Kuratorin Martina Weinhart begegnet in New York einer riesigen Vielfalt an Street Art. Manches davon landet im Museum, am besten entdeckt man es aber in den Straßen selbst.
Unterwegs in New York, um den bei uns wenig bekannten Pop-Veteranen Peter Saul zu besuchen – wir arbeiten gemeinsam an einer Ausstellung, die gerade für die SCHIRN in Planung ist. Ende der 50er- Anfang der 60er-Jahre war Pop eine Revolution, eine Sache der Jugend. Und es war ungeheuer provokant auf einmal den Alltag in die hehre Welt der Kunst hineinzutragen. So auch bei Peter Saul, der einen ganz eigenen Kosmos entwirft, in dem Kühlschränke, Superman und Kandor, Saigon und der Vietnamkrieg eine in schrille Farben getauchte Welt bilden. Pop, politische Botschaft und ein kritischer Blick auf die US-amerikanische Gesellschaft gehen eine logische Verbindung ein. Der schrille Pop bringt die nicht ganz so bequemen Themen der 68er-Generation plakativ auf die Leinwand.
Mein Blick bleibt immer wieder an der Pop Art von heute hängen, die mir dort auf Schritt und Tritt begegnet. Mit Peter Sauls Pop-Welten im Kopf entsteht bei mir ein ganz eigener Resonanzraum, eine Art Tunnelblick in Richtung Pop. Und so finde ich sie dann überall, die Echos auf die revolutionären 1960er-Jahre: Sieht das Bild auf dem Laster nicht aus wie von Roy Lichtenstein himself? An anderer Stelle wechselt sich eine Version von Superwoman mit kapitalismuskritischer Botschaft ab mit abstrakten Mustern. Comicfiguren, schrille Farben, große Formate, plakative Motive – alles ist vorhanden. Der Pop ist wirklich auf der Straße angekommen. Willkommen im größten Museum der Welt.
New York ist das Mekka der Street Art. Überall findet man die Kunst: ganz traditionell an Häuserwänden, aber auch an Zäunen, Absperrungen, auf dem Gehsteig, an Türen, Elektrokästen, Hydranten und so fort. An U-Bahn-Abgängen, in Hauseingängen, mal riesengroß, mal winzig klein. In Brooklyn wie in Manhattan, an der Lower East Side und in Williamsburg. Im hippen Bushwick oder in Queens. Im großen Format wird sie gesprayt aber auch mit Stencils, cut outs, Papierschablonen oder anderen Aufklebern aufgebracht. Es wird gesprayt, plakatiert, collagiert, gestempelt, überklebt, abgezogen und wieder gesprayt. Stars wie die brasilianischen Brüder Os Gemeos werden beauftragt, große Flächen attraktiv zu bespielen. Es blüht aber auch der Wildwuchs. Dazwischen kommt die Reinigungsbrigade, die schon „Graffiti Free NYC“ auf dem Laster stehen hat. Alles scheint in Bewegung. Und die Szene richtet sich ein – zwischen Vandalismus auf der einen Seite und Stadtmarketing auf der anderen.
Einigem begegnet man dann schließlich auch wieder am angestammten Ort für die Kunst – dem Museum. Es gibt ja bereits seit längerem eine starke Wanderung der Street Art bzw. Graffiti in die Galerie und so verwundert es kaum, wenn man auf die gigantischen Figuren von KAWS, dem New-Yorker Künstler, der seine Laufbahn als Graffitisprayer begonnen hatte, im Foyer des Brooklyn Art Museums trifft. Mit Peter Saul kann diese Generation von Künstlern offensichtlich viel anfangen. KAWS selbst hat eine große Sammlung seiner Zeichnungen und Gemälde. Eine der vielen Fragen, die sich einem Kurator bzw. einer Kuratorin immer wieder stellt, ist die Wirkung der (älteren) Kunst auf unsere zeitgenössische Welt, Gesellschaft, Leben – wie immer man das sehen will. Kurz, die Relevanz des Werkes eines Künstlers, mit den Augen einer anderen Zeit betrachtet. Hier braucht man dafür nicht lange zu grübeln.