Der Künstler Nasan Tur, 1974 in Offenbach geboren, lebt und arbeitet in Berlin. Das SCHIRN MAG hat mit ihm über die Rolle politischer Kunst, die Entwicklungen in der Türkei und seine Anfänge in Frankfurt gesprochen.
Nasan, im laufenden Jahr bist Du auf 12 institutionellen Ausstellungen vertreten, davon 2 Einzelausstellungen. Kommst du bei diesem Takt noch zur konzentrierten Arbeit in deinem Kreuzberger Atelier?
Ich arbeite ohnehin überall. Dafür brauche ich nicht unbedingt mein Atelier. Das ist vielmehr mein Rückzugsort, ein Ort, an dem oft gar nichts passiert, wo ich Ruhe und Zeit zum Nachdenken habe. Ausstellungen sind ja auch nicht reine Präsentationstermine. Sie sind immer verbunden mit dem Treffen und Kennenlernen verschiedenster Umgebungen und Persönlichkeiten. Auch die Arbeiten verändern ihre Form und die Art der Präsentationen im Laufe der Zeit und im Kontext zum Ort.
In einem früheren Gespräch sagtest du, dass du bevorzugt außerhalb der Atelierwände forschst. Wie wichtig ist für die Entstehung deiner Kunst der öffentliche und mediale Raum?
Meine Kunst ist geprägt von der Auseinandersetzung mit Geschehnissen, die meiner Ansicht nach eine Relevanz für unsere Gesellschaft haben. Die passieren nicht in meinem beschaulichen Atelier in Kreuzberg. Umso wichtiger ist die Recherche und die damit oft verbundenen Reisen. Die Machtverschiebungen innerhalb der Medien und ihr immenser Einfluss auf kollektive Meinungsbildungen zu politischen Themen sind ein neuer Zustand, der, glaube ich, in den nächsten Jahren noch zunehmen wird. Damit beschäftige ich mich stark in meinen Arbeiten.
In der Schirn-Ausstellung „Power to the People“ ist deine 6-Kanal-Videoinstallation „Preparation No. 1“ zu sehen, die einen Mann bei seiner Vorbereitung auf eine öffentliche Aktion – womöglich eine Demonstration – zeigt. Wie fügt sich diese 2010 entstandene Arbeit in dein Werk? Ist sie Teil einer bestimmten Reihe?
Im Generellen sind alle meine Arbeiten auf unterschiedlichste Weise miteinander verbunden. Aber, wie der Name schon sagt, ist „Preparation No. 1“ die Auftaktarbeit einer Reihe, die am Ende drei verschiedene Videoinstallationen beinhalten wird. „Preparation No. 1“ ist die erste davon. Die Arbeit ist in einem alten, besetzten früheren Weizenspeicher in Kreuzberg entstanden. Das Gebäude wurde vor ein paar Jahren abgerissen, um Luxusapartments zu weichen – ein exemplarisches Beispiel der Gentrifizierung und der Entstehung von zivilem Ungehorsam. Die Videoinstallation zeigt in Close-Ups eine Person, die sich unentwegt auf eine Aktion vorbereitet. Es ist eine sehr aggressive, laute, unangenehme Installation, die aber durch ihre Ästhetik auch sehr anziehend wirkt.
Würdest Du Dich als politischen Künstler bezeichnen?
Da ich mich als politischen Menschen sehe, bin ich auch ein politischer Künstler. Meine Aufgabe als Künstler sehe ich jedoch nicht darin, Politik zu betreiben, sondern mich mit politischen Themen, die ja unsere soziales Leben maßgeblich beeinflussen, ernsthaft und kritisch auseinanderzusetzen. Das beinhaltet auch, unbequeme und fordernde Arbeiten zu produzieren.
Du bist gebürtiger Offenbacher, hast aber auch eine biografische Verbindung zur Türkei. Wie intensiv verfolgst du die jüngsten Entwicklungen dort? Fließt dieses Thema in irgendeiner Weise in deine künstlerische Arbeit ein?
Ich bin im Durchschnitt zwei bis drei Mal im Jahr in der Türkei. Meist in Istanbul, da ich dort enge Beziehungen zur Kunstszene habe. Gerade jetzt ist es mir wichtig, Präsenz dort zu zeigen, meine Kollegen zu unterstützen und dort neue Arbeiten der Öffentlichkeit zu präsentieren. Ende 2017 hatte ich eine umfangreiche Einzelausstellung in Istanbul mit Talks und Workshops begleitet. Im Mai fliege ich wieder hin. Diesmal nach Mardin, das an der syrischen Grenze liegt. Auf der dort stattfindenden Biennale zeige ich einige Arbeiten, in denen es um ermordete Journalisten geht.
Die Entwicklungen in der Türkei, aber auch die erstarkten nationalistischen Tendenzen in Deutschland und im Rest Europas beunruhigen mich sehr. Eine meiner letzte Arbeiten im öffentlichen Raum nimmt darauf direkten Bezug. In Göppingen ließ ich vor ein paar Monaten eine größere Skulptur im Außenraum errichten, die sich mit der politischen Funktionalisierung von Kunst beschäftigt und die allgegenwärtige Akzeptanz von klar nationalistischen Gedankengut im Deckmantel der Kunst offen legt. Es war der Anstoß eines jetzt größeren Diskurses zwischen den Einwohnern der Stadt zum Umgang mit Geschichte und dem Bezug zu heute.
Inwieweit können tagesaktuelle politische Entwicklungen die künstlerische Arbeit überhaupt beeinflussen?
Ich male ja keine Tulpen oder Sonnenuntergänge. Meine Arbeit beschäftigt sich mit dem Gesellschaftskörper an sich. Meine Arbeit ist eine analytische und reflektierende. Mich hat nie eine Kunst interessiert, die sich nur um sich selbst dreht. Die Freiheit, die man als Künstler genießen darf, heißt nicht, dass man sich auch jeder Verantwortung entziehen kann. Ich jedenfalls kann dies nicht.
Du engagierst dich in der Initative „FLAX – Foreign Local Artistic Xchange“, die den Austausch und Kooperationen zwischen lokalen und neu in Deutschland angekommenen Kulturschaffenden, Künstlern und Institutionen fördert. Was genau leistet FLAX und was ist deine Rolle dort?
Wir haben FLAX Ende 2015 mit der Intention gegründet, Kulturschaffende, die aus ihrer Ursprungsländern flüchten mussten und nun neu in Deutschland sind, kennenzulernen und mit der lokalen Szene zu vernetzen. Als ich damals mit Katharina Grosse dieses Projekt anstieß und dann auch Lanna Idris dazukam, haben wir recht schnell durch unsere langjährigen Kontakte innerhalb der Kulturszene eine Menge Projekte realisiert und viele Menschen zusammenführen können.
Wir haben mit vielen Institutionen, wie dem Hamburger Bahnhof, der Akademie der Künste in Berlin oder dem Goethe-Institut, zusammengearbeitet. Daraus sind enge Kontakte zwischen den teilnehmenden Partnern entstanden, die wiederum zu neuen Projekten geführt haben, die mit FLAX nun nichts mehr zu tun haben. Das ist der Idealfall. FLAX ist eine Art Katalysator, ein Anschub. Mittlerweile agieren die Mitglieder recht autonom, und es wurden unzählige Veranstaltungen, Aktionen, Ausstellungen, Symposien und Workshops organisiert.
Wie prägend war (oder ist) für dich Frankfurt als Wiege der deutschen Demokratie und Zentrum der 68er-Bewegung?
Das ist Geschichte, und ehrlich gesagt habe ich in meiner Zeit in Frankfurt leider nicht viel von diesem wichtigen Zeitgeschehen, das damals hier stattgefunden hat, gespürt. Frankfurt war für mich vielmehr das Tor zur Welt. Angefangen mit dem Club „Dorian Gray“ am Flughafen, einer der Keimzellen des Techno in den 1990ern, in dem ich als kleiner Bub neben der Schule arbeitete, bis hin zur Städelschule, an der ich Bekanntschaft mit internationalen Künstlern, die ich sonst nur aus Büchern kannte, machen durfte. Offenbach und Frankfurt sind Heimat, und ich freue mich immer, wenn ich hier Projekte realisieren darf.