Gefühle von Ekel und Furcht, Anziehung und Abstoßung. Mit ihren Körperbildern brechen Nathalie Djurberg und Hans Berg so manches Tabu.
„Unseren Körper können wir nicht verleugnen. So manifestieren wir uns in der Welt. Wenn ich etwas vermitteln will, zeige ich Körper,“ so Nathalie Djurberg über ihre und Hans Bergs Arbeit. Körper bevölkern ihre Stop-Motion-Videos, um sie herum und nicht selten buchstäblich aus ihnen heraus entfalten sich die Erzählungen: Frauen, Männer, Kinder, Tiere und Wesen irgendwo dazwischen. Oft sind Djurbergs Figuren stark überzeichnete Stereotypen, die uns Zuschreibungen, wie „race“, „class“ und „gender“, als auf Körper projizierte Konstrukte vorführen.
Geistliche mit listigen Augen und riesigen Nasen etwa, wie jene in „Greed“, einem Teil der bei der Venedig Biennale ausgezeichneten Installation „The Experiment“ (2009), die versuchen, eine nackte junge Frau mit übergroßen Brüsten und Schmollmund unter ihre Gewänder zu ziehen. Oder in „The Parade of Rituals and Stereotypes“ (2012): Alte weiße Männer mit grotesken Gesichtern begrapschen sexualisierte Frauenfiguren; Gaukler, Clowns und andere karnevaleske Figuren treten auf; Grausamkeit und Gewalt sprechen aus diesen Bildern.
Nathalie Djurberg formt ihre Figuren von Hand aus Knete, Plastilin, Haaren und anderen Materialien, modelliert sie in langen Sitzungen. Sie verwendet keine Skizzen oder Skripte für die Erzählungen, die sie per Animation entwickelt. Sie lässt sich ganz auf die unter ihren Händen entstehenden Körper ein, folgt ihrer Intuition und wühlt in den Tiefen des Unbewussten, das Denker, wie Sigmund Freud und später Jacques Lacan oder auch die Literaturtheoretikerin Julia Kristeva erkundeten. Kristevas Ideen zum Abjekten, einer Instanz außerhalb von Subjekt und Objekt, kommen einem beim Betrachten von Djurbergs Körperinszenierungen in den Sinn.
Wenn ich etwas vermitteln will, zeige ich Körper.
Abjekt ist für Kristeva, was uns am Körper ekelt: Eiter etwa, Blut, die Leiche. Diesen Ekel zu empfinden, macht die Grenze zwischen dem Ich und dem Anderen, dem, was uns abstößt, spürbar. Djurberg und Berg arbeiten damit ganz bewusst. In „The Parade of Rituals and Stereotypes“ sticht ein übergriffiger alter Mann der von ihm belästigten jungen Frau die Augen mit einer Gabel aus, Blut stürzt aus den Löchern. In „It’s the Mother“ (2008) kriechen drei nackte Kinder auf dem Bauch ihrer ebenfalls nackten Mutter und drängen zu deren Entsetzen zurück in ihren Leib. Unter Schmerzen deformiert sich der Mutterleib zu einem Wesen mit unzähligen Gliedmaßen und Augen, die unter ihrer Haut hervortreten. Laut Kristeva spielt das Abjekte schon bei der Geburt eine Rolle: Beim Loslösen vom Körper der Mutter, das mit viel Blut und anderen Körperflüssigkeiten einhergeht.
Das verabscheute Abjekte liegt außerhalb des Symbolischen, also außerhalb der Sprache und der Diskurse, auf denen Gesellschaft und jene Konstruktionen von Macht und Ohnmacht basieren, mit denen sich auch Djurberg und Berg beschäftigen. In der Sphäre des Abjekten brechen gesellschaftlich konstruierter Sinn und Bedeutung weg und tiefer liegende Erfahrungen werden freigesetzt. Auch wenn Djurberg und Berg in ihre Animationen hin und wieder Sätze und einzelne Wörter einschleusen, zum Beispiel an Wände gepinselt, stehen meist Empfindungen außerhalb unseres sprachlichen Vermögens im Vordergrund.
Die Musik, die Hans Berg zu den Filmen komponiert, unterstützt diese Erfahrung. Djurberg und Berg tauchen tief ins Ich, in ihr eigenes und das der BetrachterInnen, um es fein säuberlich in seine Ängste und Triebe zu zerlegen. Zum Beispiel, wenn sie für „Turn into Me“ (2008) den Zerfall einer Leiche inszeniert: Auf einer Lichtung sinkt eine weibliche Figur tot zu Boden und löst sich auf, bald laben sich die Tiere des Waldes und Maden an ihren Gedärmen und Organen.
Für Kristeva legt der Blick auf die Leiche, auf Eingeweide und Blut, die Unvermeidbarkeit des eigenen Todes nahe, erinnert all das doch an die eigenen Körperflüssigkeiten und Exkremente, die regelmäßig den lebenden Körper verlassen, aber im Reich des Symbolischen stets im Verborgenen abgesondert werden.
Kunsthistorische Vergleiche lassen sich im Surrealismus finden
In ihrem Spiel mit dem Abjekten haben Djurberg und Berg eine faszinierende Welt geschaffen, in der sie die Abgründe der patriarchal und kapitalistisch geprägten, moralisierenden Gesellschaft sensibel entlarvt. Will man kunsthistorische Vorgänger finden, so lassen ihre Arbeiten an jene der Surrealisten denken, wie die Filme Luis Buñuels oder die Zeichnungen und Skulpturen Hans Bellmers. Beide arbeiteten ebenfalls mit absurden Körperinszenierungen, um eine im Symbolischen regierende, zweifelhafte Moral vorzuführen. Auch der Renaissance-Maler Hieronymus Bosch kommt einem in den Sinn, dessen Fabelwesen und Figuren an den menschlichen Abgründen agieren und alle Stände gleichermaßen triebgesteuert erscheinen, wie in seinem berühmten Tafelbild „Der Garten der Lüste“, wo verzerrte Körper die seinerzeit als „Todsünde“ aufgefasste Wollust in einem absurden Liebesparadies zelebrieren.
Auch Djurberg und Berg berühren Abgründiges und Tabus in ihren Animationen. Auf den ersten Blick erscheinen Zuordnungen, wie Täter und Opfer, eindeutig. Doch sie verwischen Eindeutigkeiten bewusst und führen die BetrachterInnen in zugleich abstoßende und seltsam vertraute Räume. All ihre Figuren seien für sie im Grunde ein und dieselbe Person, sagt Djurberg, sie oszillierten zwischen verschiedenen Gefühlszuständen, lösten Unbehagen aus, seien Opfer und Täter gleichermaßen. Wie die Töchter, die vermutlich ihren Vater in „Florentin“ (2014) herausfordern, in dessen Fänge geraten und ihn schließlich malträtieren. Der Körper – verletzlich, grotesk, morbide – steht stets im Zentrum des Geschehens. Und die BetrachterInnen bleiben – spürbar und ganz persönlich – berührt zurück.