Julia Stoschek diskutiert mit der Berliner Ausstellung „Jaguars and Electric Eels“ die Frage nach dem Verhältnis zwischen Mensch und Natur.
Eine Frau befindet sich auf einer Reise durch das Amazonasgebiet. Dort sucht sie das „Aroma Erbgut“. Eine Telefonzelle in der Gestalt eines Jaguars, junge Männer, die im Fluss einen rosafarbenen Delphin füttern, Close-ups von Aalen im Aquarium. Durchsetzt werden die dokumentarisch anmutenden und fragmentarischen Sequenzen durch Szenen aus einem Labor mit mikroskopischen Aufnahmen von Zellstrukturen und sich teilenden Organismen. Die weibliche Off-Stimme, die tagebuch-ähnlich mit epischem Klang über die Reise berichtet, versetzt den Zuschauer in eine melancholische Stimmung. Am Ende treiben Männer in Rettungswesten tot auf der Oberfläche des Flusses. Ein Plot wie aus einem Science-Fiction Film.
Die Videoinstallation „The Flavor Genome“ (2016) der südkoreanischen Künstlerin Anicka Yi verdeutlicht, dass sich der Mensch die Natur schon lange untertan gemacht hat und ist gleichzeitig das Schlüsselwerk in Julia Stoscheks Gruppenausstellung „Jaguars and Electric Eels“ auf drei Stockwerken in Berlin. In Anlehnung an Alexander von Humboldts Reiseberichte aus den Jahren 1853-54 regt das Repertoire der 39 ausgestellten Werke von 20 Künstlerinnen und Künstlern an, die Wechselwirkung zwischen Mensch und Natur zu überdenken.
Telefonzellen im Dschungel
Alexander von Humboldt berichtet in seinen Tagebüchern – einer wahrlichen Liebeserklärung an die Natur – von der Wechselbeziehung zwischen Mensch und Natur. Als Pionier verweist er auf die Konsequenzen menschlichen Handelns auf das Gleichgewicht zwischen Flora, Fauna und letztendlich auch dem Menschen. Die Arbeit von Yi untersucht genau diese Konsequenz und zeigt eine Zukunft, in der der Mensch die Natur kommerziell nutzbar gemacht hat.
Die Beschreibung des Jaguars, diese „blutgierigste Abart“, die sich laut Humboldt „aus Wanderlust und Raubgier in so undurchdringliche Teile der Waldung verirrt“ habe, ist in Yis Videoarbeit zynisch inszeniert. Der einst gefährliche Räuber ist nur noch als völlig deplatzierte Telefonzelle im Dschungel präsent. Die wilden Flussdelphine sind inzwischen nahezu ausgerottet und müssen vom Menschen künstlich ernährt werden; und der Zitteraal existiert nur noch in Gefangenschaft. Yis Arbeit gibt dem Betrachter Raum, sein eigenes Verhalten zu reflektieren.
Er kam, sah und zerstörte
In den Videoarbeiten von Cyprien Gaillard und Kader Attia steht der Entdeckungsgeist des Menschen im Fokus und erzeugt einen bitteren Beigeschmack. Wie Humboldt früher, bereist der Mensch auch heute die Weltkugel – von der Entdeckungsreise zur Antarktis bis tief hinein in die Wälder Südamerikas. Lebende Trophäen wie etwa Vögel werden auch heute noch aus den exotischen Ländern geraubt und ihre Lebensräume zerstört. Fast romantisch mutet es dem Betrachter in Gaillards Videoarbeit „KOE“ an, dem Schwarm grüner Halsbandsittiche zuzusehen, wie sie in Endlosschleife durch die Düsseldorfer Altstadt hin zur Luxusmeile KÖ dem Sonnenuntergang entgegen fliegen. Es dauert einen Moment bis man realisiert, dass diese Vögel aus ihrem natürlichen Umfeld gestohlen wurden und in Käfigen aus Afrika und Asien nach Europa deportiert werden mussten.
Attia zeigt mit „Mimesis as Resistance“ den australischen Prachteierschwanz während seines Balzrituals. Ein schöner Singvogel, der für die Gunst des Weibchens jegliche Laute seiner Umgebung adaptiert. Auf schaurige Art und Weise imitiert der Vogel ein ausfahrendes Kameraobjektiv und spiegelt damit die Infiltration des Menschen seines Lebensraums. Das Klicken des Autofokus wird von dem Geräusch einer Kettensäge aus dem Hals des Singvogels übertroffen und zeigt das Ausmaß der Tragödie; die Zerstörung seines Lebensraumes durch den Menschen.
Wo der Mensch nicht hinkommt
Im Erdgeschoss zeigt Stoschek die Videoarbeit „Blow Debris“ des US-amerikanischen Künstlers Doug Aitken. Der Videofilm widmet sich dem Menschen und dem Preis, den er für die Zivilisation zahlt. In seiner Bild-Ton-Collage zeigt Aitken Frauen und Männer, nackt, im Kontrast zu hinterlassenen Gütern der Zivilisation in der Wüste in einer post-apokalyptischen Atmosphäre. Im Showdown lösen sich Gegenstände in einem Sandsturm genau wie die Körper der Protagonisten selbst auf, die sich ruhig ihrem Schicksal hingeben. Die naheliegende Assoziation mit „Dummy Towns“, Städte die für Atombombentest in den 50er-Jahren in der nordamerikanischen Wüste gebaut wurden, ist kaum zu verdrängen. Das Grübeln um die Fragen nach der eigenen Verantwortung für Natur und Mensch kumulieren in diesem letzten Teil der Ausstellung.
Der technologische Fortschritt hat den Menschen zum Herrscher über die Natur gemacht. Er hat einen transitorischen Zustand zwischen Natur und Kultur geschaffen, in der die natürlichen Kräfte mit den künstlichen kollidieren. Von diesem bizarren Zustand ausgehend, adressiert die Ausstellung jenen Konflikt, den bereits Alexander von Humboldt erkannte. Nämlich dass der Raubbau an der Natur globale Folgen mitbringt. Auf die Frage, welche Konsequenzen das menschliche Handeln und die technologische Weiterentwicklung in Zukunft auf die Umwelt hat, lässt sich treffend mit Humboldts eigenen Worten antworten: „Die Welt ist vollkommen überall, wo der Mensch nicht hinkommt mit seiner Qual.“
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