Clemens Jahn hat sich die Sitcom „The Superhost“ angesehen. Mit dieser Arbeit zeigt die Künstlerin Britta Thie, wie man ohne Angst vor dem Mainstream die Kritik begeistern kann.
Wer Anfang des Jahres in New York war, konnte auf den digitalen Werbetafeln von LinkNYC das Filmposter für die Sitcom „The Superhost“ entdecken – das jüngste Projekt der deutschen Künstlerin Britta Thie. „Where do you lay your head, when you’re not sure where it’s at?“ lautete dessen Slogan auf den animierten Screens, die der New Yorker Public Art Fund von 6. Februar bis 5. März 2017 von ausgewählten Künstlerinnen und Künstlern bespielen ließ.
„The Superhost“ handelt von Preston und seinem Mitbewohner Sage, zwei hippen New Yorker Kreativen, die ihre Wohnung in der Lower Eastside via Airbnb an Touristen untervermieten, um sich den teuren Lebensunterhalt im Big Apple zu finanzieren. Beim Annoncieren des Apartments setzen die Protagonisten auf Lifestyle-Marketing und versprechen ihren Besuchern authentische New Yorker Künstlerbohème – für die internationalen Gäste, wie die betagte Filmdiva Ulla Krass oder die naive Münchner Schauspielerin Laura eine interessante Alternative zu austauschbaren Aufenthalten in charakterlosen und überteuerten Stadthotels. Von den beiden Gastgebern ist dabei voller Einsatz gefordert: Sie selbst sind Teil der experience, die sie ihren Gästen verkaufen, und damit das Geschäft läuft, sind sie auf deren positive Airbnb-Bewertungen angewiesen. „The Tragedy of Rating" heißt nicht umsonst der Untertitel der Sitcom.
Bei der Handlung von „The Superhost“ mischen sich reale und fiktive Elemente. Preston Chaunsumlit, im echten Leben ein enger Freund von Britta Thie, spielt beispielsweise eine ironisch überzeichnete Version seines realen Selbst. Die flegelhafte Talulah wird von der Musikerin James K verkörpert, eine weitere Bekannte von Thie, die im Film ihre Stücke „Drunktrack“ und „Luv Me Too“ performt. Bereits 2015 arbeitete Britta Thie im Rahmen der Web-Serie „Translantics“ – eine Kooperation der SCHIRN mit dem ZDF und ARTE Creative – mit etlichen Künstlerinnen und Künstlern aus ihrem Bekanntenkreis zusammen, die mal mehr, mal weniger akkurat sich selbst darstellten. Preston Chaunsumlit und James K waren dort ebenfalls schon zu sehen.
Das Privatleben wird zur Einkommensquelle
Auch thematisch ist „The Superhost“ nicht allzu weit von der Realität entfernt. Gerade in den neoliberalen global cities wie New York oder London, wo sich finanzielles und kulturelles Kapital konzentrieren, ist für freischaffende Künstlerinnen und Künstler das Überleben häufig nur mit größten Schwierigkeiten möglich. Die wenigsten können sich mit ihrer Kunst allein finanzieren. Mieten und Lebenshaltungskosten sind horrend, angemessene Verdienstmöglichkeiten gibt es nur für eine Handvoll Berufsgruppen und die Niedriglöhne aus einfachen Nebenjobs reichen nicht aus, um über die Runden zu kommen. Wer nicht aus privilegierten Verhältnissen stammt, muss zudem womöglich noch jahrelang einen Studienkredit abbezahlen. Vor allem Sharing-Economy-Modelle, von Airbnb bis UBER, die es ermöglichen, relativ unkompliziert Privatbesitz (und -leben) zu kapitalisieren, werden für viele zur primären Einkommensquelle. Fluch oder Segen? Hier scheiden sich die Geister.
Bei der Bearbeitung der gesellschaftskritischen Thematik und deren Ambivalenz spielt Britta Thie mit einer Ästhetik massenmedialer Vertrautheit: die Typografie der Filmtitel erinnert an die Kultserie „Friends“; das Set kombiniert IKEA-Basics mit hübschen großformatig reproduzierten Aquarell-Illustrationen der Künstlerin; die Stimme von Prestons deutschem Synchronsprecher Benjamin Völz, der üblicherweise Schauspielgrößen wie Keanu Reeves, Matthew McConaughey oder David Duchovny synchronisiert, dürfte dem deutschsprachigen Publikum bestens bekannt sein; der Soundtrack des finnischen Musikproduzenten Ville Haimala wechselt geschickt zwischen sympathisch-albernen Jingles und eingespielten Lachern und erzeugt dadurch perfekte Sitcom-Stimmung; mit den Schauspielerinnen Vera „Veruschka“ von Lehndorff in der Rolle der Ulla Krass und Brigitte Hobmeier als Laura Brecht wird auch das deutsche Publikum abgeholt.
Alles miteinander verknüpfen
Ursprünglich basiert „The Superhost“ auf Britta Thies Bühnenstück „I’MDb – A Live Drama about the Tragedy of Rating“, das Mitte 2016 in den Münchner Kammerspielen gezeigt wurde. Der Kurzfilm ist das Ergebnis der aufwändig überarbeiteten Filmaufnahmen der Theateraufführungen und Formalisierung einer offenen künstlerischen Praxis – nicht nur als ästhetisches und erzählerisches Kunstwerk, das den daran beteiligten Akteuren sehr viel Raum lässt, sondern vor allem auch in Bezug auf dessen Entstehungszusammenhang. Mit „I’MDb“, „The Superhost“ oder „Translantics“ verknüpft Britta Thie verschiedenste Institutionen, Medien und Kontexte: Aus einem Projekt mit der SCHIRN entwickelt sich eine Kooperation mit einem TV-Sender, es entsteht eine Theaterproduktion, Festival-Screenings und Ausstellungen in renommierten Kunstinstitutionen und -sammlungen folgen, bei denen verschiedene Kunstobjekte mit Derivaten ihrer Film- und Bühnenproduktionen – Videoclips, Requisiten, Ton, Text – vermischt werden. Alle Aktivitäten stehen in in Bezug zueinander.
Britta Thies Kunst ist aber nicht nur Produkt ihrer Umstände. Die Künstlerin ist eine hocheffiziente Netzwerkerin und Grenzgängerin, der es gelingt, virtuos zwischen den unterschiedlichsten kulturellen Sphären zu balancieren. Ihr Studium an der Cooper Union in New York und bei Prof. Hito Steyerl an der Universität der Künste Berlin haben sie dabei maßgeblich beeinflusst. Seit Herbst 2016 unterrichtet Thie selbst als Professorin für Performance an der Hochschule für Gestaltung Offenbach und gibt dort ihr Wissen an die nächste Generation von Künstlerinnen und Künstlern weiter. Zwischendurch ist sie im WDR bei Formaten wie „Anke hat Zeit“ oder „Westart“ zu sehen, wo sie ihre Aktivitäten einem breiten Publikum zugänglich macht.
Viele von Thies Künstlerkolleginnen und -kollegen würden bei derartigen TV-Formaten vermutlich die Nase rümpfen: nicht elitär genug, zu banal, zu mainstreamig. Thie hingegen interessiert sich explizit für massenmediale Kontexte. Sie thematisiert und referenziert sie in ihren Arbeiten, ohne sich von ihnen abgrenzen zu wollen – ganz im Gegenteil: Die Künstlerin fühlt sich in ihnen zu Hause. Bereits als Kind stellte Thie mit einer Videokamera in ihrem Elternhaus Fernseh-Talkshows nach. Einige dieser Aufnahmen tauchten 2012 in ihrem Videoessay „Hi HD“ auf. Vielleicht lässt sich die Sitcom „The Superhost“ auch als eine Hommage an diese frühen künstlerischen Experimente deuten. Heute macht Britta Thie zeitgenössische Kunst, die sich zwischen New York, Berlin und Westfalen, zwischen Mainstream-Medien und elitärer Kunstwelt, zwischen Kritik und Kommerz bewegt. Was dabei entsteht, ist nicht der gewohnte bürgerlich-gefällige Einheitsbrei, sondern innovativ, authentisch und relevant.