In Greenwich Village war Lee Krasners erste Wohnung. Hier traf sich auch die New Yorker Kunstszene und sie besuchte Hans Hofmanns Kunstschule. Doch Krasners Erfahrungen waren nicht nur positiv.
Nachdem ich auf dem Dach der 213 West 14th Street Fotos gemacht habe, dem Gebäude, in dem Krasner zusammen mit dem Künstler Igor Pantuhoff in den 1930er-Jahren lebte, spaziere ich die Greenwich Avenue hinunter. Ich möchte Greenwich Village erkunden, wo die Künstlerin entscheidende Jahre verbracht hat.
Der Stadtteil rund um den Washington Square Park ist schon seit den 1920er-Jahren die Heimat der Avantgarde. Er bot den Hintergrund für so wichtige kulturelle, politische und künstlerische Phänomene wie die literarische Beat-Generation, die Stonewall-Proteste und die alternative Kunstszene New Yorks. In Greenwich Village verbrachte Lee Krasner wichtige Jahre als junge Künstlerin. Sie belegte dort Kurse an der School of Fine Arts von Hans Hofmann, traf sich mit Freunden wie Willem de Kooning und Arshile Gorky im Restaurant Jumble Shop, bezog ihr erstes eigenes Atelier und Apartment.
Meine erste Station in Greenwich Village ist das Gebäude, in das Hans Hofmann 1936 mit seiner School of Fine Arts einzog. Die Straße – typisch für die Wohngebiete des Viertels mit ihren Reihenhäusern, Treppenaufgängen und von Bäumen gesäumten Bürgersteigen – ist ruhig. Gelegentlich fahren Taxis vorbei, und ein paar Studenten sind auf dem Weg zur New York University, die seit 1835 ihren Campus rund um den Washington Square hat. Das wunderschöne vierstöckige Gebäude in der 52 West 9th Street wartet mit einigen ungewöhnlichen architektonischen Merkmalen auf, durch die es sich von seinen Nachbarn unterscheidet, etwa einer großer Doppeltür als Eingang (keine Treppe!), Panoramafenstern und einer großen Loggia in der obersten Etage.
Krasner besuchte ab 1937 für etwa drei Jahre die School of Fine Arts von Hofmann. Dank Lilian Olinsey, der damaligen Assistentin Hofmanns, erhielt sie sofort ein Stipendium. Diese Zeit erwies sich als prägend für sie, doch Krasners Erfahrungen an der Schule waren nicht nur positiv. Einerseits wurden ihr dort der Kubismus und die abstrakte Malerei vermittelt, andererseits war sie schockiert über Hofmanns Methode, direkt in die Arbeiten seiner Schüler einzugreifen, sie sogar zu zerstören, um seinen Erklärungen Nachdruck zu verleihen. Dafür machte er sie mit dem Werk von Piet Mondrian bekannt, wofür sie ihm sehr dankbar war.
Auf dem Weg zum 1 Sheridan Square komme ich am Stonewall Inn vorbei, dem historischen Ort, von dem die LGBT-Bewegung in den USA ihren Ausgang nahm. Die Atmosphäre in Greenwich Village ist eine besondere in New York, aufgeschlossen und authentisch, hier leben noch viele Einheimische. Allerdings mussten die Bohemiens den Stadtteil wegen der stetig steigenden Mieten inzwischen verlassen.
1938 eröffnete Barney Josephson das Café Society, einen Jazzclub zur Förderung afroamerikanischer Talente und einer der ersten gemischtrassigen Nachtclubs der USA. Hierher gingen Lee Krasner und Piet Mondrian gerne hin, um Jazzmusik zu hören und bis spät in die Nacht zu tanzen. Mondrian hatte London nach den deutschen Luftangriffen per Schiff verlassen und traf 1940 in New York ein. Er und Krasner lernten sich bei einem Empfang kennen, den die Künstlerorganisation American Abstract Artists (AAA) anlässlich seines Beitritts gab. Beide verstanden sich auf Anhieb. Er gab ihr das, wonach sie sich seit ihren Anfängen als Malerin gesehnt hatte: die Anerkennung ihres Talents.
Auf der 6th Avenue kehre ich zurück zur 8th Street, die parallel zum Washington Square Park verläuft. Mit Unmengen kleiner Cafés, Imbissen, UPS-Stationen und Läden für Studienbedarf hat sie sich an die Bedürfnisse der Studenten angepasst. Weiter in Richtung Osten erreiche ich die 5th Avenue, die Manhattan zweiteilt. Hier ist es deutlich weniger nobel und wirkt mehr wie ein Arbeiterviertel, mit Hochhäusern und eher kargen Gebäuden. Dann komme ich zur 46 East 8th Street, in der Jackson Pollock sein Atelier hatte, als Krasner ihn kennenlernte. Einige Jahre später zog sie zu ihm in den unscheinbaren Backsteinbau. Im Erdgeschoss befindet sich heute ein Reparaturservice für Telefone und Laptops. Nirgends ein Hinweis auf die Beziehung, die die Kunst revolutionieren sollte und hier ihren Anfang nahm.