Direktor Max Hollein gibt einen Ausblick auf das kommende Ausstellungsjahr 2015 in der Schirn. Das umfangreiche Programm reicht vom frühen 20. Jahrhundert bis zur jüngsten Gegenwart, von Malerei über Film, Skulptur und Installation bis hin zu Kunst im Netz.
In diesem Ausstellungsjahr geht die Schirn zuallererst auf die Straße. „Street Art" ist ja mittlerweile vielfach kuratorisch rezipiert (nicht zuletzt durch unser großes brasilianisches Graffiti-Projekt in Frankfurt 2013). Die Affichisten sind allerdings die echten ersten Wegbereiter der „Street Art". In unserer Ausstellung Poesie der Grossstadt zeigen wir die phänomenalen Werke dieser Künstlergruppe aus den 1950er- und 1960er-Jahren. Diese -- gemeinsam mit dem Museum Tinguely in Basel konzipierte -- Ausstellung und der Katalog stellen sicherlich eine richtungsweisende und grundlegende Aufarbeitung dieser in ihrer Bedeutung, Radikalität und Wirkungskraft noch weit unterschätzten Kunstströmung dar.
Ebenso unterschätzt, ja vielleicht sogar von vielen bewusst negiert ist der Einfluss der sogenannten „Barfußpropheten" des 19. Jahrhunderts auf die Entwicklung und auf so manche bedeutende Protagonisten der modernen und zeitgenössischen Kunst. Wir zeigen dies nun in der Ausstellung Künstler und Propheten - Eine geheime Geschichte der Moderne 1872-1972. Über zwei Jahre Forschungsarbeit ging in dieses spektakuläre Ausstellungsprojekt, in dem es nur so wimmelt von selbsterklärten Erlösern, umstürzlerischen Missionaren und schrägen „Kohlrabi-Aposteln". In der Schirn präsentieren wir beeindruckende Werke, aufsehenerregende Auftritte und schräge Theorien dieser Künstler-Naturisten sowie die ungeahnten Verbindungslinien zu Egon Schiele, František Kupka, Joseph Beuys oder Friedensreich Hundertwasser. Wenn es eine Ausstellung gibt, die mit faszinierenden Entdeckungen und vielfältigen neuen Erkenntnissen aufwarten kann, dann diese.
Die Rotunde der Schirn ist ein beliebter Ort, nicht nur als imposanter Eingang für unsere Besucher und als attraktives Fotomotiv für glückliche Brautpaare aus dem Römer, sondern auch für komplexe künstlerische Installationen. Umso mehr, wenn direkt rund um die Schirn eine der größten Baustellen Frankfurts -- zum Wiederaufbau der Altstadt -- tobt. Im März wird Alicja Kwade eine Arbeit rund um das Thema Raum und Zeit präsentieren und wir werden eventuell unser Wissen über die Relativitätstheorie, das Raum-Zeit-Kontinuum und viele andere Referenzen wieder ausgraben müssen.
Doug Aitkens Film-, Sound- und Objektarbeiten sind spektakulär, beeindruckend, multisensorisch und in ihrem Sog, ihrer Ästhetik und ihrem Rhythmus einfach ungemein beeindruckend, ja oft auch überwältigend. Aitken hat schon viel bespielt, die National Mall in Washington D.C. genauso wie die komplette Fassade des Museum of Modern Art in New York, er hat ein reisendes Kunstfestival in einen Zug von New York nach San Francisco organisiert und ein Kunstschiff auf dem Bosporus zwischen Asien und Europa fahren lassen. Nun wird er im Sommer die gesamte Ausstellungsfläche der Schirn bespielen -- und darüber hinaus, denn seine Arbeiten und seine Arbeitsweise sind grenzenlos.
Neue Werkphasen sind bei gefeierten Künstlern eine bedeutende Entwicklung, aber immer auch ein Risiko. Daniel Richter, einer der prägendsten Künstler seiner Generation und allseits gefeierter Maler, hat sich diesen Wandlungen schon mehrmals bewusst ausgesetzt und sowohl in der Abstraktion als auch darauf folgend in der Figuration eine höchst eigene, eindrucksvolle Bildsprache entwickelt. Bei seiner Virtuosität und der damit einhergehenden wohlverdienten Anerkennung ist es immer auch ein Arbeiten gegen die Routine, wenn sich Richter einer neuen Form zuwendet. Umso mehr freuen wir uns diese neuen, in der letzten Zeit entstandenen und bisher noch nicht gezeigten -- aber so viel sei schon verratenen, höchst beeindruckenden -- Werke präsentieren zu können.
Bevor es Großgalerien wie Gagosian, Zwirner oder Hauser & Wirth gab, die international heute als „Marke" agieren, da gab es schon längst Der Sturm. Ursprünglich als Zeitschrift zur Förderung des Expressionismus im Jahr 1910 gegründet, machte der Herausgeber Herwarth Walden daraus auch eine bedeutende Sturm-Galerie, er etablierte eine Sturm-Akademie, veranstaltete Sturm-Abende, hatte eine Sturm-Bühne und die von ihm vertretenen Künstler waren insofern zutiefst mit dem Sturm verbunden. Insbesondere engagierte sich Walden aber auch für die Künstlerinnen der Zeit, und so zeigen wir mit den Sturm-Frauen eine spektakuläre Ausstellung, die das Programm der Galerie und damit auch die Künstlerinnen des Expressionismus, des Futurismus, des Konstruktivismus und der Neuen Sachlichkeit versammelt. Viele berühmte Namen sind dabei, genauso aber auch Wiederentdeckungen. Eine Ausstellung mit über 300 Werken über die Künstlerinnen der Moderne, über große Kunst, aber auch über den Kampf um Anerkennung und Durchsetzung.
Auch Heather Phillipson, eine der derzeit international interessantesten und vielversprechendsten Künstlerinnen, wandelt als vielfach ausgezeichnete Schriftstellerin und bekannte Multimedia -Künstlerin, zwischen den Gattungen und wird in der Schirn Rotunde eine poetische, immersive Installation realisieren.
Zusätzlich werden wir auch noch mit neuen und speziell für uns entwickelten Arbeiten von Britta Thie sowie Constant Dullaart die Schirn und ihre Ausstellungsmöglichkeiten wesentlich in den digitalen Raum erweitern. Und wer nicht nur im digitalen Raum die Künstler und Künstlerinnen von heute und morgen auf schirn.de kennenlernen will, der sollte unbedingt immer wieder bei unserer Double Feature-Reihe vorbeischauen, wo wir seit zwei Jahren an jedem letzten Mittwoch im Monat internationale Film- und Videokünstler mit ihren neuen Arbeiten sowie ihrem Lieblingsfilm im Gespräch vorstellen.