Mutterschaft ist seit jeher ein Tabuthema in der Kunstgeschichte. Aber warum eigentlich? Ein Interview mit Konzeptkünstlerin Hannah Cooke, die sich mit Systemen, Regulationen und Rollenkonzepten beschäftigt.
Mutterschaft – von der Schwangerschaft über die Geburt zum Aufziehen von Kindern – ist, mal abgesehen von Darstellungen der Madonna mit Kind, seit jeher ein Tabuthema in der Kunstgeschichte. Anlässlich unserer umfassenden Retrospektive der Arbeiten von Paula Modersohn-Becker, die eine der wenigen Künstlerinnen war, die sich schon früh mit dem Thema Mutterschaft auseinandergesetzt hat, haben wir uns mit fünf zeitgenössischen Künstlerinnen – Hannah Cooke, Najja Moon, Clarity Haynes, Lenka Clayton und Laxmi Hussain – zusammengesetzt, um über das Thema Mutterschaft in ihren Arbeiten zu sprechen. Unser erstes Interview ist mit Konzeptkünstlerin Hannah Cooke, deren Recherche-basierte Arbeiten sich mit Institutions- und Hierachiekritik, der Infiltration von Systemen und Fragen von Standards, Regulationen und Rollenkonzepten beschäftigen.
Erzähl uns doch ein bisschen über das Projekt „Ada vs.“ und deine Kunstpraxis im Allgemeinen?
Mit der zweiteiligen Videoarbeit „Ada vs. Emin“ und „Ada vs. Abramović“ möchte ich ein positives Gegenstatement zur leider immer noch weit verbreiteten Meinung, dass Mutterschaft und eine Künstlerinnenkarriere nicht miteinander vereinbar seien, entgegensetzen. Angefangen hat alles damit, dass ich 2017 schwanger wurde und mir daraufhin viele Sorgen kamen, wie es mit mir als Künstlerin weitergehen wird. Daraufhin habe ich viel gelesen und nach Vorbildern gesucht, die mir eine Vision geben, wie der Weg für mich weiterhin aussehen könnte. Leider ist mir in meiner Recherche häufig das Bild vermittelt worden, dass es nicht möglich sei Kind und Kunst so zu vereinen, dass beide Welten gleichberechtigt nebeneinander existieren dürfen.
Geschichten von Galeristen, die den Künstlerinnen mit der Schwangerschaft den Vertrag kündigten, über geplatzte Ausstellungen und Arbeitsverhältnisse musste ich leider zu oft hören. All diese Alpha-Männchen-Geniekult-Geschichten haben mich nicht sonderlich überrascht. Als ich dann jedoch von zwei Künstlerinnen-Ikonen [A.d.V. Marina Abramović und Tracy Emin] die Statements zu dem Thema las, wurde ich sehr wütend. Warum fallen den Mutter-Künstlerinnen nun auch noch den eigenen Kolleginnen in den Rücken? Wo bleibt die Solidarität? Selbstverständlich kann jede Frau für sich selbst entscheiden ob und wann sie Kinder haben möchte, deswegen sollte man aber das veraltete Künstler-Genie Bild nicht noch weiter manifestieren. Warum sollten Väter Künstler sein dürfen, Mütter jedoch keine Künstlerinnen?
Tracey Emin und Marina Abramović sind für mich zwei wichtige Künstlerinnen, die mich und meine künstlerische Arbeit geprägt haben. Ich musste auf ihre sehr prominenten und provokativen Aussagen zu dem Thema der Unvereinbarkeit von Mutterschaft und Karriere reagieren.
In meinen vorherigen Arbeiten habe ich auch auf Systemfehler in der Kunstwelt hingewiesen, die Machtstrukturen und Rollenverständnisse hinterfragt. Da war es für mich nur eine logische Konsequenz auf so ein essentielles Thema der Ungerechtigkeit, welches mich nun selbst betrifft, einzugehen. Ich wollte all den negativen Geschichten ein starkes Bild entgegensetzten und die Aussagen von Emin und Abramović nicht unkommentiert lassen.
Das versteh ich total! Es ist immer eine große Enttäuschung, wenn man sich von den eigenen Kolleg*innen, ja Vorbildern irgendwie abgehängt fühlt. Nachdem du angefangen hast, Mutterschaft als Thema in deine Arbeit mit einzubeziehen, wie hat das deine künstlerische Arbeit beeinflusst?
Die Schwangerschaft und das Muttersein waren wie ein Brennglas. Mir wurden Hürden bewusst, die ich vorher in meiner privilegierten Situation nicht wahrgenommen habe. Ich hätte vorher nicht gedacht, dass ich jemals zu dem Thema eine Arbeit machen würde. Im Nachhinein wundert es mich nicht mehr, denn ich habe in meiner Kunst auch zuvor Themen behandelt, in denen es um ein Ungleichgewicht von Machtverhältnissen geht. Der romantische, verklärte Blick auf Mutterschaft hat mich nur in so weit interessiert, dass ich das idealisierte Bild der „Mutter mit Kind“ für mich genutzt habe, um ein starkes Gegenstatement zu Emins und Abramovics Aussagen zu erschaffen.
Das macht Sinn! Paula Modersohn-Becker war eine der ersten Künstler*innen, die das Thema Mutterschaft systematisch angegangen ist, indem sie sich selbst während der Schwangerschaft sowie Kinder und Mütter an der Wende zum 20. Jahrhundert portraitiert hat. Ist Mutterschaft – schwanger werden, gebären, Kinder aufziehen – immer noch ein Tabu Thema in der Kunst heutzutage?
Ich stelle fest, dass das Thema der Mutterschaft immer noch nicht wie selbstverständlich neben den anderen großen Themen in der Kunst bestehen darf. Die männlichen Betrachtungen auf existenzielle Themen wie Leben, Tod, Leid, Liebe und Hoffnung werden in der Kunstwelt bestaunt und bewundert. All diese Erfahrungen haben eine Geburt und das Aufziehen eines Kindes ebenso in sich und ist ein essentieller Teil für die Existenz unserer Gesellschaft. Warum wird diese „weibliche“ Perspektive auf die Welt nicht als ebenso bedeutsam wahrgenommen und akzeptiert? Das verstehe ich einfach nicht!
Ich bin es leid Ausstellungen mit den Attributen „starke Frauen“ zu sehen und dann eine lange Liste an Künstlerinnen zu lesen, die man auch einfach gerne mal in den konventionellen Sammlungen und Ausstellungen sehen würde, Seite an Seite mit den männlichen Kollegen. Scheinbar ist es immer noch notwendig Labels zu verwenden, ich hoffe jedoch, dass das bald Geschichte ist und wir uns in ein paar Jahren wundern, warum wir so blind und ignorant waren. Ich wünsche mir außerdem für die Zukunft, dass auch mehr Väter, queere Personen mit „caring responsibility“ und people of color Raum haben ihre Perspektiven zu den Themen sichtbar zu machen, denn ich habe das Gefühl, dass es hier aktuell noch an Vorbildern mangelt. Das Thema ist ja schließlich kein reines Frauenthema!
Absolut! Hast dueine persönliche Verbindung mit Paula Modersohn-Becker und ihrer Arbeit?
Auf Paula Modersohn-Becker wurde ich leider erst aufmerksam, als ich zum Thema Mutterschaft in der Kunst recherchierte. Ich habe mich gefragt, warum ich nicht schon während des Kunstunterrichts in der Schule oder während des Studiums mehr von ihr gehört habe. Ihre Bilder sind so eindrücklich und unverblümt. Wenn ich ihr Werk betrachte, kann auch ich mich darin wiederfinden. Beeindruckt hat mich besonders der Umfang ihres Werks den sie mit ihren 31 Jahren geschaffen hat. Ich frage mich, ob sie als Künstlerin in unserer Wahrnehmung schon früher in den Fokus und die Geschichtsschreibung gerückt wäre, hätte sie mehr Zeit gehabt.
Stimmt, ich hörte das erste Mal von ihr als Künstlerin als ich eine Weile in Bremen gelebt habt. Trotzdem wusste ich nicht, dass sie so früh gestorben ist und so ein großes Werk hinterlassen hat. Wirklich beeindruckend. Hat sich die Perspektive der Kunstwelt auf dich als Künstlerin verändert, seit du Mutterschaft als Thema in deine Arbeit mit aufgenommen hast?
Mit der Videoarbeit in die Öffentlichkeit zu gehen hat sich für mich wie ein Outing angefühlt. Ich wusste ich muss das Video drehen, hatte aber gleichzeitig das Gefühl, dass ich mich damit ins „Aus" stelle. Damals hat sich alles sehr existenziell angefühlt, ich denke die Hormone haben auch ihren Teil dazu beigetragen. Erstaunlicherweise habe ich durch die Arbeit einen neuen Zugang zur Kunstwelt gefunden und es haben sich viele neue Türen geöffnet.
Es haben mich Kolleginnen kontaktiert und mir ihre Geschichten geteilt, ich habe ein starkes Netzwerk aufbauen können, dass sich für ähnliche Fragen der Gerechtigkeit interessiert und sich gegenseitig unterstützt. Durch die Arbeit hat sich mein Blick für das Wesentliche und meine künstlerische Praxis gestärkt. Und trotzdem habe ich immer wieder etwas Sorge, dass sich das Bild der „Mutterkünstlerin“ manifestiert und mein eigentliches, systemkritisches Anliegen in den Hintergrund gerät. Ich schließe es nicht aus, dass meine Rolle als „sich sorgende Person“ auch in kommenden Arbeiten ein Thema sein könnte, so geht es mir nach wie vor um grundsätzliche, gesellschaftskritische Fragen und Themen.
Wenn du an das Thema Mutterschaft in der Kunst denkst, wer kommt dir dann in den Sinn? Irgendwelche Künstler*Innen, die dich inspiriert haben?
In den letzten drei, vier Jahren habe ich viele fantastische Künstlerinnen kennenlernen dürfen, die sich diesen Themen widmen. Es gibt sie, sie sind da und engagieren sich, machen weiterhin Kunst. Sie solidarisieren sich, organisieren sich und schaffen es Dinge in der Kunstwelt zu verändern.
Eine Künstlerin, die mich mit Ihrem Blick besonders begeistert, ist Madeline Donahue. Sie beschäftigt sich in ihrem Werk vor allem mit dem Thema Mutterschaft. Sie schafft es wunderschöne, berührende und frische Bilder zu kreieren. Ihr Blick auf den komplexen Alltag mit Kindern und diesen so leicht und anstrengend zugleich aussehen zu lassen ist beeindruckend. Ich mag es, dass sie sich voll und ganz dem Thema widmet und es durchexerziert. Ich bin immer wieder überrascht, welche Bilder sie findet.