Alles lief gut, doch auf einmal: Vollbremsung. Kuratorin Martina Weinhart darüber, wie man unter besonderen Bedingungen eine Ausstellung auch übers Smartphone organisieren kann.

Ich sitze im Home Office, telefoniere vom Küchentisch, arbeite am Esstisch, am Balkon, eigentlich überall. Ich kommuniziere über Zoom, Skype, Whatsapp, Telegram und den Messengerdienst BOTIM. Das Ferne so nah. Oder doch nicht? Ich arbeite – immer noch – an einer Ausstellung, die eigentlich längst eröffnet sein sollte. Wir hatten alles so gut geplant: Ramin Haerizadeh, Rokni Haerizadeh und Hesam Rahmanian, drei iranische Künstler, die seit 2009 in Dubai leben, sollten im Sommer 2020 mit einer neuen Installation den Saal der Schirn bespielen. 

Bei verschiedenen Biennalen hatten ihre Arbeiten mich immer wieder beeindruckt und ihre unglaublich imposante Installation „From Sea to Dawn“, die ich in Wien eher zufällig gesehen hatte, ist mir nicht mehr aus dem Kopf gegangen. Medienberichte über Migration hatten die Künstler zu einem ebenso feinsinnigen wie visuell überwältigenden Gesamtkunstwerk aus Videos, Malerei, Zeichnungen, Texten, Fotografien und gefundenen Objekten zusammengefügt. Besonders beeindruckend fand ich eine riesige, gemalte Bodenarbeit, die durch die Räume der Galerie mäanderte und in der man sich als Betrachterin schier verlor, weil man selbst zu einem Teil des Kunstwerks wurde. 

Meine Begeisterung stieß in der Schirn auf offene Ohren, wurde geteilt und die Künstler kontaktiert. Was folgte, waren verschiedene Meetings und Gespräche am Telefon. Ein Besuch in Frankfurt war zunächst nicht einfach zu bewerkstelligen. Immer wieder wird mir bewusst, wie privilegiert man ist, mit dem deutschen Pass eine visumsfreie Einreise in 188 Länder zu erhalten, andere aber keineswegs so glücklich sind. Lebt man als Iraner*in in Dubai, dauert es mindestens zwei Monate bis man ein Visum für Deutschland erhält. 

Die Künstler bei der Arbeit, 2020, Foto courtesy the artists

Doch alles lief gut und wir hatten schließlich ein sehr fruchtbares Treffen in Frankfurt. Relativ rasch ging dann in Dubai die Produktion los. Auch für die Schirn sollte eine raumgreifende Bodenarbeit entstehen. Das war organisatorisch ziemlich aufwendig. Die Künstler mieteten dafür eine Industriehalle, die wiederum fast dieselben Maße wie der große Saal in der Schirn umfasst. Erste Bilder von der neuen Arbeit erreichten mich noch im Frühjahrsurlaub – unglaublich großartige Bilder, wie ich fand. Ich freute mich sehr auf das nächste Treffen in Dubai, wo ich dann die neue Arbeit auch erstmals im Original sehen sollte. Solche Gespräche und persönliche Treffen mit den Künstlern sind ungeheuer wichtig zur Ausstellungsvorbereitung. Wie wichtig, das wird uns in diesen Zeiten schmerzhaft vor Augen geführt.

Wegen Corona wurde erstmal alles abgesagt

Am 27. Mai sollte die Ausstellung in der Schirn ursprünglich eröffnen. Doch auf einmal: Vollbremsung. Wegen Corona wurde erstmal alles abgesagt – zunächst einmal mein Besuch in Dubai, wo wir weiter an dem Projekt und vor allem am Ausstellungskatalog arbeiten wollten. Die Absage der Reise war ein erster Schritt, danach war nur noch das das viel beschworene Fahren auf Sicht möglich. Da ging es uns mit diesem Projekt wie vielen Kolleg*innen auf der ganzen Welt.

Die Künstler bei der Arbeit, 2020, Foto courtesy the artists

Auf meinem Smartphone hatte ich mir, bereits als wir anfingen, gemeinsam zu arbeiten, BOTIM eingerichtet. Skype ist in Dubai gesperrt. Rokni, Ramin, Hesam und ich würden uns also weiter virtuell verständigen. Kleine Vierecke, elektronische Information. Mal wurde das Telefon mit der Kamera hochgehalten, damit ich eine neue Skulptur begutachten konnte, dann wieder lernte ich den Hund kennen. Schnappschüsse der neu entstehenden Arbeit wurden mir aufs Handy geschickt und immer wieder kurze PDFs mit Literaturtipps.

Schnapp­schüsse der neuen Arbeit wurden mir aufs Handy geschickt

In der Schirn wiederum versuchten wir beinahe täglich, uns ein Bild von der Lage zu machen. Virtuell schaute ich dauernd nach Dubai, sprach mit den Künstlern, der Galeristin, wieder mit den Künstlern. Flughäfen wurden geschlossen, Expats mussten die Stadt verlassen und ob und wann man wieder in Dubai einreisen dürfte, bleibt unklar. In der Stadt selbst wiederum durfte pro Haushalt nur eine Person alle drei Tage zum Einkaufen den Wohnsitz verlassen – und auch das nur mit Genehmigung. So saßen nun also die Künstler in ihrem Haus in Dubai, wo sie gemeinsam wohnen und arbeiten, fest. Die Produktion für unsere Ausstellung konnte nur eingeschränkt weiterlaufen, die Handwerker*innen durften nicht arbeiten.

Zoomen mit den Künstlern, Foto courtesy the artists

Aber die Künstler wären keine Künstler, wenn sie nicht inmitten von Krisen und Chaos kreative Wege suchten, die aktuelle Situation zu spiegeln, zu verarbeiten, darzustellen. Es dauerte nicht lange und mich erreichte das Video „From March to April…2020“, in dem Hesam, Ramin und Rokni die Zeit der Quarantäne in eine poetische Form gießen. Langsam fährt die Kamera über einen Tisch, der im Fokus des Filmes steht. Es ist ihr Ess- und zugleich Arbeitstisch, der verdeutlicht, wie die Künstler Arbeit und Leben vereinen. Bunt durcheinander gewürfelt, finden sich hier Essen, Pinsel, Farbe, ein Salat, eine Tomate, Collagen für ein weiteres Filmprojekt, dann wieder ein neues Gericht oder die Zeitung. 

Bunt durch­ein­an­der gewür­felt, finden sich hier Essen, Pinsel und Farbe

Monoton hören wir die Künstler ein Mantra der Wochentage aufsagen: Monday, Tuesday, Wednesday und so weiter, immer wieder. Essen, Arbeit und Sozialleben, alles ist komprimiert, alles auf diesen engen Raum beschränkt. Die Zeit – hier in ihrer extremen Verlangsamung – spielt eine zentrale Rolle in der Arbeit des Trios, das beständig zwischen zeitbasierten Medien wie dem Film und anderen Ausdrucksformen wechselt.  Zeit im philosophischen Sinne wie auch das Spiegeln der Zeit und ihrer Symptome wird auch in der nun kommenden Ausstellung nachdrücklich thematisiert. Darauf freue ich mich und bin gespannt, die neuen Arbeiten endlich in der Schirn zu sehen. Die Chancen sind gut. Der Container ist gepackt. Die Situation hat sich etwas gelichtet und ein Eröffnungsdatum für die Ausstellung wurde festgelegt. Nun arbeiten wir daran, dass die Künstler zur Eröffnung nach Frankfurt kommen können. Das wäre inmitten dieser chaotischen Zeit dann doch so etwas wie ein kleines Happy End.

Die Künstler bei der Arbeit, 2020, Foto courtesy the artists
“Either he’s dead or my watch has stopped” Groucho Marx (while getting the patient’s pulse)

RAMIN HAERIZADEH, ROKNI HAERIZADEH UND HESAM RAHMANIAN

3. September bis 13. Dezember 2020

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