Die Oper „Mondparsifal Beta 9-23“ von Jonathan Meese bei den Berliner Festspielen saugt den Besucher in einen Kosmos, in dem Logik nur eine untergeordnete Rolle spielt.
„Mütze ab, Wagner ist's“ - spätestens als die weißen Buchstaben, die später zu Übertiteln werden, auf der Saalwand der Berliner Festspiele erscheinen, ist klar: Ein klassischer Wagner wird das hier nicht. Jonathan Meese ist für Regie, Bühnenbild und Kostüme der Oper zuständig, die von Bernard Lang nach Vorbild des Wagnerschen „Parsifal“ geschrieben und unter der musikalischen Leitung von Simone Young umgesetzt wurde; Die Berliner ermöglichen Meese damit, was ihm nach langen Diskussionen bei den Bayreuther Festspielen letztendlich verwehrt blieb.
Eingebettet in das zweijährige Programm „Immersion“ der Festspiele erschafft der langhaarigen Künstler, der stets in einem schwarzen Adidas-Jogginganzug auftritt, nun seine märchenhafte Welt; diese steht ganz unter seiner propagierten „Diktatur der K.U.N.S.T“ und bringt die Zuschauer mit drei Akten in einen kleinen Rausch.
Captain Kirk
Wie ein überlebensgroßes Diorama wirken die einzelnen Bühnenbilder, die im Laufe der Aufführung mehrmals wechseln und in ihrem Reichtum an Details die eher spartanischen Kulissen des zeitgenössischen Theaters mühelos in den Schatten stellen. Zu Beginn klettert Wolfgang Bankl als Gurnemanz über eine Mondbasis aus weißem Bauschaum und wirkt ausgestattet mit langen schwarzen Haaren und einem Adidas-Jogginganzug wie eine Hommage an den Künstler hinter der Bühne. Später reiht sich ein Chor aus Gralsrittern in Gestalt von Vulkaniern dazu, die Amfortas – gesungen von Tómas Tómasson in der Verkleidung von Captain James T. Kirk – und seine sich nie schließende Wunde besingen.
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Im Zaubergarten des Klingsor, der trotz eigenhändiger Entmannung nicht in den Kreis der Gralsritter aufgenommen wurde und auf Rache sinnt, werfen Manga-Mädchen lustvolle Blicke in die Gegend, während Kundry im stilechten Barbarella-Outfit versucht, Parsifal zu verführen. Daniel Gloger, der nur mit einem roten Lendenschurz und Schaftstiefeln wie Zed aus dem 70er-Jahre Science-Fiction-Film "Zardoz" aussieht, singt die Rolle des „tumben Toren“ in absichtlich schrillen Stimmlagen – doch Parzifal bleibt standhaft.
Nervenraubend
Es ist ein wilder Ritt durch die Geschichte der (Pop)Kultur, die Meese hier auf die Bühne bringt. Unterstützt wird dieser durch die musikalische Form, die sich Bernhard Lang für seine Wagner-Version ausgesucht hat: Beinahe jeder gesungene Satz wird „gelooped“, also bis zu fünfmal wiederholt. Was am Anfang noch Freude bereitet, weil es so herrlich ungewöhnlich ist, steigert sich alsbald zum nervenraubenden Gefühl, es mit einem Sprung in der Schallplatte zu tun zu haben.
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So tief man auch eintaucht in den Meese'schen Kosmos, in dessen wirr geschriebenen Kommentaren vor allem sehr häufig des Künstlers Lieblingsvokabel „Erz“ vorkommt – die Endlosschleifen des Librettos irritieren nachhaltig, die Musik gerät darüber in den Hintergrund. Lang zerstückelt und remixt den Opernklassiker so lange, bis man als Zuschauer jede Suche nach Stringenz und Logik aufgibt und sich selbst wiederum ergibt.
Empörung garantiert
„Immersion ist für uns ein ambivalentes Phänomen, das genauso für Rausch oder Meditation steht wie es auch Anlass für Distanzierung und grundsätzliches Hinterfragen ist“, schreibt Thomas Oberender, Intendant der Berliner Festspiele, in seinem Vorwort zur Immersion-Reihe. Mit Jonathan Meese und Bernhard Lang hat er also perfekte Verbündete gefunden: Dieses schrillbunte Opern-Event, welches auf dem grünen Hügel der Bayreuther Festspiele mit Sicherheit zu empörten Zwischenrufen geführt hätte, ist ein vierstündiger Rausch und gleichermaßen ein kritisches Abklopfen des Wagner-Mythos auf seine Relevanz für die Gegenwart. Ein wahres „Geilstgruseln“!
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