Was tun, wenn das eigene Werk zum Internet-Meme wird? Künstler Tim Etchells findet das gut und verrät im Gespräch, wie unsere Gegenwart die Satire überholt hat und was er von Immersion hält.
Man muss sich beeilen, wenn man mit Tim Etchells Schritt halten will. Denn der Kopf des Performance-Kollektivs Forced Entertainment hat einen beachtlichen Output — Performance, Prosa, Zeichnung, Video. Das konnte man etwa in der Ausstellung „Mit den Händen zu greifen und doch nicht zu fassen“ sehen. Er trat in der Mainzer Kunsthalle zusammen mit dem Bühnenmagier Vincent Gambini auf. Titel der Performance: „Can You See What I Am Saying“. Wir sprachen mit Tim Etchells über Sprachfundstücke, darüber, wie seine Werke zu Memes werden und warum er kein Interesse an Immersion hat.
Tim Etchells, in der Ausstellung in der Kunsthalle Mainz waren Sie mit vier Arbeiten in verschiedenen Medien vertreten. Bieten sich bestimmte Medien für bestimmte Themen an?
Für mich bieten sich unterschiedliche Medien für bestimmte Herangehensweisen an. Jede Form erlaubt einen anderen Schwerpunkt.
Zum Beispiel?
Bei einer Neon-Arbeit macht man ein schönes Objekt, mit Bezug auf eine bestimmte Ära der Werbung und der Architektur. Eine Zeichnung ist da ganz anders: von Hand gemacht, sie scheint viel vergänglicher. Mit einer Performance macht man gar kein Objekt mehr. Sprache entfaltet sich in der Zeit und im Raum durch den Körper.
Gibt es trotzdem eine Verbindung?
Am Anfang meiner Arbeit steht das Sammeln von Sprache. Mein Notizbuch ist voll mit Textfragmenten — selbstgeschrieben oder aus verschiedenen Kontexten. In den unterschiedlichen Medien kommt aber immer etwas anderes dabei heraus.
Das erinnert mich an die Dynamik von Memes: Bilder, die sich im Internet verbreiten, die ihre Bedeutung wechseln, die mit Sprache kombiniert werden.
Da gibt es auch eine Verbindung, schließlich befasse ich mich mit Fragmenten. Ich nehme oft ganz verschiedene Bruchstücke: eine mitgehörte Zeile im Bus oder im Zug, einen Satz aus einem Film, einem Text oder aus dem Internet. Die nehme ich aus dem Kontext und gebe ihnen neue Form. Das mag ich auch an den Neons. Wo immer man sie hinhängt, kommt der Ort ins Spiel. „Let’s Pretend None Of This Ever Happened”, gerade in Mainz zu sehen, war vorher in Blackpool, davor im Bloomberg Space in London, einer großen Unternehmensgalerie. Das Objekt ist immer im Dialog: mit der Landschaft, mit dem sozialen Kontext, mit dem Betrachter. Das hängt mit der Offenheit des Fragments zusammen. Es verändert sich.
Lustigerweise verbreiten sich Ihre Neonarbeiten durch Social Media überall im Internet, ganz ähnlich wie Memes.
Das ist ziemlich interessant wie sich diese Bilder ohne Zuschreibung verbreiten. Sie werden zu Elementen in einem größeren Diskurs. Genau das interessiert mich auch, wenn ich mit Sprache arbeite.
Was macht der Kontext dann mit den Arbeiten?
Blackpool zum Beispiel hat eine lange Tradition von Illuminationen, einer populären Attraktion aus dem 19. und frühen 20. Jahrhundert. Jetzt durchlebt die Stadt eine ökonomische Depression und ist wahrscheinlich eine Hochburg der Pro-Brexit-Wähler. Dann hängt man diesen Satz „Let’s Pretend None Of This Ever Happened” dort hin, und es ergibt nicht nur die Referenz auf die Geschichte der Illuminationen, sondern auch auf die aktuelle wirtschaftliche Situation in Nordengland.
In Mainz hat es außerdem auch eine Performance geben. Sie haben einmal darüber gesprochen, wie wichtig Regeln für Ihre Performancearbeit sind.
Ich finde Beschränkungen sehr hilfreich. Die Arbeit in Mainz war Teil einer Serie. Dabei ist wichtig, dass das Territorium erkennbar ist, in dem ich arbeite. Das passiert zum Beispiel, wenn ich sicherstelle, dass die Regeln leicht verständlich sind. In diesem Fall: wiederholen, verändern, überschreiben von Sprachfragmenten.
Wo kommen die Fragmente her?
Ausgangspunkt sind Karteikarten mit Textstücken. Die sind aus meinem Notizbuch, in unterschiedlichen Kontexten gesammelt. Dabei geht es darum, das Material zu prüfen: Wie verhält sich ein Satz zum anderen? Was wird aus mehreren Sätzen? Es gibt eine Beschränkung. Aber die Regeln werden während der Performance klar. Ich muss sie nicht erklären.
Es gab auch einen Zauberer bei der Performance, oder?
Naja, es war ein Abend in zwei Teilen. Der andere Künstler arbeitet unter dem Namen Vincent Gambini. Wir übernahmen jeweils eine halbe Stunde.
Was bedeutet der Titel: „Can You See What I’m Saying“?
Das ist der Titel für den ganzen Abend. Er erinnert daran, dass Sprache Bilder evoziert. Vincent Gambini bewegt sich an der Grenze von Bühnenmagie, Kartentricks und philosophischen Überlegungen, wie Wahrnehmung funktioniert. Dabei spielt Sprache natürlich auch eine wichtige Rolle, nämlich als Kommentar. Seine Arbeit hat einen Bezug zum Titel — ein Satz aus meinem Archiv. Das passt zu unseren jeweiligen Arbeitsweisen.
Was ist der Unterschied, wenn man im Museum arbeitet statt auf einer Bühne?
Ich denke viel darüber nach, wie viel Aufmerksamkeit eine Arbeit braucht. Im Theater kann man 200 Menschen gut dazu bringen, sich eine Zeit lang zu konzentrieren. Da gibt es eine ganz andere Aufmerksamkeitsökonomie. Das Museumspublikum ist hingegen viel informeller und unsteter. Es geht darum, die richtigen Entscheidungen zu treffen, auf die Architektur und die institutionellen Erwartungen zu reagieren.
Ihre Arbeit mit Forced Entertainment fordert viel vom Publikum und den Performern.
Wir haben bis zu 24 Stunden auf der Bühne performt. Damit kommt man an die Grenzen dessen, womit das Publikum klarkommt.
Kommt es da nicht auch zur Konfrontation?
Das interessiert mich. In Mainz wird es eine kurze Performance. Aber die Geschwindigkeit und die Improvisation sind schwer für mich. Die Form — ein Minimum von Material zu aktivieren — fordert auch viel vom Publikum.
Viele Ausstellungen drehen sich in letzter Zeit um Immersion und darum, den Betrachter einzubeziehen. Da geht es ja in eine ganz andere Richtung, im Museum so eine Performance zu machen, oder?
Ich bin ein bisschen skeptisch was Immersion angeht. Das liegt vielleicht gerade an meinem Performance-Hintergrund. Da ist es nämlich schwer, Brechts Kritik an den Rahmenbedingungen des Theaters zu entkommen. Mich interessiert die Kritik am Apparat, an den Produktionsbedingungen von Kunst. In meiner Arbeit mit Sprache geht es um die Kraft von Sprache — und zugleich darum, das auseinanderzunehmen. Es ist wichtig, an dem Ast zu sägen, auf dem man sitzt.
Die Sprache unterläuft sich selbst?
Genau. Immersion funktioniert nur, wenn man die Rahmenbedingungen vergisst — und ich habe kein Interesse am Vergessen.
Manchmal ist es so, als wollten Sie die echte Welt in Ihren Performances und Büchern präsent machen.
Das lässt sich kaum vermeiden, wenn man vorgefundene Bruchstücke benutzt.
Das tun sie auch in Ihrem Buch „Vacuum Days“ von 2011. Es ist voll mit übertriebenen, satirischen Schlagzeilen. Aber wenn man sich das heute ansieht, ist das alles nicht mehr so abwegig.
Ich weiß! Damals war es ein gutes Jahr für Satire. Aber die Wirklichkeit war schneller — dank Trump, dem Brexit und all der anderen Ereignisse in der Zwischenzeit. Ich würde gerne auf das Projekt zurückkommen. Eigentlich wollte ich es zehn Jahre liegenlassen und dann weitermachen. Aber die Gegenwart ist viel spektakulärer und absurder. Ich bin mir nicht sicher, ob da überhaupt noch Arbeit zu tun ist.
Artikel, Filme, Podcasts - das SCHIRN MAGAZIN direkt als WhatsApp-Nachricht empfangen, abonnieren unter www.schirn-magazin.de/whatsapp