Mit ihren Porzellanskulpturen entwirft Jessica Stoller neue Körperbilder. Und tritt damit in die Fußstapfen ihrer surrealistischen Vorgängerinnen. Ein Gespräch über patriarchale Machtstrukturen, Instagram und Leonor Fini.
Jessica Stoller lebt als Bildhauerin in Brooklyn und ist die erste von vier Künstlerinnen, die wir in der Interviewserie „Surrealismus Reloaded“ vorstellen. Wie auch die weiteren Künstlerinnen dieser Serie, Inka Essenhigh, Rose Nestler und Julie Curtiss, lässt sich Jessica Stoller in ihren Arbeiten von den Motiven und Themen des Surrealismus inspirieren. Den Fußstapfen der Fantastischen Frauen folgend, interpretiert sie diese Motive und Themen aus einer absolut zeitgenössischen Perspektive und entwirft in ihren Werken neue weibliche Rollenbilder.
Bekannt ist Stoller für ihre Porzellanskulpturen, in denen sie weibliche Körper(teile) mit Elementen der Flora, Fauna und Feinkost vermengt. Die fragilen, pastellfarbenen Werke stellen idealisierte Vorstellungen von Femininität grotesken Elementen gegenüber. Mit „weiblichen Figuren, die Reize zur Schau stellen, die sie eigentlich verstecken sollten“, wie Stoller es selbst beschreibt, fordert sie Selbstbestimmung über den weiblichen Körper ein – ähnlich wie auch ihre surrealistischen Vorgängerinnen aus der „Fantastische Frauen“ Ausstellung.
Lass‘ uns zuerst ein wenig über deine Herangehensweise sprechen. Was sind Themen, die dich besonders interessieren und wie finden sich diese in deinen Arbeiten wieder?
Anfang 2020 habe ich „Bloom“, ein komplexes Tableau aus handgefertigtem Porzellan gefertigt und ausgestellt. In meiner Praxis als Bildhauerin ist Porzellan das primäre Medium, in das auch die komplizierte Vergangenheit des Materials und seine Assoziationen mit Schönheit, Verlangen und Geschmack mit einfließen. Das Stillleben ist ein auswucherndes Arrangement aus einem fragmentierten, weiblichen Körper und einer willkürlich angeordneten Ansammlung von Pflanzen, Blumen und biomorphen Formen. Alles schwankt zwischen Fruchtbarkeit und Verfall.
In meiner Arbeit nutze ich das Groteske als zentrales Hilfsmittel, um patriarchale Machtstrukturen anzugreifen, während weibliche Körper Reize zur Schau stellen, die sie eigentlich verstecken sollten, mit dem Fokus auf Exzess, Hybridität und dem Unsichtbaren. Ich erschaffe Werke, die diametrale Gegensätze sowohl im Inhalt als auch der Oberfläche gegenüberstellen und das Fantastische mit dem Körperlichen, das Ideale mit dem Niederträchtigen vereinen. So entstehen Skulpturen, die weder einfach zu einzuordnen noch einzugrenzen sind.
Bei der Erstellung dieser Skulptur, wie bei vielen meiner Arbeiten, verbringe ich unendlich viele Stunden damit, alle einzelnen Formen händisch herzustellen, indem ich den Ton aufdrehe, schneide, forme, spritze und modelliere und dann die einzelnen Teile mehrere Male im Ofen brenne, um farbenfrohe Oberflächen durch die Kombination von Farb- und Porzellanglasur zu erzeugen.
Verstehe! Die Verschmelzung des menschlichen Körpers mit botanischen Formen, um Mischwesen zu kreieren, die Auseinandersetzung mit der Natur, sowie der Kampf für Emanzipation: All das sind Themen, die auch die Surrealistinnen interessiert haben. Was bedeutet Surrealismus für dich und wo spielt er in deiner Arbeit eine Rolle?
Surrealismus ermöglicht eine alternative Sicht auf die Welt durch die Linse des Mysteriösen. Das Betrachten einer surrealen Arbeit kann intensive, neue Empfindungen im Selbst hervorrufen, statische Normen aufbrechen und die Grenzen von Ordnung und Vernunft durchbrechen und zeitgleich eine magische Verwandlung zulassen, die das Neue erfindet. In meiner Arbeit nutze ich das Surreale als eine visuelle Sprache, um Grenzen verschwimmen zu lassen, Hierarchien zu verdrehen und das Unsichtbare heraufzubeschwören, indem ich Formen erstellen, die gleichermaßen Entzückung und Abscheu hervorrufen.
Wenn du dir eine der Künstler*innen aus der „Fantastische Frauen“ Ausstellung aussuchen würdest, welche wäre das?
Das ist eine unfassbar schwierige Frage, da die ganze Ausstellung nur aus einzigartigen Künstler*innen besteht. Wenn ich wählen müsste, würde ich sagen, Leonor Finis Arbeit und Leben fühle ich mich am meisten verbunden und sie hat mich am meisten inspiriert. Fini war im wahrsten Sinne des Wortes bahnbrechend, sie hat ihre eigene Lust und Macht sowohl in ihrer Arbeit als auch in ihrem Leben verwendet. Ich bin fasziniert von ihrer revolutionären Auseinandersetzung mit der Dehnbarkeit von Sexualität, Gender, Mythologie und Fantasie. Sie hat sich weder in ihrem privaten noch in ihrem professionellen Leben den Regeln und eingrenzenden, sozialen Konventionen ihrer Zeit untergeordnet. Sie hat die Kunsthochschule gemieden und stattdessen das Zeichnen im Leichenschauhaus gelernt. Sie hat das Etikett Surrealismus immer abgelehnt, da Frauen dort, würde ich sagen, eher als passive Musen begriffen wurden.
Absolut, der weibliche Körper war ein wichtiges Thema in Leonor Finis Arbeiten. Wie viele andere Künstlerinnen hat sie versucht, sich von dem dominanten männlichen Blick zu befreien. Das ist auch in deinen Werken ein zentrales Thema. Warum?
Der weibliche Körper ist ein wesentlicher Teil meiner Arbeit, weil ich eine Frau bin. Das beeinflusst meine Lebenserfahrungen und dient als kontinuierliches Material für meine Kunst. Vom Verständnis für seine Ursprungskraft bis hin zu seiner andauernden Unterwerfung: der weibliche Körper ist ein machtvoller Verbindungsort für Kultur, Natur und Religion, er ist ohne Zweifel ein Ort der Unterdrückung, aber auch der Befreiung und Vorstellungskraft.
Weibliche Freundschaften und Netzwerke waren entscheidend für die Künstlerinnen der 30er und 40er Jahre. Du bist sehr aktiv in den sozialen Medien, glaubst du, dass Instagram der neue Salon für die Künstlerinnen-Community ist?
Ich habe Instagram ziemlich spät für mich entdeckt und stehe dem auch ziemlich kritisch gegenüber. Die Plattform hat natürlich Vorteile: sie verbindet Menschen und gibt Künstler*innen einfache Unterstützung bei Austausch und Bewerbung ihrer Arbeit. Trotzdem finde ich das alles eher oberflächlich. 2006 hat eine enge Freundin von der Uni eine „Kritik-Gruppe“ mit Künstlerinnen gestartet. Dort waren mal mehr, mal weniger Leute involviert. Aber auch nach 10 Jahren sind wir noch aktiv, treffen uns für Studiobesuche, bieten Feedback und kritischen Dialog zu unseren Arbeiten, was außerhalb der Uni schwer zu finden ist. Der persönliche, tiefergehende Austausch mit diesen Künstlerinnen hat für mich wirklichen Wert und die größte Bedeutung – sie sind meine Community.
Das klingt super! Letzte Frage, da wir uns ja durch die Coronakrise noch immer in einer besonderen Situation befinden: Hat die Ausgangssperre deine Arbeit verändert?
Die Quarantäne hat definitiv Einfluss auf meine Arbeit. Da sich die Situation immer noch entwickelt, wir sind ja mittendrin, ist es so schwierig eine übergeordnete Perspektive einzunehmen. Ich fühle mich etwas losgelöst von allem, konzentriere mich aber auf die Recherche und Entwicklung von neuen Arbeiten. Außerdem unterrichte ich Keramik und da das Semester online stattfindet, habe ich viele Stunden und Energie mit dem Lehren verbracht und versucht, eine Verbindung zu meinen Student*innen aufzubauen, Ideen mit ihnen zu teilen und sie zu inspirieren, während wir gemeinsam durch diese verdrehte Zeit navigieren.