Die Geburt ist ein seltenes Motiv in der Kunst, vor allem explizite Darstellungen. Ein Interview mit der queer-feministischen Künstlerin Clarity Haynes, die Konventionen von Weiblichkeit, Geschlecht und Sexualität herausfordert.
Im dritten Teil unserer Serie zum Thema Mutterschaft haben wir uns mit der queeren, feministischen Autorin und Künstlerin Clarity Haynes zusammengesetzt. Ebenfalls Teil der Reihe sind Interviews mit Hannah Cooke, Najja Moon, Lenka Clayton und Laxmi Hussain.
Für Haynes versinnbildlicht der menschliche Körper eine Art Landschaft oder Karte mit Muttermalen, Adern, Narben und Falten als Meilensteine des Lebens. In ihren Gemälden konzentriert sie sich vor allem auf queere, Trans, cis-weibliche und nicht-binäre Körper und fordert so soziale Konventionen von Schönheit, Weiblichkeit, Geschlecht und Sexualität heraus.
Clarity, kannst du uns ein bisschen über dein Werk „Birth Altar 2020-21“ und deine Kunstpraxis im Allgemeinen erzählen?
„Birth Altar 2020-21“ ist Teil meiner Altar-Serie: trompe l’oeil Gemälde von queeren, feministischen Altären, die ich in meinem Studio gestalte. Mein Interesse am Thema Geburt begann mit der Pandemie. Während der Quarantäne verstarb meine geliebte Großmutter an Covid in einem Altenheim im weit entfernten Texas. Ich trauerte, dachte über das Leben, den Tod und meine mütterliche Herkunftslinie nach. Außerdem fühlte ich mich von Fotos und Videos von Geburten auf Instagram magisch angezogen. Ich wurde zum ersten Mal auf die Instagram-Geburtscommunity aufmerksam, die die Zensur weiblicher Körper online auf die gleiche Art und Weise bekämpfen, wie ich mit meinem „The Breast Portrait Project“ (1998-heute). Das „The Breast Portrait Project“ ist ebenfalls mit dem Thema Mutterschaft verbunden: für viele Jahre konzentrierte ich mich in meiner Praxis auf den weiblichen Torso als Portraitsubjekt. Eng zugeschnittene Nahaufnahmen ohne Gesicht, die den Fokus auf Trauma, Heilung und Zelebration legten. Das Projekt fokussiert sich auf queere und feministische Communities, bezieht aber auch Cis-Frauen, Trans-Männer sowie wie nicht-binäre Menschen als Modelle mit ein.
Um auf die Geburtsgemälde zurückzukommen, „Birth Altar, 2020-21“ beinhaltet mehrere Darstellungen von Geburtsfotografien, die ich online gefunden habe sowie Kunstwerke von bekannten feministischen Künstlerinnen, die meine Arbeit beeinflusst haben. Ich denke, dass das Werk zum Teil auch eine Hommage an meine „künstlerischen Mütter“ ist. Enthalten sind ein Ana Mendieta Erd-Kunstwerk, ein Judy Chicago Teller sowie eine frühe Zeichnung von Louise Bourgeois, in der eine Figur abgebildet ist, die durch ihren Mund gebiert. Da ist außerdem eine lila-gemusterte Schmetterlingsmaske, die von Judy Chicago 2020 als Schutz gegen Covid designt wurde. Die überdimensionale Herzform des Gemäldes ist ein Tribut an Miriam Schapiro, deren große, blumig-gemusterte Herzen ich schon immer geliebt habe. Die pinke Farbe ist fleischig, das Herz erinnert mich immer irgendwie an die Vulva. Das Thema Geburt hat sich für mich aus der Pandemie entwickelt: während der Tod überall auf der Welt um sich griff, fing ich an die Geburt als dessen Gegenstück wahrzunehmen. Wie der Tod, ist auch die Geburt intensiv, beängstigend, chaotisch und existiert in einem Raum außerhalb des alltäglichen Lebens. Beide – Leben und Tod – können wunderschön, emotional, transformativ und sakral sein.
Sehr interessant, wie sich „Birth Altar 2020-21“ aus so unterschiedlichen Einflüssen entwickelt hat. Wie hat dich das Thema Mutterschaft in deiner Arbeit beeinflusst?
Als queere Cis-Frau, die niemals ein Kind geboren hat, erinnern mich gebärende Körper zuallererst daran, dass ich selbst eine Mutter habe und geboren wurde. Viele Leute nehmen oft an, dass meine Perspektive die einer Mutter ist, obwohl meine Identifikation mit Geburtsbildern mehr aus der Perspektive des Kindes stammt. Außerdem sind Körper, die gebären können – ob sie nun zu einer Person gehören, die sich als Frau identifiziert oder auch nicht – jene Körper, mit denen ich intim, erotisch und romantisch involviert bin. Es ist fantastisch für mich, dass schwangere Körper zwei oder mehr Seelen gleichzeitig beherbergen können. Die Philosophie des Körpers, die größtenteils von Cis-Männern geformt wurde, wird auf den Kopf gestellt, wenn man das Erlebnis von gebärfähigen Menschen mit einbezieht. Darüber hinaus finde ich es faszinierend, wie Vagina und Vulva ihre Form während der Geburt so dramatisch verändern, ja fast phallisch nach außen stülpen, wenn der Kopf herauskommt.
Faszinierend, Geburten aus der Perspektive des Kindes zu denken. Paula Modersohn-Becker war eine der ersten Künstler*innen, die das Thema Mutterschaft systematisch angegangen ist, indem sie sich selbst während der Schwangerschaft sowie Kinder und Mütter an der Wende zum 20. Jahrhundert porträtiert hat. Ist Mutterschaft – schwanger werden, gebären, Kinder haben – immer noch ein Tabuthema in der zeitgenössischen Kunst?
In mancher Hinsicht ist das Thema zentral in der Kunstgeschichte – allerdings nur da, wo es von Cis-Künstlern, die Weiblichkeit mit Mutterschaft gleichgesetzt haben, romantisiert wurde. Paula Modersohn-Becker war vor allem deswegen anders, weil sie eine Frau war, die sich mit diesen Themen künstlerisch auf eine Art und Weise beschäftigte, wie es vor ihr noch keine*r getan hat. Ich denke, das Thema ist nicht grundsätzlich tabu – es sei denn, es wird auf eine neue Art und Weise behandelt. Wie zum Beispiel aus der Sicht einer Gebärenden oder die Geburt wird realistisch oder gar auf eine Art und Weise präsentiert, die die Geschlechtertrennung in Frage stellt.
Dem würde ich zustimmen, vor allem die explizite Darstellung des Gebärens hat immer noch jede Menge Sprengkraft. Hast du eine persönliche Beziehung zu Paula Modersohn-Becker und ihren Arbeiten?
2011 hatte ich, zusammen mit der Kunsthistorikerin Beth Gersh-Nesic, die Ehre eine Podiumsdiskussion im Rahmen der College Art Association Konferenz zu organisieren mit dem Titel „The Feminist Breast: Women, Nudity and Portraiture“. Eine der Teilnehmer*innen war die etablierte Kunsthistorikerin Diane Radycki, die seitdem das zentrale Buch „Paula Modersohn-Becker: The First Modern Woman Artist“ geschrieben hat. Radyckis Präsentation über Paula Modersohn-Becker und das mütterliche Aktgemälde hat mich sehr beeindruckt. Ihre Theorie ist, dass der weibliche Akt in der Kunstgeschichte vor allem als sexualisierte Fantasie des Cis-Mannes populär war. Im Kontrast dazu, wird die Mutterfigur meistens vollbekleidet und besonders keusch dargestellt. Selbst die stillende Jungfrau Maria wird immer nur mit einer entblößten Brust gezeigt, nie mit beiden. Modersohn-Becker war dahingehend revolutionär, dass sie die erste Malerin war, die die Mutterfigur komplett nackt dargestellt hat. Sie forderte die cis-männliche Psychologie heraus, indem sie den Archetypus „Mutter“ mit dem der „sexuell aktiven, nackten Frau“ zusammenbrachte, was zu einer Störung der Cis-männlichen Psychologie und dem schockierten Ausruf: „Mutter, nackt!“ führte.
Hah, ja diese zwei „Welten“ sind sicherlich für den ein oder anderen nicht ganz einfach zu kombinieren! Hat sich die Perspektive der Kunstwelt auf dich als Künstlerin geändert, seitdem du Mutterschaft als Motiv in deine Arbeiten mitaufgenommen hast?
Mutterschaft als Motiv passt sehr gut zu all den anderen Themen, mit denen ich mich seit Jahren beschäftige. „The Breast Portrait Project“ steht in Relation zum weiblichen Akt in einer etwas anderen Art und Weise. In dieser Serie von Oberkörperportraits, die viele großformatige Gemälde und Zeichnungen beinhaltet, ist die gemalte Figure oft überlebensgroß. Der Betrachter fühlt sich, wenn er vor den Gemälden steht, wie ein Kind in Relation zum mütterlichen Körper.
Vielen Dank für den tollen Einblick in deine Arbeit! Eine letzte Frage: Wenn du an Mutterschaft in der Kunst denkst, kommen dir dann bestimmte Künstler*innen in den Sinn, die dich inspiriert haben?
Frida Kahlos unglaubliche, besonders blutige Arbeit „My Birth“ (1932) ist eines der wenigen, realistischen Gemälde des Geburtsaktes in der Kunstgeschichte, von dem ich weiß. Natürlich ist da noch „L’Origin du Monde“ (1866) von Gustave Courbet, das Geburt impliziert, aber nicht explizit darstellt. Und Mickalene Thomas‘ fantastisches, glänzendes „Origin of the Universe“ (2012).
Ich werde auch von zeitgenössischen Künstler*innen wie Heji Shin, Carmen Winant und Loie Hollowell inspiriert. Ebenso von Betty Tompkins‘ monumentalen Gemälden von Vulvas, abgeleitet von Pornos und von queeren Cis-männlichen sowie nicht-binären Künstlern, wie Louis Fration und Jonathan Lyndon Chase, die gebärfähige Körper außerhalb binärer Geschlechterrollen suchen. Louis Fratinos Fantasie der männlichen Geburt „I keep my treasure in my ass” ist gleichzeitig intuitiv und konzeptuell.
PS: Kurz nach dem Interview hat Clarity Dana Schutz‘ Gemälde „How We Would Give Birth“ (2007) entdeckt. Es ist blutig und chaotisch und verdient es definitiv an dieser Stelle noch genannt zu werden!