Welcome to the Westcoast! In den 1960er Jahren wurde L.A. als Kunstmetropole entdeckt. Hunderte Galerien eröffneten und eine neue Künstlergeneration machte der New Yorker Szene Konkurrenz.
Für zeitgenössische Kunst gab es in den 1950er und 1960er Jahren nur eine Stadt: New York. So lautet die alte Geschichte, die in Erinnerung an die großen Künstlerinnen und Künstler des abstrakten Expressionismus und der Pop Art schwelgend erzählt wird. Wenn uns die jüngere Kunstgeschichte aber eines gelehrt hat, dann, dass es für die Kunst nach dem Zweiten Weltkrieg nicht nur ein Epizentrum gab.
Als die großen New Yorker Zeitungen und Magazine, wie die New York Times oder die Vogue, in den 1960er Jahren Los Angeles als Kunststadt entdeckten und die dortige Galerienstraße La Cienega Boulevard als „West Coast Madison Avenue“ bezeichneten, hatte sich im Sunshine State längst eine eigene Szene etabliert, die die aufregendsten Impulse für die zeitgenössische amerikanische Kunst setzte. Die neue Generation von in L.A. ansässigen Künstlerinnen und Künstlern zeigte ein vielfältiges Programm, das von Junk Art, Assemblage bis zum Finish-Fetish und Light & Space reichte.
Vom sonnigen Klima angezogen, hat es nicht nur den Briten David Hockney nach L.A. verschlagen, der dort seine wohl bekannteste Werkserie rund um „A bigger splash“ malte, in deren Mittelpunkt das Symbol des „easy livings“ schlechthin – die Swimmingpools von Los Angeles – stand. Auch Künstler wie Bruce Nauman oder James Turrell ließen sich vom wolkenlosen Himmel und den Farben des Pazifiks inspirieren.
Mit der steigenden Zahl von in L.A. wohnhaften Künstlern stieg auch die Nachfrage nach geeigneten Räumen für die neue Kunst. Zwar florierte die Film-, Luft- und Raumfahrtindustrie, doch ein umfangreiches kulturelles Rückgrat für zeitgenössische Kunst fehlte. Als Reaktion auf diese institutionelle Wüste kam es in kürzester Zeit vor allem in Venice Beach und in West Hollywood zu einem regelrechten Galerienboom: Mehr als 100 Galerien öffneten auf einer Fläche von wenigen Quadratkilometern ihre Türen.
Auf kleinster Fläche eröffneten plötzlich mehr als 100 Galerien
Auf dem Höhepunkt dieses Aufschwungs gründeten der Kurator Walter Hopps und der Künstler Edward Kienholz 1957 auf dem 736A La Cienega Boulevard die Ferus Gallery, in der sie Werke von Robert Irwin, Craig Kauffman oder Ed Ruscha zeigten. Ursprünglich als Ausstellungsraum für lokale Künstler konzipiert, vollzog sich mit der Übernahme der Galerie durch Irving Blum auch ein programmatischer Wechsel. Blum war als versierter New Yorker Geschäftsmann bekannt, der sich, bestens vernetzt, als Kunstberater der Möbelfirma Knoll einen Namen gemacht hatte. Es dauerte nicht lange, bis die Ferus Gallery ihren ehemals kooperativen Charakter verlor und sich zu einem erfolgreichen Betrieb entwickelte.
Blum erkannte das Potential und verstand es, mit geschicktem Marketing Werke von etablierten Künstlern wie Andy Warhol oder Roy Lichtenstein an die Westküste zu holen. Mit den beiden Gründern der Ferus Gallery formte sich in Pasadena, einem Vorort von L.A., eine weitere Szene, die von nordkalifornischen Künstlern befeuert wurde und mit den kuratorischen Coups Walter Hopps‘ – Ausstellungen, die Kurt Schwitters, Joseph Cornell und Marcel Duchamp zeigten – am Pasadena Art Museum verankert wurde.
1969 kam auch der in Sacramento geborene Richard Jackson nach Pasadena, nachdem ihn sein langjähriger Freund Edward Kienholz ein Jahr zuvor nach L.A. geholt hatte: Die beiden verband vor allem der offene, kompromisslose und demokratische Zugang zur Kunst. Jackson bezog ein Haus am Orange Grove Boulevard, das Walter Hopps gehörte, und das er fast drei Jahrzehnte mit seinem Zeitgenossen und Freund Bruce Nauman bewohnte. Man mag sich gerne vorstellen, wie die jungen Männer vor den Toren der Stadt künstlerisch mit verschiedenen Materialien experimentierten.
Mit der Ausstellung in der Eugenia Butler Gallery in L.A. im Jahr 1970 präsentierte er seine Werke erstmals in einem großen Rahmen. Die Schau war für Jackson nicht nur ein künstlerischer Durchbruch, sie verhalf ihm in den kommenden Jahren auch zu internationaler Anerkennung. Seinen Anspruch, das Malen interessanter zu machen, setzte er auch als Mentor einer neuen Generation von Künstlern durch. Als er ab 1989 gemeinsam mit Charles Ray und Paul McCarthy an der University of California (UCLA) lehrte, gab er seine von Freiheitsbestreben und Idealismus gekennzeichnete Arbeitsmoral an Studierende wie Julien Bismuth, Mike Bouchet, Jason Rhoades und Jennifer Pastor weiter.
Kunst wurde jedoch nicht nur an der UCLA gelehrt – im Großraum L.A. besteht bis heute die landesweit größte Dichte an Kunsthochschulen, an denen seit einem halben Jahrhundert die künstlerische Experimentierpraxis gepflegt wird. Im Arts District in Downtown weht noch immer der Spirit künstlerischer Freiheit, wenngleich sich seit den 1970er Jahren die Kunstwelt auch in L.A. institutionalisiert hat.
Ein gesunder Konkurrenzkampf belebt das Geschäft
1970 wurde das Museum of Contemporary Art (MOCA) gegründet und mit den Olympischen Spielen von 1984 wandelte sich auch die Außenwahrnehmung, was zu städtebaulichen Investitionen und dem Ausbau der kulturellen Infrastruktur führte. Das 1997 eröffnete Getty Center ist heute eine der wichtigsten kunstwissenschaftlichen Institutionen der Welt, das einen Vergleich mit den New Yorker Museen nicht scheuen muss. Ein gesunder Konkurrenzkampf belebt dem Sprichwort nach das Geschäft – so werden sich Los Angeles und New York auch zukünftig gerne mit oszillierender Ablehnung gegenüberstehen, wenn im Ergebnis weiterhin so großartige Kunst hervorgebracht wird.