Wie lassen sich Familienleben, Kunstsammlung und Ausstellungsprojekte miteinander vereinen? Wir haben Johanna und Friedrich Gräfling im unterfränkischen Wiesen besucht, wo sie einen Kunstverein betreiben und die Wochenenden mit ihren Kindern Wilhelmine und Dagobert verbringen.
Rund 30 Kilometer von der unterfränkischen Kleinstadt Aschaffenburg entfernt, haben Johanna und Friedrich Gräfling in dem 1.000-Seelen-Dorf namens Wiesen ein kreatives Refugium für ihre Familie und ihre Kunst geschaffen. In den ehemaligen Stallungen eines Jagdschlosses aus dem Jahr 1597 finden sich neben zahlreichen Designklassikern der Postmoderne verschiedenste Werke zeitgenössischer Künstler*innen – von Alicja Kwade über Andreas Gursky bis Wolfgang Tillmans. Auf dem Boden, gefertigt aus einem ortstypischen roten Sandstein, lockern ein Pikler-Dreieck und einige Kuscheltiere der Kinder Wilhelmine (2,5 Jahre) und Dagobert (8 Monate) das fast museale Ambiente auf. Ein paar Straßen weiter, in den Räumen einer ehemaligen Sparkassen-Filiale, finden heute die Ausstellungen des Kunstvereins Wiesen statt, der 2014 von Johanna und Friedrich Gräfling gegründet wurde. In den ersten Jahren seines Bestehens diente das historische Schloss noch als Ausstellungsort für Werke von Künstlern wie Douglas Gordon, Fischli & Weiss oder Ólafur Elíasson. Wegen der Feuchtigkeit in den alten Gemäuern und den laufenden Restaurierungsarbeiten zog der Verein im vergangenen Jahr in die neuen Räume um – die zwar nicht ganz so geschichtsträchtig sind, dafür aber auch im Winter bespielt werden können.
Doch nicht nur in Wiesen geht das Sammlerpaar seiner Leidenschaft nach: Auch an ihrem ständigen Wohnsitz in Frankfurt am Main umgeben sich Johanna und Friedrich Gräfling mit zeitgenössischer Kunst. Diese findet sowohl in ihrer Wohnung als auch im darüber liegenden Salon Kennedy ihren Platz. In diesem Ausstellungsraum finden regelmäßig die sogenannten Salonabende statt – intime Veranstaltungen, bei denen Interessierten Kunst auf einer sehr persönlichen Ebene vermittelt wird. Ein Blick auf den Instagram-Kanal und die Website des Salon Kennedy verrät, dass die Frequenz der Ausstellungen und Events zuletzt etwas nachgelassen hat. Der Grund dafür präsentiert sich auf dem Arm von Johanna Gräfling, als sie die raumhohe gläserne Flügeltür in Wiesen öffnet und uns hereinbittet. Sohn Dagobert kam im Januar 2023 zur Welt und stellt seither den Alltag der Gräflings auf den Kopf...
Wie habt ihr euch kennengelernt und wann habt ihr angefangen, Kunst zu sammeln?
Johanna: Friedrich hat in London Architektur studiert und schon früh angefangen, Kunst zu sammeln. Ich habe in Paris Kunstgeschichte und BWL studiert und mich schon immer für die Kunst interessiert. 2010 haben wir uns durch gemeinsame Freunde kennengelernt und zusammen Klara Lidéns Serpentine-Ausstellung besucht. Das war unser erstes Date. Später haben wir angefangen, gemeinsam zu sammeln.
Wie viele Kunstwerke umfasst eure Sammlung? Gibt es bestimmte Schwerpunkte?
Friedrich: Es sind heute etwa 450 Werke. Einen festen Schwerpunkt gibt es nicht, aber über die Jahre hat sich ein roter Faden entwickelt. Momentan wächst und verändert sich die Sammlung entsprechend unserer Lebensumstände. Uns ist wichtig, die Künstler*innen, die wir aufnehmen, kontinuierlich zu verfolgen und wichtige Werke zu ergänzen.
Wolltet ihr schon immer Kinder?
Friedrich: Ja, für uns war immer klar, dass wir Kinder haben wollen.
Johanna: Auf jeden Fall, ja.
Wie hat sich euer Alltag verändert, seitdem ihr Eltern seid?
Johanna: Unsere Kapazitäten haben sich definitiv reduziert. Wir haben beruflich und privat immer tausend Dinge gleichzeitig zu erledigen – Ausstellungen planen, Dinner und Salonabende organisieren, Projekte für andere betreuen und so weiter. Da mussten wir feststellen, dass das mit Kindern nicht mehr so einfach funktioniert. Auch spontane Ausflüge zu Ausstellungen oder Vernissagen sind erst einmal weggefallen.
Friedrich: Der Fokus hat sich verschoben. Früher mussten wir nur uns beide abstimmen, jetzt sind die Kinder involviert und brauchen volle Aufmerksamkeit und kontinuierliche Betreuung.
Welche Rolle spielt die Kunst in eurem Familienleben?
Johanna: Die Kunst ist ein gemeinsames Interesse, das uns verbindet und inspiriert. Wir verbringen viel Zeit damit, über Kunst zu sprechen, Ausstellungen zu besuchen und Künstler*innen zu treffen. Es ist auch ein Teil unserer täglichen Umgebung, da unser Zuhause mit Kunstwerken gefüllt ist.
Das kann man wohl sagen. Wie lebt es sich mit kleinen Kindern zwischen all der Kunst?
Friedrich: Wunderbar. Man hat immer etwas zu entdecken, zu zeigen und zu erklären. Es ist schön zu sehen, wie Wilhelmine auf einzelne Werke reagiert und ihre eigene Fantasie und Interpretationen einbringt. Auch wenn sie noch sehr jung ist, hat sie schon ihre Vorlieben, zum Beispiel das große Gemälde von Grace Weaver in unserem Wohnzimmer. Auch Dagobert reagiert immer stärker auf Farben, Formen oder Texturen in den Kunstwerken.
Johanna: Für unsere Kinder ist es ganz normal, dass überall Kunst steht, hängt, leuchtet und Geräusche macht. Sie kennen es nicht anders. Es gibt bei uns auch keine verniedlichte Deko im Kinderzimmer. Es hängt voll mit bunter Kunst, die wir auch sonst aufgehängt hatten.
Habt ihr keine Sorge, dass etwas kaputt geht? Schützt ihr die teuren Stücke irgendwie?
Friedrich: Bisher ist noch nichts passiert. Für uns hat es eine Natürlichkeit, dass man mit manchen Objekten, Bildern oder Möbeln anders umgeht. Selbstverständlich wird etwas, das im Alltag stört, viel Pflege braucht, oder einfach zu groß und sperrig ist, nicht permanent in unseren Wohnräumen installiert, sondern ausgelagert. Aber diese Entscheidung ist unabhängig von den Kindern.
Johanna: Natürlich müssen wir aufpassen, sobald Dagobert die ersten unkoordinierten Bewegungen macht und anfängt, sich überall hochzuziehen. Als Wilhelmine in dieser Phase war haben wir, unseren Memphis-Beistelltisch kurzzeitig aussortiert. Aber wie Friedrich sagt: Bisher ist zum Glück noch nichts Schlimmes passiert. Wir haben natürlich immer ein Auge darauf.
Was möchtet ihr euren Kindern über Kunst vermitteln?
Friedrich: Dass Kunst ein wichtiger Ausdruck menschlicher Kreativität und Emotionen ist. Es geht nicht nur darum, Kunstwerke zu betrachten, sondern auch darum, die Geschichten und Ideen hinter den Werken zu verstehen. Wir möchten ihnen zeigen, dass Kunst vielfältig ist und verschiedene Perspektiven und Interpretationen ermöglicht.
Johanna: Außerdem lernen sie durch uns, dass Kunst nicht nur in Museen und Galerien existiert, sondern überall um uns herum sein kann. Wir ermutigen Wilhelmine auch immer, ihre eigene Kreativität zu entdecken und auszudrücken, sei es durch Malen oder Basteln. Statt Kinderbücher schauen wir uns gemeinsam Künstlerbücher an, einfach weil sie bei uns überall sind. Vor dem Schlafengehen kommt dann statt Peppa Wutz auch schon mal ein Fotoband von Wolfgang Tillmans zum Einsatz (lacht).
Eigene Ausstellungen planen und kuratieren, Dinner-Abende organisieren: Das alles kostet viel Zeit und Engagement. Wie teilt ihr euch die Care-Arbeit im Alltag auf?
Friedrich: Johanna ist hier wesentlich involvierter. Das liegt sicher auch am Stillen in den ersten Monaten. Ich versuche aber, so viel Zeit wie möglich einzubringen. Morgens bin ich meistens zuständig und abends versuche ich spätestens zum gemeinsamen Essen da zu sein.
Johanna: Ich habe mich schon seit der Geburt von Wilhelmine mehr und mehr aus den Projekten im Alltag rausgezogen – zumindest im ersten Jahr.
Die klassische Rollenverteilung hat sich bei euch also ganz natürlich ergeben?
Johanna: Ehrlicherweise waren wir anfangs recht naiv und dachten, durch unsere Selbstständigkeit können wir uns auch die Kinderbetreuung 50:50 aufteilen. Die Realität sah schnell anders aus: Ich konnte mich weder auf das eine noch auf das andere hundertprozentig konzentrieren, sodass Friedrich immer mehr meiner Aufgaben übernehmen musste und ich mich deutlich mehr um unsere Tochter gekümmert habe. Das wiederholt sich jetzt mit unserem Sohn. Anders ist es für uns nicht möglich. Ich versuche, soweit es geht involviert zu bleiben, aber mit zwei kleinen Kindern kann man nie wissen, wie der Tag verlaufen wird und wie viel Zeit letztendlich bleibt. Für Friedrich bedeutet das natürlich auch einen enormen Mehraufwand auf beruflicher Ebene.
Vielen Dank für das Gespräch!