Ingrid Pfeiffer berichtet von einer Yoko Ono-Ausstellung in der Serpentine Gallery und der Damien Hirst-Retrospektive in der Tate Modern.
Es scheint, als ob der Reigen der Yoko Ono-Ausstellungen jetzt begonnen hat: Nach einer kleineren Präsentation im Moderna Museet in Stockholm Anfang Juni hat jetzt auch die Serpentine Gallery in London ihre nicht sehr großen, aber lichtdurchfluteten und charmanten Räume einigen Filmen, Objekten und Installationen von Yoko Ono gewidmet. Das im Londoner Kensington Garden beheimatete Ausstellungshaus ist ein Ort der Gegenwartskunst und als lebende und noch sehr aktive Gegenwartskünstlerin wurde auch Yoko Ono dort vorgestellt.
Die Auswahl der Arbeiten umfasst zwar auch historische Werke wie ihre Performance „Cut Piece“ oder die Filme „Fly“ und „Bottoms“ und einige Objekte der 1960er-Jahre, doch insgesamt liegt der Schwerpunkt eher auf neueren Arbeiten. Dazu passt auch die Präsentation, denn außer Titel und Jahr erfährt der Besucher zunächst nichts über den damaligen historischen Kontext, über Yoko Ono’s Rolle im Fluxus-Kontext oder über ihr grundlegendes Konzept, den Betrachter mittels „Instructions“ zur Aktion anzuleiten und gedankliche wie körperliche Partizipation des Ausstellungsbesuchers einzufordern. Erst nach Lektüre des Katalogs, den aber bekanntermaßen nur 5 % der Ausstellungsbesucher kaufen, werden solche Zusammenhänge deutlich.
Diese kühle und zeitlose Präsentation in der Serpentine Gallery wirkt elegant – auch, weil viele Objekte von Yoko Ono weiß sind oder aus Plexiglas – aber die wegweisende Rolle, die Yoko Ono für die Konzeptkunst seit den 1960er Jahren spielt, wird nicht richtig deutlich. Manche ihrer Ideen wirken heute nicht mehr neu oder aufregend, denn viele junge Künstler sind seither diesen Weg gegangen, es gibt unzählige Nachfolger, wie etwa die zahllosen Performances während der Schirn-Reihe Playing The City in den letzten drei Jahren gezeigt haben.
Partizipation und damit Kritik an individueller Autorschaft sind solche Allgemeinplätze in der Gegenwartskunst geworden, dass man leicht vergisst, woher dieses Konzept stammt. Yoko Ono war in den 1960er-Jahren eine Pionierin auf diesem Gebiet und darin auch besonders konsequent. Die Radikalität, die in vielen ihrer frühen Arbeiten steckt, heute wieder sichtbar werden zu lassen, wird auch bei unserer Retrospektiv-Ausstellung in der SCHIRN im nächsten Februar die größte Herausforderung darstellen.
Das Lebenswerk ist längst nicht abgeschlossen
Die 79jährige Künstlerin möchte natürlich selber nicht historisiert werden – sie ist noch aktiv und tatkräftig, macht Filme, Performances und Installationen. Für sie ist ihr Lebenswerk noch längst nicht abgeschlossen, und das sieht wohl jeder andere ältere Künstler genauso. Doch als Kurator hat man eine Sicht von außen und möchte den Künstler so eingeordnet und auch von einem breiten Publikum verstanden wissen, wie er oder sie es verdient.
Neben dem Besuch der Eröffnung in der Serpentine Gallery stand selbstverständlich auch ein Besuch der großen Damien Hirst-Retrospektive in der Tate Modern auf dem Programm. Der Großverdiener und Skandalkünstler Hirst bewegt seit vielen Jahren die Gemüter, und es ist nicht leicht, neben bestimmten Ressentiments, die durch zahllose Medienberichte geschürt werden, das Werk selbst wieder halbwegs objektiv zu betrachten.
Tabubrüche sind kontextabhängig
Umso überraschter war ich, dass es doch Neues zu entdecken gab, so etwa einen frühen Film (Hirst mit längerem dunklem Haar), in dem er auf ironisch-morbide Weise erklärt, wie man sich mit einer Pistole besonders effektiv erschießen kann, ohne es ungewollt zu überleben. Bereits in diesem Frühwerk hatte Hirst sein großes Thema gefunden: den Tod oder vielmehr die Vergänglichkeit, und er sagt im Interview, dass er bis heute jeden Tag über den Tod nachdenkt. Dieses altbekannte Vanitas-Thema mag manchen banal erscheinen, doch mich persönlich überkommt immer noch das Schaudern, wenn ich Hirsts glänzende Vitrinen mit ihren sauber aufgereihten medizinischen Geräten, den Schalen und Messern, den Pinzetten und anderen grausigen Utensilien sehen muss. Der Anblick löst bei mir geradezu Phobien aus, während dies bei anderen Menschen vielleicht bei der Betrachtung eines blutigen und von Fliegen umschwärmten Kuhschädels passiert. Tabubrüche sind immer kontextabhängig und jeder Mensch reagiert auf andere Eindrücke besonders heftig oder auch gar nicht. Die riesige schwarze runde Reliefscheibe, besetzt mit Tausenden von glänzenden toten Fliegen, sah ich das erste Mal im Guggenheim Museum in New York als Schlusspunkt einer Minimalismus-Ausstellung, und diese Arbeit begeistert mich immer noch.
Hirsts Kunst hat eine inhaltliche Dimension, die nicht wegzudiskutieren ist. Aber die Form ist es, die den Inhalt transportiert, und das kann funktionieren oder auch nicht. Nur das gelungene Objekt löst den beschrieben „Affekt“ aus, das Gefühl, das Schaudern oder das Staunen vor der Schönheit. Zahllose bunte Schmetterlinge, Symbole der Auferstehung nach dem Tod, hat der Künstler für seine großformatigen ornamentalen Bilder gezüchtet. Das mag einem leidtun, doch was ist mit dem Sterben der Millionen Tiere in unseren Schlachthäusern? Ist deren Tod immer „sinnvoll“?
Bilder, die an Kirchenfenster erinnern, zusammengesetzt aus einem Mosaik, bestehend aus Tausenden bunter Schmetterlingsflügel – Schönheit und Schaudern, christliche Allegorie und kontroverse Gegenwart: Nicht alle Arbeiten von Hirst können mich so überzeugen wie diese, doch jedenfalls lohnt es sich, diese Retrospektive zu sehen und sich ein eigenes Urteil zu bilden.