisa Jackson (Dir.) © Gwa'sala and 'Nakwaxda'xw First Nations 2013
2. „Roma“, Alfonso Cuaron, 2018 (Mexiko)

Das Oskar gekrönte Drama „Roma“ ist ein frappantes Portrait der kolonialen Strukturen in der Gesellschaft Mexikos, die vom weißen Patriarchat dominiert, von sozialer Ungleichheit geprägt und von paramilitanten Gruppierungen zerrissen wird. Besonders deutlich wird das Fortleben des Kolonialismus in der Zwei-Klassen-Gesellschaft von Indigenen Gruppen und den Nachfahren der spanischen Kolonisatoren, was sich insbesondere im Dienstleistungssektor der Großstädte verdeutlicht. Hier wird die Protagonistin Cleo verortet, welche von der mixtekischen Schauspielerin Yalitza Aparicio gespielt wird. Cleo – eine Indigena – arbeitet im bürgerlichen Stadtteil Roma als Dienst- und Kindermädchen im Haus des Arztes Antonio, dessen Frau Sofia und deren drei Kinder. Cleos Alltag wird in Momentaufnahmen portraitiert, ob als Close-Up beim Säubern des Bodens von Hundeexkrementen, beim Wäschereinigen auf dem Dach des Hauses in bewegter Kamera Totale oder ihrer scheiternden Beziehung mit dem paramilitärischen Kämpfer Fermín.

Als die schwangere Cleo von Fermín verlassen wird, nimmt Sofias Leben ebenfalls eine tragische Wendung: auch Antonio beschließt seine Familie zu verlassen. An dieser Stelle öffnet der Film eine emotionale Parallele zwischen Cleo und Sofia und beginnt an dem Stereotyp der Indigenen und marginalisierten Haushälterin zu reiben. Beide Frauen rücken näher zusammen, Cleo wird in ihrer Schwangerschaft unterstützt und in den Familienurlaub eigeladen. In einer nahezu verklärt-romantisierten Darstellung versucht der Regisseur Alfonso Cuarón den Frauen in der mexikanischen Gesellschaft ein anmutiges Portrait zu widmen. Die Frage danach, ob dieses Portrait mit dem Klischee bricht oder es bedient, begleitet den Zuschauenden, da die von Nähe und Entfernungen charakterisierten Bildeinstellungen fast schon von der grausamen Diskriminierung Indigener Menschen ablenken. Dennoch bringt „Roma“ die Themen Diskriminierung, Enteignung und Marginalisierung in zeitlosen und gewaltigen Schwarz-Weiß-Bildern zusammen.

Alfonso Cuaron, Roma, 2018 (Filsmstill), Image via www2.bfi.org.uk

3. „Birds of Passage“, Cristina Gallego und Ciro Guerra, 2018 (Kolumbien)

Der Spielfilm des Regie-Paares Cristina Gallego und Ciro Guerra erzählt die Geschichte einer Wayúu Großfamilie im Norden Kolumbiens, die in den 1970er Jahren in den Drogenhandel einsteigt. Die von Carmiña Martínez, deren Großmutter mütterlicherseits eine Wayùu war, verkörperte Hauptfigur Ursula entscheidet in der matrilinearen Familientradition des Stammes der Wayúu, über Gesellschaft und soziales Umfeld ihrer Kinder und ihres Stammes. Ihre Forderung nach einer hohen Mitgift gegenüber Rapayet, der um die Hand ihrer Tochter Zaida angehalten hat, katalysiert Rapayets Eintritt in den illegalen Handel mit Marihuana.

Eine fatale Kettenreaktion wird ausgelöst, die in den brutalen Bruch des Paares mit der Lebensart der Wayúu mündet. Anders als Rapayet und Zaida, verfällt Ursula nicht der Gier nach Ehre und Reichtum, sondern bleibt ihren Traditionen treu. Im Gesang der Vögel liest sie die Gefahr des Geldes, das in die Familie eindringt und versucht ihre Familie vor dem anschleichenden Unglück zu warnen. In einem Mix aus beklemmendem Drogenmelodrama und romantischem Krimi verdichtet der Film mythologische Naturmetaphorik und berauschend-surreale Kompositionen mit Gesängen in Wayuunaiki – magischer Realismus als Bilderrausch. Eine kapitalismuskritische Parabel über Habgier, in der das unersättlichen Verlangen nach der eigenen Ehre wie ein Sandsturm über Kultur und Tradition hinwegfegt.

Birds of Passage (Filmstill) © 2018 Ciudad Lunar, Blond Indian, Mateo Contreras, Image via www.mfa-film.de

4. „Lupita“, Monica Wise, 2020 (Mexiko)

„Zapata lebt fort, und so auch der Kampf“ schreit die Menschentraube, die sich um Lupita versammelt hat. Die junge Frau ist eine Überlebende des Tsotsil Maya-Massakers in Acteal im Jahr 1997, in dem 45 Menschen einer Indigenen Gemeinde brutal ihr Leben verloren. Im Geiste des Anführers der mexikanischen Revolution, Emiliano Zapata, fordert Lupita mit ihrer gegründeten aktivistisch-feministischen Gruppe Las Abejas Autonomie der Indigenen Bevölkerung, ihre souveränen Rechte und das Recht auf das eigene Land.

Die Kurzdokumentation portraitiert Lupita auf ihrer Reise quer durch das Land bei ihrer Arbeit als Aktivistin. Eindrucksvoll porträtiert die Dokumentation der kolumbianisch-US-amerikanischen Regisseurin Monica Wise, den Kampf Lupitas für ihre Menschenrechte, der sich aus der Trauer um den Verlust von Menschen und der Heimat schöpft, wodurch eine unabdingbar anmutige Furchtlosigkeit und Risikobereitschaft entsteht, mit der Lupita der Regierung und dem Militär die Stirn bietet und zur Sprecherin einer von Frauen geführten mexikanischen Indigenen Bewegung wird.

Monica Wise, Lupita, 2020 (Filmstill), Image via mubi.com

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