Vom Leben im Exil, anarchischer Kunst und der „schwarzen Milch“ der Erde: Die Kunsthistorikerin Media Farzin hat ihre alten Freunde Ramin und Rokni Haerizadeh und Hesam Rahmanian zum Gespräch getroffen.
Hesam, Ramin und Rokni kenne ich schon viele Jahre; sie sind alte Freunde aus Teheran. Auch wenn viele Jahre zwischen unseren Gesprächen liegen, scheinen sie sich nahtlos dort fortzusetzen, wo sie geendet haben, so wie in einem stimmigen Universum, das sich beständig erweitert. In unserem Gespräch geht es um die Ideen hinter der aktuellen Ausstellung der Künstler, insbesondere um die Auswirkungen des Iran-Irak-Krieg von 1980 bis 1988.
Könnt ihr ein paar Dinge zu eurer Installation in der Schirn sagen?
Bei dieser Ausstellung sprechen wir eher von einer „Landschaft“ als von einer Installation. Meist ist es bei uns so, dass wir über längere Zeit an einem Thema arbeiten. Die Wege führen in verschiedene Richtungen, und zu einem bestimmten Zeitpunkt kommen sie dann in Form einer Landschaft zusammen. Wir arbeiten auch gemeinsam mit anderen Künstlerinnen und Künstlern, die in unsere Ausstellungen quasi hinein migrieren.
Migration ist hier ein wichtiges Thema, und ihr selbst seid natürlich auch Migranten.
Vor einigen Jahren haben wir begonnen, über das Thema Exil nachzudenken. Nach dem Krieg im Irak kam Syrien, und wir fragten uns, warum es zu solchen Migrationsbewegungen kommt – meist ist der Grund ein Krieg. Das haben wir auch persönlich so erfahren, denn wir sind mit dem Krieg aufgewachsen. Doch wir wollten aus anderen Blickwinkeln, von marginalisierten Orten her, über Leiden nachdenken.
An einer Ausstellungswand in der Schirn findet sich ein Gedicht, „Boys and Animals“, das zusammen mit einem echten Helm gezeigt wird, den ein iranischer Soldat, vermutlich noch ein Junge, im Iran-Irak-Krieg getragen hat.
Bei unserer Gedichtreihe „Unfaithful Poetries“ handelt es sich um gemeinschaftlichen Übersetzungen von modernen, auf Farsi verfassten Gedichten. „Boys and Animals“ basiert auf Reza Barahenis Langgedicht „Ismael“ – es ist zu Beginn der Islamischen Revolution und des Krieges entstanden.
Aber die Übersetzung ist sehr frei.
Das Gedicht hat verschiedene Stadien der Überarbeitung durch ein Team von Mitarbeiter*innen durchlaufen. Sie alle entstammen unterschiedlichen Kulturkreisen, und einige lesen auch nie das Original. Dadurch entfällt vieles. Der Text wird dem heutigen Empfinden angepasst und an der Wand und in der Landschaft in einen neuen Kontext gestellt.
Wir wollten aus anderen Blickwinkeln, von marginalisierten Orten her, über Leiden nachdenken.
Etwas Vergleichbares macht ihr mit Fotos, wenn ihr sie beschneidet oder nachträglich den Fokus ändert.
Wir haben Fotobücher über den Iran-Irak-Krieg gesammelt, außerdem Filme, Romane, Dichtung, und so ein Archiv aufgebaut. Und wir haben viele Veteranen interviewt. Die meisten Aufnahmen aus diesem Krieg stammen von den Teilnehmern selbst. Aus den Bildern haben wir zufällige Details herausgelöst, etwa die Gesichter von Jungen – man sieht sie zusammen mit dem Gedicht an der Wand. Wir interessieren uns für die unerzählten Geschichten, die nicht Teil offizieller Narrative sind.
Ist das auch der Grund, warum ihr Esel thematisiert?
In vielen der Interviews war auch von Tieren die Rede: von Hunden, von Katzen, vor allem von Eseln. Wir wollten auch den Blickwinkel nicht-menschlicher Lebewesen zeigen, die ebenfalls vom Krieg betroffen waren. Bei dem Bodengemälde dachten wir an Hoorolazim.
Was ist das?
Das ist ein Sumpfgebiet, das sich über den Iran und Irak erstreckt, unweit der Vereinigung der Flüsse Tigris und Euphrat. Auf der iranischen Seite ist diese Gegend unter dem Namen Hoveizeh bekannt, wegen eines verheerenden Angriffs im Krieg. Früher war es ein wunderschönes Gebiet, mit einem eigenen Ökosystem und Lebensweise. Heute aber ist es in einem schrecklichen Zustand. Die einstigen Sümpfe wurden trockengelegt, erst, um Dissidenten aufzuspüren, und später für Ölbohrungen.
Heute lebt ihr nicht weit entfernt, in den Vereinigten Arabischen Emiraten. Spielte das mit hinein?
Unsere künstlerische Arbeit hat sich mit der Übersiedlung an den Persischen Golf definitiv gewandelt. Dort waren wir näher dran an den Geschichten vom Krieg, an den Orten, den Menschen. An den Palmen und ihren dreieckigen Schatten. An dem unglaublich intensiven Licht und seinem pinken Nachbild. An den Seichtwassern, dem Teichschlamm, den Karpfen, mit der Hitze.
Das waren jetzt einige Referenzen zu dem Bodengemälde, das in der Schirn zu sehen ist, oder?
Es gibt so viele Referenzen, dass wir sogar eine Broschüre zusammengestellt haben mit visuellen „Fußnoten“ zu unserer Praxis. Etwa Filmen wie „Iwans Kindheit“ von Andrei Tarkowski. Auch die schiitischen Trauerrituale waren sehr wichtig, mit der theatralischen Qualität, die sie haben, und alle Gegenstände, die bei den Aschura-Zeremonien [zum Gedenken an den Tod von Imam Hossein] verwendet werden. Es sind zwar Momente der Trauer, aber sie haben auch etwas Festliches, in dem Sinne, dass dort Menschen zusammenkommen. Außerdem ein Gemälde von [der iranischen Künstlerin] Iran Darroudi: 1969 erhielt sie von einem Unternehmen, das im Süden des Landes eine Pipeline in Betrieb nehmen wollte, den Auftrag, „iranisches Erdöl“ zu malen. Durch den Abdruck in Magazinen wie Time und Newsweek fand das Werk allgemeine Verbreitung.
Es ist zwar abstrakt, zeigt aber im Grunde die Darstellung einer in Flammen aufgehenden Pipeline.
[Der Dichter] Ahmad Shamlou hat es umbenannt in „Unsere Adern, Die Adern der Erde“. Damit knüpft er an einen anderen, sehr bildlichen Vers aus Barahenis Gedicht an: Dort heißt es, dass die Welt seit 80 Jahren die „schwarze Milch“ der Erde trinkt, und nun fordert die Erde im Gegenzug Blut.
Die Erde als lebendiges Wesen.
Die Ölvorkommen im Golf sind, wenn man darüber nachdenkt, die Überreste der Toten. Sie werden aus dem Boden herausgesaugt und zu neuem Leben erweckt. Aber die Wiedererweckung von Toten hat ihren Preis – den Krieg. Und auf den folgt wiederum Migration. Deshalb haben wir auch Ölpumpen bei der Anfertigung des Bodengemäldes benutzt, in den dastgahs.
Erzählt mir von den Dastgahs.
Sie sind wichtiger Bestandteil unserer Praxis. Wir verwandeln uns in Maschinen, in Maschinen-Assemblagen, die die Arbeit ausführen. Dabei handelt es sich darum, von einer gelenkten Subjektivität wegzukommen und intuitiv zu handeln, so wie ein Tier. Ein Dastgah sieht nicht, wohin es geht. Es verschmutzt und macht Unordnung. Es bringt keine Farbe auf, sondern drückt sie, schmiert sie oder zieht sie über den Boden.
Was bringt das Dastgah in den Prozess hinein?
Es ist wichtig, Abstand zu gewinnen von der Subjektivität, die durch die Recherche entsteht – all das legen wir mit dem Dastgah ab. Denn, wenn die Arbeit zu ordentlich ist, dann lügen wir. Da muss auch etwas sein, was nicht passt, wo die Leute sich fragen: Was hat das damit zu tun? Etwas, wo eine Art von Zauber entsteht.
Dieses Unerwartete – genau das ist es, worum es uns geht.
Ein Zauber im Auge der Betrachtenden?
In dem Film „Ein Tag beim Rennen“ der Marx Brothers gibt es eine Szene, in der sich Groucho als Arzt und die anderen als seine Assistenten ausgeben. Sie fangen an, merkwürdige, völlig unnötige Dinge zu tun, waschen sich immer wieder die Hände, schieben die Patienten in ihren Rollstühlen hin und her, missverstehen Anweisungen bewusst. Ihre Handlungen destabilisieren alles; die Situation kippt ins Anarchische und wendet sich dann noch einmal in eine ganz andere Richtung. Dieses Unerwartete – genau das ist es, worum es uns geht.
AKTUELLE INFO
Die SCHIRN bleibt vom 2. bis 30. November geschlossen. Wir sind online weiter für euch da – mit spannenden Artikeln und Podcasts auf dem SCHIRN MAG und mit viel Abwechslung auf Facebook, Instagram & Co. Oder abonniert doch gleich unseren Newsletter!