Das letzte Aprilwochenende gehört in Berlin traditionell der Kunst: Im Rahmen des Gallery Weekends feiern unzählige Galerien ihre Ausstellungseröffnungen. Hier sind die Höhepunkte aus dem Programm
Die ehemalige Druckerei-Halle des Tagesspiegels ist für sich schon ein beeindruckender Ort: Ein Glasdach lässt die Sonne in den rund 20 Meter hohen Raum hineinfluten und bietet die idealen Voraussetzungen für eine Ausstellung. Mehr als 20 Meter umfasst auch die neueste Arbeit mit dem Titel „ZEITLAICH“ von Jonas Burgert, die im Rahmen des Gallery Weekends in der dort ansässigen Galerie BlainSouthern gezeigt wird und fast die gesamte Wandlänge einnimmt. In seinen großformatigen Malereien lotet Burgert immer wieder die verschiedenen psychologischen Zustände des Menschen aus, verbildlicht Einsamkeit und Eitelkeit, Hass, Rache und Exzess. Die ungewöhnliche Größe der neuen Malerei bietet ihm nun noch mehr Möglichkeit, die Facetten des Lebens darzustellen: Um das ganze, vor Figuren nur so wimmelnde Werk und die darin erzählten Geschichten komplett erfassen zu können, muss man als Betrachter viel physische und geistige Kraft aufbringen. Es entsteht ein tableau vivant, das an die Gemälde von Hieronymus Bosch erinnert, und doch eine ganz eigene Kraft entwickelt.
Ein deutlich kleineres Format hat sich Kasia Fudakowski ausgesucht. Die Kreuzberger Galerie ChertLüdde zeigt in einer Einzelausstellung namens „Double Standards – A Sexhibition“ neue Arbeiten der Künstlerin, in denen sie sich mit den Errungenschaften von Lee Lozano und Andy Kaufmann auseinandersetzt. Beide wurden im New York der 1960er- bis 80er-Jahre als Konzeptkünstler bekannt, die sich kritisch mit den Stereotypen der Geschlechter und den Strukturen des Feminismus auseinandersetzten. Die Frage, inwiefern ein Künstler mit einem Hofnarr vergleichbar ist, der das Publikum sowohl amüsiert als auch die gesellschaftlichen Strukturen kritisiert und somit zwei Identitäten in einer vereint, greift auch Kasia Fudakowski in ihren Skulpturen und Installationen auf.
Die Dekonstruktion von Theorien, das Hinterfragen des Gängigen zieht sich hingegen durch das Werk von Brent Wadden. Der kanadische Künstler zeigt in der Galerie Peres Projects in einer Einzelausstellung „zerodayolds“ neue Arbeiten aus handgewebten Mustern, die er zu größeren Assemblagen zusammennäht. So entstehen großformatige Werke, die an abstrakte Gemälde erinnern und in denen sich der Künstler mit der Verbindung zwischen alten und modernen Formen der Kunstproduktion auseinandersetzt. Es geht Wadden, der keine professionelle Ausbildung als Weber hat, aber in erster Linie um die Geschichte der Malerei, die Untersuchung von Farben und Formen, und nicht vorrangig um die Tradition der Textilproduktion und des Kunsthandwerks.
Während viele Galerien in diesem Frühjahr auf Malerei und Installationen setzen, widmet sich die Galerie Guido W. Baudach der Fotografie. „Bewegtes Ich“ zeigt eine Auswahl von Schlüsselwerken des Künstlers Jürgen Klauke aus den Jahren 1972 bis 2017. Klauke, 1943 geboren, beschäftigt sich seit rund 40 Jahren mit der Darstellung von Störungen in der menschlichen Kommunikation, der lähmenden Leere in einem unausgefüllten Leben und vor allem dem Problem der Identität. Seine fotografischen Inszenierungen, in denen er als Ideengeber, Modell und Ausführender gleichzeitig funktioniert, wollen provozieren und herausfordern. In einer spielerischen Auseinandersetzung thematisiert er die Differenzen zwischen den Geschlechtern und den Eigenheiten des Körpers, ist sich dabei selbst Projektionsfläche und doch als Figur nie deckungsgleich mit dem Künstler Jürgen Klauke. Seine Fotografien, wenn auch teilweise mehrere Jahrzehnte alt, sind noch immer von brisanter Aktualität.
Als Sibylle Bergemann 2010 verstarb, hinterließ sie einen umfangreichen Nachlass an Fotografien aus der Kultur- und Modewelt der DDR. Seit 1967 hatte sie als freiberufliche Fotografin für verschiedene Magazine gearbeitet – u.a. für die gleichnamige Modezeitschrift „Sibylle“ – und sich mit ihren Reportage- und Modestrecken einen Namen gemacht. Die Galerie KICKEN in Berlin-Mitte setzt ihre Aufnahmen unter dem Titel „Der Rand der Welt. Sibylle Bergemann in Dialogue“ mit Arbeiten u.a. von Harald Hauswald, Helga Paris und Arno Fischer und ihrer Sicht auf Berlin-Mitte in Bezug. Nicht offiziell im Programm des Gallery Weekends vertreten, aber dennoch sehenswert, sind die Ausstellungsorte Galerie Loock, die die Ausstellung „Sibylle Bergemann - Frauen. Und in Farbe“ in der Galerie Loock zeigt, sowie die Reinbeckhallen mit einem Querschnitt durch das Gesamtwerk der Bergemann.
47 Galerien gehören zum „offiziellen“ Programm des Gallery Weekends, doch etliche Galerien und Künstler in der Stadt docken an diesem Wochenende daran an. So auch Ryan Mendoza, dessen neuste Aktion für großes mediales Aufsehen sorgte: Er holte das Haus der amerikanischen Bürgerrechtlerin Rosa Parks aus Detroit in einen Hinterhof in Berlin-Gesundbrunnen. An seinem ursprünglichen Ort war es dem Verfall anheim gegeben, niemand interessierte sich für den Erhalt und so wirken die spröden, altersfleckigen Holzlatten auch in ihrer neuen Umgebung höchst fragil. Rosa Parks hatte Ende der 1950er-Jahre darin gelebt - nachdem sie sich am 1. Dezember 1955 in Montgomery, Alabama geweigert hatte, einem weißen Fahrgast ihren Sitzplatz zu überlassen, zog sie mit ihrem Mann aufgrund dauernder Anfeindungen nach Detroit. Die Nichte von Rosa Parks, Rhea McCauley, hatte das Haus für 500 Dollar gekauft. Mit der Hilfe von Ryan Mendoza verschifften sie es für rund 13.000 Dollar Transportkosten nach Berlin, wo der Künstler es Brett für Brett wieder aufbaute. Wie lange es in Berlin bleibt, ist noch unklar; der Besuch während des Gallery Weekends ist also fast ein Muss.
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