Das Internet ist voller Untoter. Das Künstlerduo New Scenario macht sie sichtbar — in Arbeiten, die im Browser funktionieren und manchmal auch offline.

Der Zombie ist unser ständiger Begleiter. Soziologen finden, wir seien die arbeitsamen Zombies des Spätkapitalismus, Politikwissenschaftler sehen eine zombifizierte Demokratie, während Medienwissenschaftler von einer Zombifizierung alter Technik sprechen — Geräte, die noch funktionstüchtig sind, fristen ein Schattendasein im Keller. In der Popkultur ist der vom Zombie ausgehende Lustgrusel ein alter Bekannter. Eine Variation der Zombie-Apokalypse hat das Künstlerduo New Scenario in 360° an der Technischen Universität Dresden inszeniert.

New Scenario, HOPE, Project Image

Paul Barsch und Tilman Hornig sind das Künstlerduo New Scenario, und zugleich sind sie die Kuratoren: “Hope” ist eigentlich eine Gruppenausstellung mit 14 Künstlern. Ort: die Universität, zumindest virtuell nachgebaut und im Browser zu betrachten. Entdeckt man die unscheinbaren Kreis-Icons und klickt darauf, navigiert man von einem Raum in den nächsten. Vom Hörsaal mit untoten Studierenden in den Aufzug, vom Büro, in dem die Schlinge schon bereithängt, in die Mensa. Die Räume sind voll — Studierende gegen Zombies. Oder jeder gegen jeden, ganz genau ist das in dem gruseligen Durcheinander nicht festzustellen.

Die Zombie-Apokalypse

Ursprünglich sollten Barsch und Hornig etwas für den Ausstellungsraum der Uni entwickeln. “Die haben sich wahrscheinlich vorgestellt, dass wir nur etwas in diesem Raum machen. Aber wir haben das ganze Setting der Uni genommen, und zwar mit dem Twist, dass dort eine Zombie-Apokalypse stattfindet”, sagt Paul Barsch. Warum gerade das? “Wir hätten uns auch eine Attentatssituation ausdenken können, aber das wäre zu real gewesen. Wir wollten ein Szenario schaffen, das extrem ist, aber auch so frei wie möglich. Die Zombie-Apokalypse lässt sich filmisch oder theatral denken. Es sieht ja auch absichtlich etwas gestellt aus.“ Fotografiert wurde das ganze mit einer 360° Kamera über einen Zeitraum von einem halben Jahr.

Jon Rafman, Dream Journal (Hope)
New Scenario, HOPE, Project Image
New Scenario, HOPE, Project Image

Bei “Hope” treffen zwei Dinge aufeinander — Uni und Untote. Da geht der Teenie-Horrorfilm im Kopf direkt los. Aber was bedeutet das denn: Zombies in der Hochschule? Vermutung: “Das Genre ist wieder populär, und in unserer sogenannten Krise gewinnen postapokalyptische Settings an Relevanz. Die Leute fangen wieder an, sich auf den Weltuntergang vorzubereiten. Das ist eine ganze Bewegung: die Preppers.” Eine Gesellschaft in Naherwartung des drohenden Untergangs. Zum Glück ist “Hope” nicht ganz so pessimistisch geraten. Hier herrscht allenthalben fröhliche Untergangsstimmung.

Alles, was man im Internet lieber nicht sieht

Die Vorliebe für postapokalyptische Szenarien teilt Jon Rafman vollkommen. Seine Videoarbeit “Dream Journal (Hope)” ist in die 360°-Umgebung eingebettet. Figuren, die direkt aus einem Cosplay-Paralleluniversum zu kommen scheinen, traumwandeln durch eine grob gerenderte Computerspielwelt. Sie wirkt vertraut, weil sie aus einem Bildervorrat schöpft, den wir nur allzu gut kennen. Sie ist fremd, weil Rafman gekonnt mit den Ekelgefühlen der Zuschauer spielt. Für alles, was man im Internet lieber nicht sieht, interessiert sich auch Daniel Keller. Im virtuellen Hörsaal der TU Dresden ist sein Vortrag “The Basilisk” zur Meme-Kultur der Alt Right zu sehen. Bilder gehen durch Internetforen wie durch eine kollektiv betriebene, anonyme Semantisierungsmaschine. Diese Bruchstücke tauchen plötzlich wieder im Mainstream auf, wie Untote, nur diesmal ganz real und umgewertet als Propagandainstrumente der neuen Rechten in den USA.

Max Kowalewski, Autonomer, mixed materials, robotics, 85x130x85, 2012
Annie Pearlman, Untitled (Desk Girl), sharpie on paper, 5.5"x8 7/16", 2011

Ein anderes Projekt, das sich ebenfalls an Formaten der Popkultur bedient, hat das Duo New Scenario mit der Arbeit "Residency" umgesetzt. Reality-TV, einst Inbegriff des schlechten Entertainment, kennen Millenials aus ihrer Jugend, und die künstlerische Bearbeitung dieser vertrauten Form ist schon fast ein eigenes Genre — spätestens seit Britta Thies Serie “Translantics” oder Ryan Trecartins schrillbunten Videoarbeiten. New Scenario versuchte sich mit dem Projekt “Residency” auch daran. Aber worum geht es da eigentlich? Anfang dieses Jahres sind acht Künstler für sechs Tage in ein abgeschiedenes Dorf am Berg Mariina Skála in der Böhmischen Schweiz gezogen. Im Intro der Serie sieht man eine Berghütte, die auch in “Twin Peaks” nicht fehl am Platze wäre.

Der Prozess ist das Ergebnis

Man hört das Echo eines romantischen Künstlerideals, ca. frühes 19. Jahrhundert. “Auf jeden Fall!”, sagt Paul Barsch. “Dort hat ja auch Caspar David Friedrich gemalt. Wir haben die Hütte extra so theatralisch dargestellt, während der Rest mit dem Handy gefilmt und mit generischer Musik unterlegt wurde. Anstatt in dieser kleinen Hütte auf dem Berg einfach eine Ausstellung zu machen, haben wir dort eine Residency eingerichtet. Man sieht ja selten den Prozess, der einer fertigen Ausstellung vorangeht.” Und ist es hier umgekehrt — ist der Prozess das Ergebnis? “Wir haben jeden Tag aufgenommen und das Video direkt online gestellt.”

New Scenario, RESIDENCY, Screen Capture

Welchen Stellenwert hat die physische Ausstellung noch, wenn die ganze Kunst im Browser verfügbar ist? Barsch: “Die Ausstellungen sind so konzipiert, dass sie über die Online-Plattform angesehen werden können.” Für “Residency” gab es eine Vernissage, “Hope” war von einer kleinen Schau im Ausstellungsraum der TU begleitet. Die digitale Ausstellung bleibt — auch wenn die ersten Versuche heute befremden: “Vor etwa zehn Jahren haben Museen angefangen, ihre virtuelle Präsenz bei “Second Life” aufzubauen. Auch nach diesem Hype versuchten viele Online-Ausstellungen, den White Cube nachzubilden.” Dabei funktionieren Bilder im digitalen Zeitalter anders. Sie haben ihre eigene Dynamik — wie Untote.

New Scenario, RESIDENCY, Screen Capture

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