Max Hollein besucht in New York zwei Eröffnungen von Jeff Koons und begegnet Paul McCarthy. Mitten in Chelsea, in einer kleinen Bar von Tobias Rehberger, bleibt Zeit zum Nachdenken über den überhitzten New Yorker Immobilienmarkt.
Das herausragende Werk von Jeff Koons konnten wir im vergangenen Jahr in einer Doppelausstellung von SCHIRN Kunsthalle und Liebieghaus umfassend präsentieren. Es war die bisher größte Koons-Ausstellung überhaupt: Ein außerordentliches, außergewöhnliches Projekt, eine Präsentation von der noch immer viel gesprochen wird, aber natürlich auch eine besondere Anstrengung. Jeder der Jeff Koons kennt, weiß um seine Einzigartigkeit in Bezug auf sein künstlerisches Schaffen als auch um seine Akribie und seinen Perfektionswillen, der ihn und aufgestellte Zeitpläne in gewissem Sinne unberechenbar macht. Als entspannter Direktor der SCHIRN Kunsthalle, die ein Koons-Projekt bereits erfolgreich abgeschlossen hatte, flog ich also nach New York, um nicht nur bei der Frieze Kunstmesse vorbeizuschauen, sondern auch um die beiden Jeff Koons-Ausstellungseröffnungen bei der Galerie David Zwirner und einen Tag darauf in der Gagosian Gallery zu besuchen.
Mit Sehnsüchten und Qualitäten aufgeladen
Wie nicht anders zu erwarten, arbeiteten Koons und sein Team bis zur letzten Sekunde und darüber hinaus an der perfekten Präsentation seiner neuen Werkgruppe „Gazing Ball" bei Zwirner. Obwohl die Eröffnung für 18 Uhr anberaumt war, wurde zu diesem Zeitpunkt in allen Ausstellungsräumen noch heftigst von mindestens 25 Mitarbeitern aufgebaut, das Vernissage-Publikum stand in riesigen Menschentrauben vor der verschlossenen Galerie und konnte die große neue Installation erst rund eine Stunde später umzingeln. Die dort präsentierte neue Werkserie zeigt einerseits Koons lange Auseinandersetzung und Vorliebe für spezifische, mit Sehnsüchten und Qualitäten aufgeladene Objekte unserer Alltagskultur -- in diesem Fall eine bunte, reflektierende und spiegelnde Gartendekorationskugel -- andererseits seine aktuelle Beschäftigung mit antiker Skulptur, wohl nicht zuletzt weiter intensiviert aus seiner Arbeit mit der Antikensammlung des Liebieghauses.
Ungemein eindrucksvoll und unübertroffen
Viel wurde im Vorfeld in den Medien geschrieben über den Coup des Kunsthändlers David Zwirner, in seiner Galerie die neue Werkgruppe von Koons auszustellen und die damit einhergehende vermeintliche Düpierung von Larry Gagosian, dem Stammgaleristen von Koons. Dieser antwortete allerdings gleich am nächsten Abend mit einer gigantischen Ausstellung von neuen Koons-Arbeiten -- neu für das New Yorker Publikum, zu einem größeren Teil aber nicht neu für die Frankfurter, denn tatsächlich hatten mehrere Arbeiten ihre Premiere hier bei uns. In jedem Fall war die Ausstellung bei Gagosian ungemein eindrucksvoll und mit einer atemberaubenden Präsentation von „Balloon Dog", „Balloon Rabbit" und, ganz neu, „Balloon Monkey" im Hauptraum unübertroffen.
80 vollbeladene LKW in Richtung New York
Es wären die Tage von Jeff Koons in New York geworden, wäre da nicht sein Antipode von der West Coast, Paul McCarthy, der schon vor dem Zelt der Kunstmesse Frieze (wo insbesondere die neue Arbeit von Tino Sehgal am Stand von Marian Goodman beeindruckte) einen etwas anderen, gigantischen „Balloon Dog" aufstellen ließ: Eine aufgeblasenere, obszönere, pornographischere Version dieser Koons-Ikone von menschlicher Sehnsucht, kindlicher Freude, umfassender Bestätigung und erotischer Konnotation. Und bei Hauser & Wirth zeigte McCarthy in zwei Galerien dann auch den ersten Teil einer umfassenden Ausstellungsserie neuer Werke, die im Juni mit einer riesigen, 8000 m2 großen Installation in der Park Avenue Armory kulminieren wird. Sichtlich stolz bezüglich dieser für ihn so typischen und eindrucksvollen „Materialschlacht" berichtete mir McCarthy, dass sich für diese Installation gerade eben aus Los Angeles 80 vollbeladene LKW in Richtung New York in Bewegung setzen.
Die Präsenz immer größer werdender Kunstwerke auf der engen Insel
In Erinnerung bleibt insbesondere auch die Ausstellung zu frühen Arbeiten von Richard Serra in einer anderen Galerie von David Zwirner. Mit zahlreichen Leihgaben aus musealen Sammlungen zeigte sie eine perfekte Installation von Werken aus Gummi, Leder, Neon und Blei sowie eine Auswahl von Stahlskulpturen, wie es keine öffentliche Institution hätte besser machen können -- und das bei freiem Eintritt und ohne Sponsor. Verkauft wird von den ausgestellten Objekten bei einer solchen Ausstellung mit Museumsqualiltät nahezu nichts, sind doch fast alle Exponate unverkäuflich bzw. bereits in öffentlichen Sammlungen. Aber natürlich öffnet eine derartige Präsentation den Zugang zu anderen Serra-Arbeiten in privaten Händen und damit zum attraktiven Sekundärmarkt mit Arbeiten dieses Klassikers der zeitgenössischen Skulptur. Schlussendlich ist ein solches hochqualitatives Projekt nicht nur ein Angebot an das Galeriepublikum und ein Zeichen der ausgestreckten Hand an Personen, die in ihrem Besitz Werke Serras haben oder haben wollen, sondern auch ein Symbol für die enorme Qualität und Finanzkraft des aktuellen Kunstmarkts. Überhaupt hat die fortwährende Ausdehnung des Kunstraumangebots in Manhattan und die Präsenz immer größer werdender Kunstwerke -- indoor wie outdoor -- etwas bipolares mit dem sich immer weiter aufheizenden Immobilienmarkt und der chronischen Raumknappheit in Manhattan. Obwohl sowohl Privatraum als auch Geschäftsraum immer teurer werden, nehmen die Kunst und ihre Behausungen einen immer höheren prozentualen Flächenanteil auf dieser engen Insel ein.
Mit einem Kunstwerk eins werden
Dagegen wirkte eine Installation aus Frankfurt regelrecht bescheiden, aber dafür umso gelungener: „Unser" Tobias Rehberger hat „seine" Bar Oppenheimer aus der gleichnamigen Straße in Frankfurt-Sachsenhausen einfach nach Manhattan mitgebracht, sie detailgenau und originalgetreu im Maßstab 1:1 in ein Hotel in Chelsea eingebaut und schließlich mit seiner typischen Razzle Dazzle-Ästhetik überzogen. Die Bar Oppenheimer im (wie könnte es anders sein) Hotel Americano in der 27sten Straße war der begehrte Hot Spot an jedem Abend, wo sich Künstler, Kuratoren, Sammler und Kritiker nicht nur einen Drink genehmigten, sondern man dabei das gute Gefühl hatte, mit einem Kunstwerk eins zu werden, das dann wiederum eine Bar war und dann wieder zum Kunstwerk wurde und bei der nächsten Bestellung wieder zur Bar und so weiter. Und man brauchte wirklich einige Drinks, um die vielen Ausstellungen und Kunstpräsentationen in New York zu verarbeiten, die einmal mehr bewiesen haben, dass New York weiterhin das absolute internationale Kunstzentrum ist.