Kuratorin Martina Weinhart erlebt eine eindrückliche Installation von Ed Kienholz in der Fondazione Prada in Mailand, wo gleich zwei weitere laufende Ausstellungen einen Besuch lohnen.
In der Regel reist man vor einem Ausstellungsprojekt in der Weltgeschichte herum, nicht hinterher. Aber es gibt auch diese Ausstellungen, die lange nachhallen und bei denen langjährige Verbindungen entstehen. So geschieht es, dass man in die Kienholz-Familie aufgenommen wird. Und auch Jahre später – unsere Kienholz-Ausstellung war 2011 – genauestens verfolgt, was in diesem Kosmos so passiert. Mit Nancy Kienholz als Doyenne versammelte sich gerade ein Kreis aus Kuratoren, Sammlern, Galeristen, Künstlern und anderen begeisterten Anhängern des "Planet Kienholz" in Mailand anlässlich eines besonderen Ausstellungsprojektes in der Fondazione Prada. Im Rahmen einer größeren Präsentation von Kienholz-Werken ist die legendäre "Five Car Stud" zu bewundern. Sie wurde 1972 unter großer öffentlicher Resonanz erstmals auf der documenta 5 in Kassel gezeigt, fristete lange danach ein Dasein auf Lager und ist schließlich vor kurzem von Miuccia Prada erstanden worden.
Bei der Arbeit handelt es sich um eines der eindrücklichsten Tableaus von Ed Kienholz, eine flammende Anklage gegen Rassismus, die heute kaum an Kraft, geschweige denn – das muss man leider auch sagen – an Aktualität verloren hat. Als Besucher betritt man einen dunklen Raum und stolpert in tiefem schwarzen Sand auf eine unheimliche Szene zu, die nur von Autoscheinwerfern beleuchtet wird, die in die Mitte gerichtet sind. Lebensgroß und damit sehr real sind die Figuren und man kommt als Zeuge einer (sehr grausamen) Lynchszene sehr nahe: Mehrere weiße Männer foltern einen Schwarzen. Das hat eine solche Kraft, dass die Umstehenden sofort Debatten darüber beginnen, was sie tatsächlich tun würden, wenn sie im echten Leben in solch eine Situation kämen. Ich würde sagen, das Kunstwerk hat somit seine Aufgabe voll erfüllt. Mission accomplished!
Das lohnt sich unbedingt
Stolpert man zurück in die Realität das Prada’schen Ausstellungsgeländes, hallt dieses Kunsterlebnis noch lange nach. Mich begleitet es durch den Rest des Abends. Ich bin dann auch zu gefangen im Kienholz-Kosmos, um mir noch die restlichen Ausstellungen auf dem Gelände anzusehen. Dafür komme ich am nächsten Morgen wieder. Und das lohnt sich unbedingt. Im goldenen Turm des von Rem Kolhaas umgestalteten Fabrikgeländes treffen Werke von Louise Bourgeois auf die von Robert Gober. Im sogenannten Podium hat die in London lebende polnische Künstlerin Goshka Macuga die Ausstellung "To the Son of the Man Who Ate the Scroll" konzipiert, gestaltet und mit unglaublichen Leihgaben lebender und verstorbener Künstlerkollegen ausgestattet.
Da treffen kleine Bronzen von de Chirico auf Bertellis legendäres "Profilo continuo" von Mussolini, James Lee Byars auf Lucio Fontana auf Hanne Darboven auf Dieter Roth, Briefe von Einstein und Freud auf Fragmente von Walter Benjamin. Bei Prada machen die Künstler die Kuratoren arbeitslos, denn auch die zweite große Ausstellung wurde von einem Künstler – nämlich Thomas Demand – kuratiert. "L’image volée" ist nicht weniger spektakulär und breitet eine Reise von Bildern und Motiven vor dem Besucher aus, der auf diese Weise aufs anschaulichste nachvollziehen kann, wie jeweils ein Künstler auf dem Werk eines anderen aufbaut.
Eine Reminiszenz aus ferner Vergangenheit
Vor der Rückreise muss ich unbedingt noch rasch in das Museo del Novecento, um einige Ikonen der italienischen Kunst des 20. Jahrhunderts zu besuchen. "Il quarto stato" hängt hier – der Protestmarsch der Arbeiter von Giuseppe Pellizza da Volpedo. Unbedingt möchte ich auch noch die spektakuläre Neonarbeit von Lucio Fontana anschauen; mit dem Mailänder Dom, der im Hintergrund durch die Scheiben blitzt, ist das ein atemberaubendes Erlebnis. Am Ende begegnet mir dann noch eine Reminiszenz aus wirklich ferner SCHIRN-Vergangenheit: Im obersten Stock, in der Arte programmata-Abteilung steht das "Ambiente stroboscopico" von Davide Boriani. Wir haben es 2007 rekonstruiert. Jetzt steht es hier in Mailand.