Wir haben mit Simon Vogt, dem Host des beliebten YouTube-Formats DEUTSCHRAP IDEAL vom Hessischen Rundfunk (ARD) gesprochen – über erste Berührungspunkte mit der Hip-Hop-Kultur, Diversifizierung im Deutschrap und besondere Begegnungen mit Rap-Artists, die er bis heute nicht vergessen kann.
Mit der Ausstellung THE CULTURE blickt die SCHIRN aktuell vor allem auf die US-amerikanische Hip-Hop-Szene und ihre Einflüsse auf die zeitgenössische Kunst, dabei floriert die Hip-Hop-Kultur auch in Deutschland bereits seit Mitte der 1980er-Jahre. Kannst du uns einen Einblick geben – wie sah die deutsche Hip-Hop-Kultur aus, mit der du groß geworden bist?
Simon Vogt: Die deutsche Hip-Hop-Kultur war damals natürlich sehr stark von der amerikanischen beeinflusst. Angefangen hat es bei mir allerdings mit Graffiti. Vom Film „Wildstyle” zum legendären Graffiti-Festival „Meeting of Styles” in Wiesbaden bis zum eigenen Wirken. Parallel dazu kam dann Rap. Kassetten vom Rödelheim Hartreim Projekt und Tapes von MOR und Taktloss waren die ersten deutschen Sachen, die ich gehört habe, die nicht im Fernsehen liefen. Und spätestens als Azad dann wie eine Naturgewalt in die Szene kam, war das auf jeden Fall etwas mit dem ich mich identifizieren konnte. Durch Graffiti, Rap, aber auch die Liebe zu Basketball war dann auch die Brücke zur Fashion geschlagen. In den Anfängen ging mein Blick aber – auch durch meine Wurzeln – immer noch sehr stark nach Amerika. Das ist mit den Jahren weniger geworden.
Mit dem Youtube-Kanal von DEUTSCHRAP IDEAL blickst du seit Mitte 2021 hinter die Kulissen des Deutschraps, angefangen hat das Format jedoch als Radioshow. Wie ist Deutschrap ideal entstanden und welchen Stellenwert hatte Hip-Hop in Deutschland zu der Zeit?
Simon Vogt: Nach kommerziellen Erfolgen von Crews wie die Beginner in den 1990er-Jahren erlebte Hip-Hop und damit auch Deutschrap spätestens seit den Jahren 2016 und 2017 wieder einen großen Hype. Rapper*innen waren nicht mehr nur Szenegrößen, sondern haben sich in dieser Zeit bis heute zu Popstars und Marken des Mainstreams entwickelt. Einen großen Impuls hierfür setzte zum Beispiel 2016 das Album „Palmen aus Plastik” von Bonez MC und RAF Camora, Miami Yacine kam im gleichen Jahr mit „Kokaina” heraus und auch Apache 207 landete zwei Jahre später seinen ersten Hit. Es kam eine junge Rap-Generation auf, die einzelne Songs via Streaming an ihre Community brachte. Auch immer mehr Female Artists etablierten sich in der noch sehr männlich geprägten Szene.
Es gab eine riesige Community, denen wir als Hessischer Rundfunk bis dahin noch überhaupt kein Angebot gemacht haben. 2018 reifte in der Redaktion von YOU FM die Idee heran, diese spannende Entwicklung mit der Show „YOU FM featuring Flex FM” in Kooperation mit dem Label 385i von Celo & Abdi abzubilden und dem Deutschrap, seinen Artists und Fans eine Plattform zu geben. Unser Motto damals und heute: „Echte Leute, Beats und Stories”. Wir wollten die Stars der deutschen Rap-Szene ins junge Radio bringen. Die Community wuchs stetig und das Interesse in der Szene ragte schon früh weit über Hessen hinaus. So hatten wir schon in den ersten Radio-Sendungen Szenegrößen wie Xatar, die Antilopen Gang, Elif, Mero oder Kontra K zu Gast. Nicht zu vergessen ist DJ Kitsune, der als weitere Figur des Hip-Hop-Kosmos‘ die Show mit den passenden Beats abrundete: mit Oldschool-Boom-Bap bis hin zu Afro-Trap.
Wie kam es zu dieser positiven Resonanz, hattet ihr durch Frankfurts bewegte Hip-Hop-Geschichte – man denke nur an Rödelheim Hartreim Projekt, Azad, Celo & Abdi oder Haftbefehl – eine Art „Heimvorteil“?
Simon Vogt: Mit unserem Kooperationspartner, dem Frankfurter Label 385i von Celo & Abdi, hatten wir zu Beginn eine sehr gute Basis. Die Kontakte konnten wir mit ihrer Hilfe nicht nur im Rhein-Main-Gebiet nutzen und ausbauen, sondern auch dafür verwenden, bundesweit ein Netzwerk zu etablieren. Zudem ist die Hip-Hop-Szene trotz ihres stetig wachsenden Impacts immer noch sehr klein und gut vernetzt. Da hat es sich schnell rumgesprochen, dass es eine neue Plattform gab, die den Artists auf Augenhöhe begegnet und aus der Kultur heraus agiert. Hilfreich war dabei auch, dass das Medium Radio für Deutschrap-Artists immer noch eine große Relevanz besitzt. Hier haben wir einen medialen Wert, mit dem wir sicher den ein oder anderen Artist mehr für ein ausführliches Interview ins Studio holen konnten als andere Shows.
Wann und wie kam es zu der Entscheidung, das Format von einer Radioshow in ein Bewegtbild-Format zu transformieren, das inzwischen nicht nur auf Youtube, sondern auch in der ARD-Mediathek und der ARD-Audiothek zu finden ist?
Simon Vogt: Unmittelbar nach Sendungsstart entstand das Konzept mit dem Format auch in die digitale Welt einzutauchen. Zunächst haben wir unsere Interviews im Radiostudio einfach mitgefilmt und schnell gemerkt, dass darin noch viel mehr Potenzial steckt. Wir haben dann unsere Inhalte, die Produktion, Distribution und Kommunikation entsprechend konsequent für ein digitales Format angepasst, weiterentwickelt und uns bewusst vom alten Format-Namen gelöst. Damit war „Deutschrap ideal“ geboren. Neben den optisch überarbeiteten Formaten erhielten wir unter anderem mit einem neuen Studio-Setting auch die Möglichkeit unsere Ausspielwege, um die ARD-Mediathek zu erweitern. Ein Weg, der viel Arbeit und Geduld, aber auch Spaß und Erfolg mit sich brachte. Wir lernen bis heute immer noch dazu und entwickeln Deutschrap ideal auf YouTube konstant weiter. Wichtig war: Wir haben vom Start weg bis heute an das Potenzial geglaubt. Das ist auch der Kern von Hip-Hop. Wenn du nicht glaubst, dass du das Zeug hast, es bis ganz nach oben zu schaffen, dann fang gar nicht erst an.
Gab es Barrieren, die auf dem Weg überwunden werden mussten – in der Medienlandschaft oder auch in der Hip-Hop-Community? Schließlich war ein ausschließlich auf Deutschrap fokussiertes Format neu für einen öffentlich-rechtlichen Sender?
Simon Vogt: Wir sind in der Hip-Hop-Community, im Hessischen Rundfunk und auch in der ARD auf eine große Offenheit gestoßen. Die Programm-Verantwortlichen haben dem Vorhaben von Anfang an Vertrauen geschenkt und wir haben es bisher erfolgreich zurückzahlen können. Das Ziel von öffentlich-rechtlichen Angeboten ist, alle Menschen zu erreichen. Gerade deshalb haben wir mit unserem Format die große Chance, an Menschen heranzutreten, die bisher wenige Berührungspunkte mit öffentlich-rechtlichen Angeboten hatten. Unsere Community findet sich in den Themen wieder, die unsere Interview-Gäste in ihrer Musik thematisieren oder die sie in ihrem Leben bewegen. Teilweise sind Nutzer*innen, die uns zum ersten Mal sehen, auch ganz überrascht, wenn sie erfahren, dass Deutschrap ideal ein öffentlich-rechtliches Format ist. Hier können wir Brücken schlagen und helfen Vorurteile abzubauen, um miteinander statt übereinander zu sprechen.
Neben Kool Savas folgten viele weitere bekannte und weniger bekannte Rap-Artists, darunter Azad, Sido, Xatar, Liz, Nina Chuba und viele mehr. Kannst du uns einen Einblick hinter die Kulissen geben – welche Begegnungen sind dir bis heute in Erinnerung geblieben und warum?
Simon Vogt: Savas und Azad kannte ich schon aus „Monstershit”, „Freunde der Sonne” und „Bitte Spitte” Zeiten, daher ist es mit ihnen immer ein schönes Wiedersehen. Sido, Xatar, Max Herre, aber auch Eko, Juju, Liz, Nina Chuba oder Paula Hartmann sind alle so erfolgreich, teilweise seit Jahren dabei und gleichzeitig so entspannt und bodenständig, dass jedes Treffen mit ihnen einfach eine schöne Erfahrung ist und ich aus den Gesprächen mit ihnen vor und hinter der Kamera immer etwas mitnehmen kann. Besonders in Erinnerung bleiben die emotionalen Momente, in denen eine Frau wie Rua mir von ihrer Entführung erzählt oder Elif im Interview ihre Tränen nicht zurückhalten kann, aber auch wenn Moses Pelham vor Lachen fast den Raum verlässt. Zur Wahrheit gehört leider auch, dass ich bei der Frage jetzt auch an kurzfristige Absagen, das eine oder andere hitzige Telefonat oder grundsätzlich ziiiemlich viel Flexibilität bei der Organisation denken muss. Das sind aber zum Glück die Ausnahmen.
Hast du den Eindruck, dass sich die Hip-Hop-Szene in den vergangenen Jahren gewandelt hat – und wenn ja, inwiefern?
Simon Vogt: Es gibt heute immer mehr Artists und immer mehr Sichtbarkeit für Deutschrap und Hip-Hop als Ganzes. Die Diversität nimmt zu, Rap-Artists bedienen als Marken immer mehr Gruppen. Die Musik diversifiziert sich generell immer weiter, damit wird sie für immer mehr Menschen interessant. Hip-Hop beziehungsweise Deutschrap findet in immer mehr Communities statt, die zuvor wenig oder keine Berührung damit hatten. Ob die Musik sich inhaltlich in ihren Qualitätskriterien gewandelt hat, ist am Ende immer eine persönliche Einschätzung. In jeder Woche werden über hundert Songs veröffentlicht, natürlich sind diese nicht alle gut in meinen Augen. Sicher kann ich nur sagen: Deutschrap wird auf jeden Fall bleiben und nicht wieder weggehen.
Ihr feiert 2024 fünfjähriges Bestehen. Hast du Wünsche, wie soll sich Deutschrap insgesamt und Deutschrap ideal in den kommenden Jahren entwickeln?
Simon Vogt: Ich bin der festen Überzeugung „Hip Hop makes the world a better place”. Darum wünsche ich mir, dass die Kultur weiter zu einem festen Bestandteil der Gesellschaft heranwächst, Vorurteile abbaut, Brücken schlägt und wir alle voneinander noch mehr lernen, menschlich profitieren und wachsen können.
THE CULTURE. HIP-HOP UND ZEITGENÖSSISCHE KUNST IM 21. JAHRHUNDERT
29. FEBRUAR – 26. MAI 2024