Zwei Filme über zwei große Künstlerpersönlichkeiten des 20. Jahrhunderts wurden auf der Berlinale vorgestellt und laufen in diesem Jahr in den Kinos. Der Filmcheck auf dem SCHIRN MAG
Eine historische Persönlichkeit filmisch zu portraitieren, bringt immer formale wie auch inhaltliche Probleme mit sich: Der Filmemacher möchte die eigene Interpretation, also die eigene Version eines Menschen auf die Leinwand bringen, auf der anderen Seite sind da nun einmal die Fakten, vorgegeben und somit gesetzt. Die Wahl besteht sodann zwischen zwei Formaten: Dem Biopic und der Dokumentation. Nicht selten werden beide Formen vermischt, indem der Biopic-Regisseur den Anspruch auf Allgemeingültigkeit erhebt und zurück in eine Art gespielte Dokumentation verfällt. Dokumentarfilme hingegen werden seit etlichen Jahren gern mit nachgespielten Sequenzen erweitert, die oft im mangelnden Vertrauen in die Aufnahmefähigkeit des Publikums begründet zu sein scheinen.
Auf der diesjährigen Berlinale hatten gleich zwei Künstlerportraits Weltpremiere, die beide im Sommer ins hiesige Kino kommen werden: Stanley Tuccis Spielfilm „Giacometti“ und Andres Veiels Dokumentation „Beuys“. Beide verraten direkt im Titel, um wen es sich drehen soll – hier enden aber dann auch schon die Gemeinsamkeiten. Tucci – dessen erste Bemerkung auf der Pressekonferenz, „Ich fand Biopics eigentlich nie besonders interessant“, schon Bände sprach – konzentriert sich in seinem Werk auf einen zweiwöchigen Zeitraum im Leben des schweizerischen Bildhauers, Malers, Ausnahmekünstlers der Moderne, während Veiels Dokumentation sich daran versucht, dem Phänomen Joseph Beuys auf den Grund zu gehen.
Der zweifelnde Berserker
Paris, im Jahre 1964: Der Schriftsteller James Lord (Armie Hammer) wird, einige Tage bevor er die Heimreise nach New York antreten will, von seinem Bekannten Alberto Giacometti (Geoffrey Rush) gebeten, Modell für ein neues Portraitbild zu sitzen. Gleichermaßen geehrt und gespannt begibt sich Lord ins düstere wie heruntergekommene Wohnatelier des Künstlers, indem der mit seiner Frau und seinem Bruder lebt. Auftritt Giacometti: ein wunderbar exzentrischer, übelgelaunter und gleich wieder heiterer, manischer und wieder depressiver und natürlich und vor allen Dingen: stets zweifelnder Berserker.
Geoffrey Rush gibt einen grantelnden und knurrenden Künstler, oft missmutig und von erstaunlich kurzer Geduld – der dann wieder zärtlich und liebevoll, lustig, unglaublich gewinnend sein kann. Sein Bruder Diego ist immer wieder da, um Albertos Auswürfe ironisch zu kommentieren und den höchst wohlerzogenen, aber nach und nach ungeduldiger werdenden Gast bei Laune zu halten. Zwei Frauen spielen in Giacomettis Leben zu dieser Zeit eine wichtige Rolle: seine Frau Annette (Sylvie Testud) und seine impulsiv-anstrengende Muse Caroline (Clémence Poésy).
Verkniffen greift Rush zum Pinsel
Tucci gibt seinen Schauspielern ausreichend Raum, um ihre Figuren in eigenem Tempo entfalten zu können, und fängt sie gleichzeitig dank minimaler technischer Ausstattung ganz nah wieder ein: Wenn Rush verkniffen zum Pinsel greift, dabei jede noch so kleinste Bewegung seines Gegenübers skeptisch beäugt, dies missmutig quittiert, dann lässt die Kamera den Zuschauer an jedem Mundzucken teilhaben. Armie Hammers Haut erfasst sie stellvertretend für den durchdringenden Blick des Künstlers, der sich jede Hautpore, jeden Bartstoppel genauestens anschaut.
Und dann das Atelier, das schier überquillt vor Skulpturen und Bildern, die das Filmteam von einem Profi im Stile des Künstlers nachbauen und – malen ließ: Wenn Giacometti hier mit groben Gesten Matsch und Fasern vermischt, um sie an die Drahtskulptur zu klatschen, um sich jenem Porträt anzunähern, das doch immer nur in seinem Kopf bleibt, dann erinnert dies an nicht weniger als die ganz großen Mythen der Menschheitsgeschichte – der Mensch, von Gott aus feuchtem Lehm im Urschlamm erschaffen. Dazu passen die matten Farben, in die Tucci seinen Film taucht: Grau und schwarz und weiß, bräunlich und beige, mit natürlichem Licht gedreht reflektiert sie jene Farbwelt, die auch Giacomettis Arbeiten auszeichnen. Man ist zwischendurch fast froh, diesen feuchten, finsteren Ort zu verlassen, um Künstler und Modell bei Ausflügen in die Pariser Lokale zu begleiten.
Das Faszinosum Beuys
Andres Veiel präsentiert mit „Beuys“ hingegen einen Film, der strikt am anderen Ende der Filmportrait-Skala angesiedelt ist: eine klassische Dokumentation. In einer angenehm ruhig geschnittenen Montage führt der Regisseur ein in die Welt des deutschen Aktionskünstlers mit dem Hut: Joseph Beuys. Veiel hat hierfür Berge von Archivmaterial analysiert, vieles bis jetzt unerschlossen: Insgesamt wurden so 400 Stunden Bildmaterial, 300 Stunden Audiomaterial und über 20.000 Fotos ausgewertet. Der Film setzt das Faszinosum Beuys in den Mittelpunkt und präsentiert staunend das Archivmaterial; Freunde und Weggefährten erzählen vom Charisma des Künstlers. Einen einordnenden Off-Kommentar gibt es nicht, auch eine Kontextualisierung der historischen Aufnahmen verweigert Veiel.
„Beuys“ präsentiert uns die wichtigen Stationen des gleichnamigen Protagonisten: Soldat im Krieg, Depression, erste Kunst-Aktionen, Professur in Düsseldorf, 7000 Eichen in Kassel, Reden über Soziale Plastik, Ausstellungen in Amerika und schließlich die Parteimitgliedschaft bei den Grünen. Der Künstler ist von seiner besten Seite zu sehen: er lacht, ist charismatisch, ist aktionistisch – begeistert nicht nur seine Freunde und Weggefährten, die in einzelnen neugedrehten Interviewpassagen zu Wort kommen, sondern auch die Menschen in den dokumentarischen Aufnahmen. Die Deutungshoheit über Beuys behält so nur einer: Beuys selbst.
Er bleibt ein Mysterium
In historischen Aufnahmen wischt er kritische Nachfragen mit der saloppen Aussage „Ja, so sehen sie das!“ weg, Veiel selbst vermeidet es, die anthroposophischen Einflüsse Rudolf Steiners, mit denen Beuys in den 1940er Jahren erstmals in Berührung gekommen war, näher zu thematisieren – und wieso die Grünen schließlich gegen ihr bekanntes Parteimitglied revoltierten, scheint auch nicht weiter interessant. Beuys bleibt so ein Mysterium und Veiels Film über ihn eine Art Heiligenaltar, bei dem vor allem der auf seine Kosten kommt, bei dem das Phänomen Beuys ohnehin schon offene Türen einrennt.
So vermögen es beide Filme auch etwas über das Sujet des Filmportraits an sich zu erzählen: Während Andres Veiel die Narrationen seines Filmsubjekts in großen Teilen übernimmt, erschafft Stanley Tucci in „Giacometti“ ein Film-Portrait über einen Künstler, der ein Portrait herstellt und an diesem ständig aufs Neue verzweifelt – worin sich für den Regisseur eben auch die Unmöglichkeit seines eigenen Unterfangens widerspiegelt.