Mit ihren digitalen Arbeiten lenkt Elizabeth Price den Blick auf wenig beachtete Narrative sowie kulturelle und soziopolitische Ereignisse. Neben der Recherche und Archivarbeit spielt das Fabulieren in ihrer künstlerischen Praxis eine besondere Rolle. Die Künstlerin Katrina Palmer spricht mit ihr über das Potenzial des spekulativen Denkens.
Mit ihren vielschichtigen digitalen Arbeiten greift die Künstlerin Elizabeth Price wenig beachtete Narrative sowie kulturelle und gesellschaftspolitische Ereignisse auf und inszeniert sie auf neue Weise. Ihre Videos werfen Fragen zu Aspekten von Macht, Gender, Wert und Sprache auf und erkunden sie im gemeinsamen Raum von Technologie und Kultur.
Die Künstlerin und Autorin Katrina Palmer hat für das SCHIRN MAG und VARIOUS ARTISTS mit ihrer Freundin Elizabeth Price über das künstlerische Werkzeug des Fabulierens (“fabulating”) gesprochen, mit dem Gegenwart gestaltet und bestehende Narrative neu erfunden werden können.
Einer der vielen Aspekte, der mich an deiner Arbeit so fasziniert ist ihre Fähigkeit, das allgemein akzeptierte soziale Gedächtnis zu erschüttern und die hierarchischen räumlichen Metaphern zu hinterfragen, die vorgeben, was vergessen und was erinnert wird. Sie entlarvt die strukturelle Hegemonie, die eine wahrgenommene natürliche Ordnung und die ihr inhärenten Werturteile begünstigt. In deiner kreativen Vorgehensweise sehe ich was das räumliche Denken betrifft eine Form der archäologischen Freilegung. Kannst du die Verbindung zwischen zukunftsorientiertem Denken und dieser Metapher und wie sie mit Machtstrukturen zusammenhängt, vielleicht etwas näher erläutern.
Elizabeth Price: Ich interessiere mich für Dinge, die als untergeordnet, ordinär oder minderwertig angesehen werden. Der bestehende Status eine Artefakts ist in der Tat etwas, das ich in meiner Arbeit offen, gegebenenfalls auch satirisch zum Ausdruck bringe, wobei ich oft räumliche Metaphern verwende. Du hast Recht, wenn du sagst, dass viele der Dinge, die in meiner Arbeit vorkommen, gerne in Vergessenheit geraten. Es ist gerade dieser Umstand, dass sie nicht in Gänze erinnert werden, der mich interessiert – und in meiner Arbeit geht es mir nicht nur darum, dies zu korrigieren. Eine sinnvolle ‚Richtigstellung‘ ist in der Regel nicht möglich, aber selbst, wenn sie das wäre, wäre sie nicht das Ziel meiner künstlerischen Praxis. Ich möchte die Dinge nicht aufwerten oder sie einer höheren Wertekategorie zuordnen. Es geht mir vielmehr um die psychosozialen Folgen, die es hat, wenn sie beinahe vergessen werden.
Ich verwende in erster Linie Präsens – bzw. der Chor der Erzählenden in meinen Videos spricht meistens im Präsens, die Zeitform, in der die Betrachter*innen die Arbeit erleben. Ganz gleich, ob die Erzählenden ein soziales oder kulturelles Thema ansprechen, bzw. eine futurologische Fiktion entwerfen, stellen sie doch meistens einen Bezug zur Gegenwart her, zum ‚Hier und Jetzt‘, ‚dieser‘ Rezipient*innen. Mein Ziel ist immer, für die Artefakte, die ich präsentiere, eine nicht dem Leben nachempfundene Form von Lebendigkeit zu kreieren, eine inszenierte ‚Lebendigkeit‘. Ich tue dies, um die Betrachter*innen davon zu überzeugen, dass der betreffende Gegenstand, das dargestellte Narrativ, nicht geklärt ist und dass diese Ungeklärtheit im Raum steht.
Damit bleibt die implizite Möglichkeit von etwas zurück, das über das hinausreicht, was bereits hier ist. Die Fantasie wird zum wesentlichen Bestandteil des Alltäglichen. Es geht nicht um Betrug oder Halbwahrheiten, sondern um ein imaginatives Fabulieren, das es uns ermöglicht, das Ungesehene zu wollen oder glauben zu können – nicht nur die beiden anderen Beine des Stuhles, auf den wir uns gerade setzen wollen, sondern umfassendere alternative Realitäten, neue Wendungen bzw. Gedankengänge und Fiktionen, die als spekulative Präsenz ins Spiel kommen und durch einen kreativen Prozess realisiert werden. Geht es beim Fabulieren gar nicht so sehr um das Neue, sondern eher um Wiederverwertung und eine gesteigerte Aufmerksamkeit für das, was in der Gegenwart vorhanden ist?
Elizabeth Price: Genau. Fabulieren ist für mich nicht das Kreieren von etwas Neuem. Ich greife vielmehr auf, was wir kollektiv geerbt haben, woran wir nicht beteiligt waren, was wir nicht gestaltet haben, aber was uns prägt – und das adaptiere ich dann für andere Zwecke. Ich würde das als etwas beschreiben, dass zwischen den ‚anderen beiden Beinen des Stuhles liegt, auf den wir uns setzen werden‘ und die ‚umfassenden alternativen Realitäten, neue Wendungen bzw. Gedankengänge und Fiktionen, die als spekulative Präsenz ins Spiel kommen‘, von denen du gesprochen hast, können als potenziell radikale Ableitungen von gewöhnlichem Wissen erfolgen.
Während der Produktion von „THE WOOLWORTHS CHOIR OF 1979“ gab es einen Moment, in dem ich dies erst richtig verstanden habe. Ich hatte die Zeugenaussagen zu einem Brand in einem Kaufhaus recherchiert. Sie schilderten, wie eine Gruppe weiblicher Angestellter, die in dem Gebäude hinter vergitterten Fenstern eingeschlossen war, begann, kleine keramische Objekte wie Tassen und Teller aus dem Fenster zu werfen. Das Verhalten der Frauen hat mich beim Lesen, nicht nur wegen der Gefahr des Feuers an sich, emotional sehr berührt. Zunächst dachte ich, es sei das Bild des Kaufhauses mit den eilig ausgeräumten Waren, das meine Aufmerksamkeit erregt hatte, oder vielleicht der zornigen Auflösung einer Idealvorstellung von Häuslichkeit. Und ja, die Flugbahn der Tassen fand ich wirklich auch interessant. Aber mir wurde klar, es war eigentlich die Idee, eine Tasse als geräuscherzeugendes Objekt neu zu erfinden, die ich tatsächlich spannend fand. In einer kritischen Situation haben diese jungen Frauen alltäglichen Gegenständen eine radikal andere Funktion verliehen, um auf sich aufmerksam zu machen. Und es ist ihnen gelungen, sie sind dem Feuer entkommen.
Der Titel der Ausstellung in der SCHIRN bezieht sich auf diese Erkenntnis und die Geste des Zerbrechens des jakobinischen Weinglases in „A RESTORATION“ ist eine bewusste Anspielung auf die Frauen, die durch ihre Idee dem Woolworth-Feuer entkommen sind. Dieses Glas wurde nach der Wiederinstandsetzung der Monarchie 1660 in England als Erinnerungsstück angefertigt. Es ist mit einem gravierten Bild von Prinz Charles (des später wiedereingesetzten König Charles II) während des vorangegangenen Bürgerkrieges versehen. Die Gravur zeigt Charles, der während der Schlacht von Worcester weit oben in den Ästen einer Eiche kauert. Es heißt, dass er so unbemerkt von den Roundhead-Soldaten fliehen und das Überleben der Monarchie sichern konnte.
Ich weiß noch, wie der Kurator im Ashmolean Museum dieses Glas in der Hand hielt und es mir zeigte. Alles woran ich denken konnte, war, dass es ihm aus der Hand fallen und auf dem Boden zerbersten könnte. Ich fragte den Kurator, ob das Glas womöglich eine unterschwellige revolutionäre Botschaft vermittle? Drückte dieses Andenken aus offenkundig zerbrechlichem Glas nicht vielleicht, wenn auch unbewusst, den Wunsch aus, dass die Monarchie doch nicht fortbestehen würde?
Dem konnte er nicht zustimmen, und kunsthistorisch gesehen hat er sicherlich Recht. Ich möchte auch gar nicht in Frage stellen, dass dieses Objekt als royalistisches Symbol angefertigt, verkauft und aufbewahrt wurde. Aber in einem gewissen Sinne hat er auch Unrecht, wie ich finde, da das Objekt einige Widersprüche enthält, die durch ein anderes Narrativ beleuchtet werden könnten. Sicherlich ermöglicht dieses Objekt auch die Vorstellung einer anderen, nicht eingetretenen Geschichte: Charles stürzt vom Baum, landet auf dem Boden und wird von den Roundheads gefangen genommen. Wie ein zerbrochenes Glas kann auch die patrilineare Monarchie nicht wiederhergestellt werden.
Diese Interpretation mag abwegig sein, aber sie ist keine Lüge. Meine Geschichte entwickelt nur dann ihre rhetorische Kraft, wenn man auch weiß, was tatsächlich passiert ist. Und wenn ich mit meiner Arbeit einen Rückgriff auf die Vorstellung von einem historischen Artefakt suggeriere, ist das nicht einfach fabuliert. Ich möchte nicht behaupten, dass Geschichte keine Rolle spielt oder dass das Erfinden von Dingen nicht von der Geschichte unterschieden werden sollte – ich lasse lediglich meiner Vorstellungskraft angesichts der Ungereimtheiten und unausgeschöpften Möglichkeiten des Artefakts freien Lauf. Damit will ich sagen, dass die Gegenwartsbedingungen der Vergangenheit für radikale Erfindungen zur Verfügung stehen.
Deine Arbeit „UNDERFOOT“ (2022) zeigt Fotografien einer Bibliothek, bevor sie von Büchern und Lesern bevölkert wird. Gibt es eine Analogie zwischen den Ansichten der Bibliothek, bevor sie von der Öffentlichkeit in Besitz genommen wird, und der Zurückgezogenheit und dem Maß an Präzision, wie es deiner Arbeit im Atelier inhärent ist? Wie wirkt sich die Anwesenheit der Öffentlichkeit auf die Arbeit aus?
Elizabeth Price: Das in „UNDERFOOT“ gezeigte Gebäude ist die Mitchell Library in Glasgow: Europas größte öffentliche Leihbibliothek. Die Bauarbeiten begannen 1972, wurden aber erst 1980 abgeschlossen. Nach der Fertigstellung konnte die Stadtverwaltung das Gebäude zunächst für sechs Monate aus Kostengründen nicht eröffnen und mit Büchern füllen. In diesem Zeitfenster sind diese außergewöhnlichen Fotos entstanden. Diesen verfehlten Start der Bibliothek fand ich interessant, wie auch die Tatsache, dass sie außerhalb ihres eigenen historischen Moments gelandet ist. Denn die Vorstellungen von öffentlichem Raum und der Öffentlichkeit selbst, die seiner Gestaltung zugrunde lagen, hatten sich in der Zwischenzeit radikal verändert, insbesondere durch die Wahl von Margaret Thatcher 1979.
Es war womöglich eines der letzten Gebäude dieser Art, das die Werte der sozialstaatlichen Nachkriegszeit durch eine Architektur der Moderne zum Ausdruck brachte. Und es gab Aspekte der Gestaltung, die eine gewisse Großzügigkeit vermittelten und die Funktion der Bibliothek erweiterten, wie z.B. Carrels, d.h. schallgedämmten Lesekabinen, und einem so genannten ‚Splash-Bereich‘ im Lesesaal für Kunst, ein gefliester Bereich mit Spülbecken und Staffeleien zum Malen. Beeindruckend, oder?
Das Konzept für das Gebäude hatte für seine Nutzer eine ganz andere Zukunft vorgesehen als jene, in der sie sich schließlich wiederfanden. Ich denke es ist unmöglich, sie zu betrachten, und dabei nicht an Mark Fishers Text über Hauntology und Pop-Modernismus zu denken. In der ersten Hälfte meines Films geht es um eine Huldigung dieser nicht eingetretenen Zukunftsvision. Nach einigen Momenten der Betrachtung dieser Bilder wirken diese jedoch, wie ich finde, weniger optimistisch, weniger harmlos. Vielleicht suchen wir, da es keine Bücher und keine Geschichten gibt, nach der Geschichte des Raums selbst. Der zweite Teil des Films befasst sich mit einigen Auswirkungen dieses Umstands.
Und was die Leere betrifft, ja es ist richtig, dass in meinen Videos eigentlich keine Menschen vorkommen. Und wenn doch, dann trägt sich diese Handlung in vorgefundenem Filmmaterial zu. Ich richte meine Kamera nie auf andere Menschen. Überdies habe ich nur vier Filme produziert, die bestehende architektonische Räume zeigen. Jedes meiner Videos beschwört jedoch eine bestimmte institutionelle oder ideologische Welt herauf, einen Ort der Ideen, der Gesetze, der Konventionen. Und in jedem Video stelle ich, mir und anderen, irgendwann die Frage – können wir da drin überleben? Oder anders gesagt, können wir hier drinnen überleben? Dieser Ort wird von den Erzählenden immer als ‚hier‘ bezeichnet. Damit möchte ich eine Spannung zwischen dem eigentlichen Ort der Installation und der körperlichen, verkörperten Präsenz derjenigen herstellen, die zuschauen und zuhören. In der Tat ist das Publikum wesentlich für die Arbeiten – es bevölkert und vervollständigt sie.
Und die Präzision? Ich denke, dass die Aussagekraft meiner künstlerischen Arbeiten vor allem von der zeitlichen Abstimmung abhängt. Das präzise Timing eines Witzes, einer Geste, einer erzählerischen Wendung oder eines Spannungsbogens – die Präzision von Rhythmus oder Takt bei der musikalischen Komposition und bei den Chören. Wir neigen in der bildenden Kunst zu der Annahme, dass Exaktheit im Gegensatz zu einer experimentellen Herangehensweise steht, aber meine Experimente in der Verbindung von Text, Klang und Bild scheinen sie zu erfordern. Aber ich glaube du hast Recht, diese Exaktheit hat etwas an sich, was sich aus der erlebten, ziemlich intensiven sozialen Isolation während der Herstellung der Arbeit ergibt. Es ist, als würde ich mich über viele Monate nervös darauf vorbereiten, dass das Publikum endlich kommt.
Können wir nochmal auf die Bibliotheksfotos zurückkommen? Das leuchtende Weiß der stillstehenden und leeren Stühle auf den Archivbildern unterstreicht die gespenstische Präsenz der noch nicht anwesenden Figuren. Statt Menschen gibt es kümmerliches Furnier aus Holz von Eichen, australischen Kastanien und Teakbäumen; Pfingstrosen und Lotusblüten werden durch einen Prozess der technologischen Verarbeitung und synthetischen Darstellung vermittelt. Diese Elemente sind Teil der rastlosen Unmittelbarkeit oder der ‚nicht dem Leben nachempfundenen Lebendigkeit‘ dieser Arbeit, wie ich sie verstehe. Das ist verstörend und muss auch so sein.
Angesichts der Aufmerksamkeit, die du der Besonderheit der Gesten von darstellenden Körpern widmest, den Objekten, ihren Oberflächen und Konturen, ihrer Materialität, der Form ihrer Klassifizierung und der Veränderung durch Technologien, ihrer Verwandlung aus dem Blickwinkel des Zeitpunktes der Betrachtung und ihre Wirkung im Verhältnis zur Erinnerung: Assoziierst du deine Arbeit mit dem Aspekt des Gedenkens, des Unheimlichen?
Elizabeth Price: In einigen meiner Arbeiten spielen, glaube ich, das Gedenken, Trauer und Kummer eine Rolle. In „UNDERFOOT“ geht es darum, von der Erinnerung überwältigt zu werden, eine Art Panikattacke, das Gefühl sich in einem Gewirr aus alten und modernen historischen Kräften zu verstricken. In dieser leeren, hohen Architektur der Moderne konnte ich zu meiner Überraschung die Präsenz der mittelalterlichen Gotik ausmachen und mit der mittelalterlichen Gotik lässt sich das Bild des Waldes assoziieren. Die gotische Kathedrale ist ein aus Stein erbauter Wald, ein todbringendes, unheimliches Bild. Die Art und Weise wie diese Elemente in der Bibliothek zusammenwirken, wie sie die Klangwelt umschließen und abdämpfen, ist beunruhigend und angsteinflößend. Das ist ein ziemlich intensiver und halluzinatorischer Sprung. Ich möchte der Bibliothek damit jedoch nicht etwa eine bestimmte Bedeutung zuweisen; es ist vielmehr eine mögliche Lesart, die auch in den kleinsten Details erkennbar ist.
Wie auch immer …es gibt diese widersprüchlichen Gefühls- und Gedankenstränge, die sich durch die Arbeit ziehen, aber der Grund warum die leere Bibliothek ein Gefühl von Angst auslöst, erklärt sich vielleicht aus dem Umstand, dass wir sie ohne ihre Bücher, ihre Geschichten als unerwartet nüchterne und abweisende Abstraktion wahrnehmen.
Ist es deine Absicht mit dem Inhalt der Videos und durch die wechselnden Oberflächen und die dezidierte Gegenwartsform dieses verstörende Erlebnis zu erzeugen? Die Wiederholung von „HERE“ und „NOW“ in deinen Texten kommt im Raum zum Ausdruck, wobei die sich herausbildende Bedeutung die Aufmerksamkeit und Auseinandersetzung damit einzufordern scheint. Diese Erwartung ergibt sich aus dem Zusammenspiel von Worten, Stille, Wendungen, Pausen, Stürzen, Schwankungen und Unterbrechungen. Die Einbeziehung von „YES“ in deine Texte verwandelt das Gegenwärtige in eine sinnliche Erfahrung, die das Publikum einbindet und ein gemeinsames Verständnis schafft. Die kumulative Wirkung des wiederholten „YES“ in deinen Projekten ist gleichermaßen subtil und bestimmt, und sie verwandelt das dezent Affirmative in eine ekstatische, beinahe erotisierte Überzeugtheit. Verbirgt sich hinter diesem kumulativen Ansatz eine Absicht oder ist das nur meine eigene Wahrnehmung?
Elizabeth Price: Ich glaube das ‚Yes‘ ist ein Moment des Zulassens. Mit Zulassen meine ich vor allem, dass etwas in die Arbeit einfließen kann: eine transformative Idee, ein andersartiger Gedanke, ein Wunsch, ein Gefühl oder eine Empfindung. In jeder der Arbeiten findet sich so etwas; ein Drama, eine Krise oder eine Entwicklung, die häufig mit einem ‚Yes‘ angekündigt wird. Okay, lass es rein.
Wobei der ‚Yes‘-Moment jedoch nicht immer eindeutig ist. Manchmal ist er Ausdruck der Verlockung schädlicher oder repressiver Ideen, der Aufforderungen von Werbung, der Mahnungen von Institutionen. Der Erzählende sagt ‚Yes‘. Aber ich denke: ‚No!‘. Aber unabhängig davon, kommt, glaube ich, durch das Affirmative selbst immer auch ein Gefühl von Freude und Erleichterung ins Spiel. Deine Beschreibung scheint mir zuzutreffen – ich fühle mich gleichermaßen anwesend und fortgetragen.
Um ganz offen zu sein, ich glaube, dass die Erinnerung an ein religiöses Erlebnis hier einen Einfluss hat. Ich bin in einer streng gläubigen katholischen Familie aufgewachsen. Oft meine ich in der Ästhetik dieser Momente, die meistens Rhythmus und Melodie sowie Tanz beinhalten, die Konturen von etwas Katholischem auszumachen. (Ich finde nicht, dass sie katholisch aussehen oder klingen, vielmehr lassen sie etwas zu, was auch in der katholischen Liturgie vorkommt). Dies sind Gedanken, mit denen ich mich bewusst beschäftige – mein Interesse an der Popmusik rührt beispielsweise auch daher, dass sie einen säkularen Raum für bestimmte intensive, kollektive Erfahrungen bietet, wie sie sich früher bei religiösen Ereignissen zugetragen haben. Häufig funktioniere ich zum Beispiel existierendes Filmmaterial von Pop-Events zu einer altertümlichen Form der Klage um. Meine Faszination für diese Momente geht über das Forschungsinteresse hinaus. Hier kommt eine andere Art von Spannungsmoment ins Spiel: die tiefgründige Anziehungskraft einer prägenden kulturellen Identität. Ideologisch gesehen bin ich nicht mehr katholisch, aber mein ästhetisches Vorstellungsvermögen ist von der Kultur des Katholizismus geprägt.
Ich bin hier versucht, an einen Vorfall zu erinnern, der sich zwischen uns zugetragen hat: ich hatte dir einen meiner Texte gegeben, wobei unten auf der Seite in einem separaten Abschnitt etwas fragwürdige und störende Bemerkungen aufgeführt waren, anscheinend verworfene Bearbeitungen, aber es war nicht klar, ob das gelesen werden sollte oder nicht. Es gibt hier eine Parallele zu deiner Arbeitsweise beim audiovisuellen Videoschnitt und ich frage mich, ob sie darüber Aufschluss gibt, wie man den Zugriff auf jene exzessiven oder obszönen Elemente bewahrt, die beinahe vergessen sind, um eine hinterfragte Gegenwart darzustellen?
Elizabeth Price: Ja ich erinnere mich an diesen Text mit den Bemerkungen, die etwas ziellos, halbfertig und pornografisch aus der Reihe zu tanzen schienen. Es war großartig, wie sich die Prosa offenbar in flüchtigen Gedanken auflöste. Und ja, ich sehe da einen Bezug zu meiner eigenen Arbeitsweise, bei der ich Elemente nicht verwerfe, sondern sie in die Zeitachse des Videoschnitts einfüge. Ich verberge sie unter anderen Dingen. Das liegt nicht daran, dass sie zwangsläufig exzessiver oder obszöner sind. Vielmehr sind sie oft ähnlich, aber anders als das, was sie verbirgt.
Ich glaube ich suche beim Videoschnitt nach versteckten Mustern. Aber man kann ein Muster erst dann benennen, nachdem man es beobachtet hat. Nach einem Muster zu suchen, welches man noch nicht erkannt hat, bedeutet, nicht mehr weiterzuwissen, aber aufmerksam zu sein. In diesem Zustand können Sprünge der Fantasie wild, lustig, paranoid, morbid sein … Wenn ich eine Arbeit fertigstelle, überlege ich immer hin und her, wie viele dieser Gedankensprünge ich zum Ausdruck bringen kann, oder ob sie verborgen bleiben müssen. Ich ändere häufig meine Meinung, immer und immer wieder. Vielleicht trägt das dazu bei, dass die Dinge in der Gegenwart ungeklärt bzw. strittig erscheinen, da ich mir oft, auch was den nur vorläufigen Abschluss einer Arbeit betrifft, nicht sicher bin.
Wenn ich über deinen Text nachdenke, kommt mir auch der Gedanke von Überresten in den Sinn … Gedanken, für die sich kein Ort gefunden hat. In der Kunstproduktion fällt so viel davon an: die unausgegorenen, mitunter peinlichen Ideen, die wie Abfall herumliegen, am Ende eines Textes, am Ende eines Zeitplans, in einem Ordner mit dem Verweis ‚Sonstiges‘ oder ‚Dies und Das‘. Zum Abschluss möchte ich daher eine halbfertige Notiz anbringen, um eine deiner Fragen zum Thema Skulptur zumindest teilweise zu beantworten (was nun auch rausgestrichen wurde) …
„……wenn wir uns noch einmal den geräuscherzeugenden Tassen zuwenden, dann ist die Geste (der gelungenen Flucht der Woolworth-Mitarbeiterinnen) nicht nur eine Zweckentfremdung der Funktion der Tassen, sondern auch eine Art Animismus. Die Frauen müssen die Tassen zerschlagen, um Alarm zu schlagen, da ihre Stimmen nicht laut genug sind. Sie bringen die Tassen zum Sprechen, zum Schreien, dazu, auf sie aufmerksam zu machen…“