In Wolfsburg verwandelt der belgische Künstler Hans op de Beeck das Kunstmuseum in eine begehbare Gesamtinstallation, die den Besucher Raum und Zeit vergessen lässt.
Durch einen rechteckigen Ausschnitt in der Wand schaue ich auf die nächtliche Szenerie eines Vergnügungsparks und habe plötzlich das beängstigende Gefühl, der letzte Mensch auf Erden zu sein: Die Fahrgeschäfte sind verlassen, eine dünne Schicht Schnee liegt darüber und nur vor einem kleinen Wohnwagen brennt ein schwaches Feuer vor sich hin. Es scheint, als sei der Ort eben noch von Menschen bevölkert gewesen – doch nun wirkt er seltsam leer und unbelebt. Ich bekomme eine leichte Gänsehaut.
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Dieses Gefühl von Einsamkeit, unheimlicher Ruhe und dem unangenehmen Verdacht, dass da etwas unbekanntes im Dunkeln lauert, taucht in der Ausstellung immer wieder auf: So etwa in der 1998 entstandene Rauminstallation „Location (1)“ einer nächtlichen und menschenleeren Ampelkreuzung, die ebenso stur wie nutzlos beständig von Rot auf Grün schaltet, obwohl weit und breit keine Autos zu sehen sind. Auch in der Installation „The Settlement“ von 2013, bei der man sich als Betrachter einer urtümlichen Miniatur-Siedlung aus Pfahlhäusern, Fischernetzen und Booten auf einer Wasserfläche gegenüber sieht, taucht die Frage auf: Wo sind eigentlich all die Menschen, was geschieht hinter den beleuchteten Fenstern, welches Unglück ist hier geschehen?
Der eigenen Vorstellungkraft überlassen
Menschliche Figuren gibt es nur selten im Werk von Hans op de Beeck – und wenn, dann befinden sie sich in einem Zustand der Erstarrung, der scheinbar so plötzlich über sie hereingebrochen ist wie der Schlaf über die Protagonisten aus dem Märchen „Dornröschen“. In der beeindruckenden Arbeit „The Collector's House“ verewigte op de Beeck u.a. seine beiden Kinder als Gipsfiguren mit geschlossenen Augen die, grau angemalt wie das gesamte Interieur des fiktiven Sammler-Zimmers, so lebensecht wirken, dass man jeden Moment ihren Augenaufschlag erwartet. Und die beiden Wachsfiguren, die den Schauspielern aus dem Kurzfilm „Sea of Tranquillity“ nachempfunden sind – die atmen doch ganz eindeutig, oder? Was genau in den Installationen des Künstlers – der auch Bühnenbilder entwirft – passiert, bleibt jedoch der eigenen Vorstellungskraft überlassen.
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Hans op de Beeck, als Multimedia-Künstler, Dramatiker, Komponist und Theaterregisseur bekannt, hat für seine Ausstellung „Out of the Ordinary“, die sein bisheriges Werk aus zwanzig Jahren umfasst, das Kunstmuseum Wolfsburg in eine düstere, irgendwie bekannt wirkende und dennoch zugleich unbekannte Zwischenwelt verwandelt, in die man als Besucher mit Haut und Haaren eintaucht. Anders als in handelsüblichen Ausstellungen findet sich hier nicht das bekannte Doppel aus Kunstwerk und erklärender Plakette: Man tastet sich stattdessen im schummrigen Licht zwischen fast, aber eben nur fast maßstabsgetreuen Häusern und Lagerhallen einer tristen Vorstadtstraße entlang, in die die Installationen und Filme des 1969 geborenen Künstlers eingebettet sind und die einen weiteren Werkkomplex op de Beecks bilden.
Ruhe und Konzentration
Mülleimer, Holzpaletten und ein echter Springbrunnen weisen den Besuchern den Weg über den trittschallgedämpften Teppichboden und lassen die Grenzen zwischen Außenwelt und künstlich gestalteter Traumwelt verschwimmen. Fast scheint es, als habe op de Beeck seine Arbeiten nicht nur als zeitlose Parallelwelt inszeniert, sondern auch als Möglichkeit für die Besucher, sich selbst für einen Moment aus dem unablässig laufenden Rad der Zeit zu lösen: In den dreißig Minuten, die der Kurzfilm „Sea of Tranquillity“ dauert, sprechen die Protagonisten kein einziges Wort, ihre wie in Zeitlupe durchgeführten Bewegungen machen die auf dem Luxusdampfer vorherrschende Langeweile sichtbar wie ein langgezogener Kaugummi und zwingen die Zuschauer zu Ruhe und Konzentration. „Die Stille auf die Bühne bringen“, benennt op de Beeck seine Intention dahinter.
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Wohl auch deswegen wird im ganzen Museum unaufgefordert nur geflüstert, um die eindringliche Atmosphäre, die völlige Vertiefung in das Œuvre des Belgiers nicht zu zerstören. Ein Eintauchen, das ganz ohne moderne Hilfsmittel wie etwa Virtual Reality entsteht und aus in der man – unbemerkt mitunter erst Stunden später – blinzelnd zurück in das spätsommerliche Wolfsburg auftaucht.
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