Max Hollein über das Programm der SCHIRN in 2014: die Pariser Bohème in Montmartre, der Frankfurter Künstler Tobias Rehberger, ein Blick auf die postmoderne (Spaß-)Gesellschaft, die Ikonen der Paparazzi-Fotografie und vieles mehr.
Frankfurt liegt am Main, Paris an der Seine, bei uns gibt es den Lerchesberg und in Paris Montmartre -- allerdings hatte das hoch gelegene Pariser Viertel mit seiner beispiellosen kulturellen Geschichte dann doch einen ganz anderen Ruf. Hier hat sich zum ersten Mal etwas gebildet, was man heute eine „Szene" nennen würde: Dichter, Komponisten, Maler, Bildhauer, Schauspieler lebten am Ende des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts in der besonderen Atmosphäre des Viertels. Unsere Ausstellung Esprit Montmartre. Die Bohème in Paris um 1900 zeigt dabei die künstlerischen, gesellschaftlichen und sozialen Aspekte dieses einmaligen Biotops menschlicher Kreativität -- und gibt uns gleichzeitig Gelegenheit, Meisterwerke von Picasso, van Gogh, Toulouse-Lautrec, Degas, Valadon, Bonnard und vielen anderen aus Anlass der Ausstellung nach Frankfurt zu holen.
Nicht nur in Paris, sondern weltweit präsent ist Tobias Rehberger. Mit seinen pointierten wie pointenreichen Arbeiten aber hat es bislang in seiner Heimatstadt Frankfurt, in der er lebt, lehrt, arbeitet, fördert und feiert noch keine umfassende, singuläre Ausstellung gegeben. Das wollen, das müssen wir ändern und so wird eine ganz außergewöhnliche, große Präsentation seiner Werke der letzten zwanzig Jahre mit dem Titel „Home and Away and Outside" in der Schirn entstehen. Und die Eröffnung mit vielen Freunden und Wegbegleitern, diesseits und jenseits des Mains verspricht ein sicherlich denkwürdiges Ereignis zu werden. Hypnotische Züge haben so manche Arbeiten von Rehberger, denkt man nur an die optisch flimmernden Dazzle-Camouflage-Arbeiten im Stile der Op Art. Und hypnotisch wird es auch im Frühjahr bei der großen Installation von Daniele Buetti. It's all in the Mind zugehen, der die Rotunde in einen Raum der Geistes- und Farbreinigung verwandeln wird. Es wird Zeit für ein bisschen „New Age" und „Rebirthing" im Zeichen der Kunst.
Die richtige Antwort darauf gibt dann die Ausstellung Unendlicher Spaß. Und wer noch nicht David Foster Wallaces Roman gelesen oder es zumindest versucht hat, sollte das bis zum Sommer schleunigst nachholen. Denn nun gibt es nicht den Film zum Buch, sondern vielmehr die Ausstellung dazu mit großartigen Arbeiten von Maurizio Cattelan, Damien Hirst, Daniel Richter, Ryan Trecartin und anderen, die unsere postmoderne Gesellschaft mit ihrem oszillierenden Hang zu totaler Euphorie und abgrundtiefer Depression thematisieren. Die Ausstellung entwirft ein Bild unserer Gegenwart, die nicht nur durch den Blick auf uns selbst, sondern auch auf andere geprägt ist. Und da es immer schön ist, zu sehen, was andere, vor allem die Stars und Sternchen dieser Welt machen, widmen wir uns denjenigen, die seit beinahe einem halben Jahrhundert die Öffentlichkeit mit exklusiven Bildern versorgen: den Paparazzi. Ihr zeitloses (Erfolgs-)Rezept ist: das heimliche Verfolgen und Belauern berühmter Persönlichkeiten und das Veröffentlichen von Ungeahntem, Privatem und vermeintlich Geheimem. Ob nun Jackie Kennedy, Marlon Brando, Lady Di, Britney Spears oder Paris Hilton, sie alle lebten und leben mit und vor allem von Paparazzi-Fotografie. Mit Paparazzi. Fotografen, Stars und Künstler gehen wir zusammen mit dem Centre Pompidou-Metz eben jenem modernen Mythos kunstsoziologisch auf die Spur und zeigen mit Werken von Richard Avedon, Terry Richardson, Cindy Sherman oder Andy Warhol wie die Paparazzi-Ästhetik auch Künstler wesentlich beeinflusste.
Im Herbst wird es -- mit dem Gastland Finnland auf der Buchmesse -- besonders eindringlich. Wir begegnen dem faszinierenden Werk der in Finnland über alle Maßen verehrten Malerin Helene Schjerfbeck. In Deutschland kaum bekannt, bringen wir zusammen mit den finnischen Kollegen des Ateneum Art Museum herausragende Arbeiten einer der wichtigsten Künstlerinnen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts nach Frankfurt. Die Bilder und Selbstporträts von Helene Schjerfbeck berichten viel von ihrer künstlerischen Inspiration -- die sie bei den Alten Meistern fand -- und im Besonderen von ihrer tiefen Suche nach sich selbst.
Natürlich nicht nur durch das jüngst veröffentlichte Album von Lady Gaga „Artpop" wird aktuell wieder lebendig über Popkultur gegenwärtiger und vergangener Zeiten diskutiert. Wir gehen mit der großen Überblicksausstellung German Pop zurück in die 1960er-Jahre, in denen zahlreiche Phänomene unserer zeitgenössischen Kunst und Kultur ihren Anfang nahmen. Aber nicht den vermeintlichen Popmetropolen London oder New York gilt unser Interesse. Vielmehr zeigen wir die spezifisch deutsche Ausprägung dieses Phänomens -- abseits und mitten im kleinbürgerlichen Geschmacksideal und der typischen deutschen Gemütlichkeit der 1960er-Jahre. Zu entdecken sind zahlreiche bekannte wie auch vergessene Werke von Sigmar Polke, Manfred Kutter, Konrad Klapheck, Christa Dichgans oder Peter Roehr.
Während in der SCHIRN auch im nächsten Jahr eine Ausstellung auf die nächste folgt, schaffen wir mit der Filmreihe Double Feature das dritte Jahr in Folge eine beliebte Konstante -- für Kunst- und Filmbegeistere gleichermaßen. Jeden letzten Mittwoch im Monat zeigen eingeladene, nationale und internationale Künstlerinnen und Künstler eine Auswahl aus ihrem filmischen Œuvre und stellen ihren persönlichen Lieblingsfilm vor. Im Jahr 2014 warten Beiträge der Zeitgenossen Keren Cytter, Mathilde ter Heijne, Neil Beloufa, Nathalie Djurberg und Hans Berg, Ulla von Brandenburg sowie Luke Fowler auf das kunst-cineastische Publikum.