Von außen eher unspektakulär: Eine große schwarze Rotunde, die wie ein Raumschiff auf dem ehemaligen Todesstreifen der Berliner Mauer gelandet ist. Doch innen eröffnet sich ein außergewöhnliches Panorama.
Dass ziemlich genau an dieser Stelle, wo heute verkleidete Statisten für die zahlreichen Touristen ein bisschen stümperhaft Grenzbeamte der ehemaligen DDR imitieren, noch vor knapp 30 Jahren die Berliner Mauer stand, ist nur noch mit viel Phantasie vorstellbar. Doch das Panorama von Yadegar Asisi, schlicht „Die Mauer“ betitelt, lässt die Zeit der Teilung wiederaufleben.
Von einer Plattform im Inneren der großen Rotunde wirkt es, als blicke man vom damals in Westberlin gelegenen Kreuzberg über die mit Graffiti besprühte Mauer in den Osten Berlins und somit in ein anderes Land. „Je stärker der Sozialismus, desto sicherer der Frieden“, steht auf der Brandwand eines grauen Wohnhauses, dem man die Schäden aus dem zweiten Weltkrieg auch in dem hier dargestellten Herbst 1980 noch ansieht. Das Ganze wirkt so realistisch, dass man meint, auf der Westseite die langhaarigen Hausbesetzer singen zu hören und den Grenzer auf seinem Beobachtungsturm missmutig durch sein Fernglas blinzeln zu sehen. Nur den Geruch nach Kohleöfen und feuchten Kellern, der Kreuzberg nicht nur damals, sondern teilweise auch noch heute durchzieht, muss man sich dazu denken.
Kreuzberg im Schatten der Mauer
Es ist nicht das erste Panorama, welches Yadegar Asisi entwickelt hat, aber sein persönlichstes: Nachdem er mit seiner Familie 1955 aus Persien in die DDR geflohen war, übersiedelte er 1979 nach Westberlin. Hier wohnte er unweit des „antifaschistischen Schutzwalls“, der wie ein Riss durch die Struktur der Stadt ging, mit dem man sich aber nach all den Jahren irgendwie arrangiert hatte. Kreuzberg, damals direkt im Schatten der Mauer gelegen, war heruntergekommen und schmutzig – und ein beliebter Wohnort für alle Kreativen und Unangepassten.
Anders als bei seinen anderen Panoramen – in Dresden, Leipzig oder dem französischen Rouen – holte sich Asisi für das Mauer-Panorama keine wissenschaftliche Unterstützung, sondern schöpfte aus seinen eigenen Erinnerungen sowie aus seinem rund 50.000 Fotos, Zeichnungen und Skizzen bestehenden Privatarchiv. Nach dreijähriger Planung und Bauarbeiten für das Gebäude entstand daraus 2012 das Berliner Panorama: 60 Meter lang und 15 Meter hoch, zusammengesetzt aus 20 bedruckten und miteinander vernähten Stoffbahnen in einem Halbrund.
Monumentale Kriegspanoramen
Asisi greift damit eine Kunstform auf, die bis in das ausgehende 18. Jahrhundert zurückgeht: 1787 hatte Robert Barker eine Rundumsicht seiner schottischen Heimatstadt Edinburgh gemalt, sich das Konzept patentieren lassen und bis in die 1830er großen Erfolg mit verschiedenen Panoramen in eigens dafür gebauten Häusern. Mit dem Aufkommen des Kinos in den 1920er- und 30er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts verloren die Menschen jedoch spätestens das Interesse an den plötzlich altmodisch und statisch wirkenden Rundumbildern, die Motive verschwanden in der Versenkung.
Erst in den späten 1970er-Jahren kam es mit dem monumentalen Bauernkriegspanorama des Leipziger Malers Werner Tübke, welches auch heute noch in Thüringen zu besichtigen ist, zumindest im Osten zu einer Renaissance der Darstellungsform. Pressesprecher der Asisi-Panoramen Karsten Grebe erklärt sich das mittlerweile erneut entflammte Interesse mit der Bilderflut, in der wir leben: „Ein Panorama bietet einen Rückzugsraum, in dem man sich in Ruhe einem Thema nähern kann. Es ergibt sich eine sehr kontemplative Form der Wahrnehmung. Man ist der Regisseur seiner eigenen Geschichten und kann sich das Bild in seinem eigenen Tempo erschließen – und zwar ganz unabhängig vom Grad seiner Bildung.“ Viele Besucher verweilen mindestens eine halbe bis ganze Stunde in der Rotunde, auch Schulklassen aus ganz Deutschland sind oft zu Gast.
Das Bild scheint zu leben
Anders als etwa bei einem naturwissenschaftlichen Diorama, in dem eine tatsächlich dreidimensionale Szene hinter einer Glasscheibe dargestellt wird, wirkt ein Panorama lediglich dreidimensional – es befindet sich aber faktisch auf einer planen Fläche. Dass man als Besucher dennoch vollkommen in diese extrem verdichtete Szenerie eintaucht und sich vor Ort wähnt, liegt vor allem daran, dass es nicht eine Horizontlinie und Zentralperspektive, sondern gleich mehrere gibt. Hinzu kommt die Rundung des Gebäudes, die das Betrachten zu einem scheinbar plastischen Erlebnis macht: egal wohin das Auge schaut und wo man als Besucher steht, lassen sich neue Details, Szenen und Geschichten entdecken – das Bild scheint zu leben.
Diese Technik hat auch Asisi für sein Mauer-Panorama aufgegriffen. Bei der Herstellung der Bilder nutzte der Künstler allerdings nicht die traditionelle Form der Malerei, sondern zeitgenössische Medien: Ein Großteil des zusammengesetzten Bildes besteht aus Fotografien und mit Komparsen nachgestellten Szenen, „Malerei mit Mitteln der Zeit“ nennt er es. Ein wichtiger Bestandteil seiner Panoramen ist außerdem die Inszenierung mit Licht und Ton. In Berlin gibt es einen Wechsel zwischen Tag und Nacht bzw. einer Dämmerung, um den Zitaten von Journalisten und Politikern aus dieser Zeit Raum zu geben, hinzu kommt die speziell passend für die Atmosphäre dieses Panoramas komponierte Musik.
„Die Mauer“ ist gelebte und erlebbare Geschichte, die vor allem für die Generationen interessant ist, die erst nach der „Wende“ geboren wurden. „Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu erbauen“, tönt Walter Ulbricht aus den Lautsprechern – und sein Kommentar hat auch fast 60 Jahre später noch nicht an Zynismus verloren.
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