Das goldene Zeitalter der Ansichtskarte war einmal, aber sie bleibt doch für immer: Sie dient der einseitigen Korrespondenz, sie ist ein Gruß aus der Ferne. Oder sogar auch ein Kunstwerk.
Seit dem 19. Jahrhundert werden Postkarten, wie wir sie heute kennen, international verschickt. Mal mit mehr, mal mit weniger geschmacklosen Bildern auf der Vorderseite und mit meist so unfassbar harmlosen, da offen-lesbaren, Texten, dass der Erhalt eines solchen Druckerzeugnisses wirklich eine große Freude sein kann. Da steht alles und nichts. Grußworte, Zustandsbeschreibungen, Beobachtungen, Analysen, Geheimschriften, Codes, Floskeln und Daten.
Die Karte dient der einseitigen Korrespondenz. Sie ist ein Gruß aus der Ferne. Oder eine neiderzeugende Gemeinheit. Je nachdem wie man selbst drauf ist, und wie die schreibende Person so drauf ist. (Ist es ein: „Hallo, ich bin im Urlaub und das Wetter ist gut und das Essen ist lecker und du hast all das nicht, weil du bist daheim, denn da kommt die Karte an, hahahaha!“ Oder ein: „Hallo, ich bin hier, du bist dort, denke an dich.“?) Der Inhalt der Karte, das hat die Dauer des Versands so an sich, ist bereits veraltet, wenn sie ankommt. Die Neuigkeiten sind obsolet, die Zustände durchlebt, die Beobachtungen Geschichte. Vielleicht lädt sie auch deshalb zu besonderer Banalität ein.
Mehr als eine unerwartete Überraschung im Briefkasten
Im Gegensatz zur gegenwärtigen Kommunikation, in der es längst in Echtzeit trotz größter räumlicher Trennung möglich ist, miteinander zu sprechen und/oder zu schreiben, bekommt so eine Postkarte einen retro-romantischen Charme. Ist sie doch mittlerweile vielmehr eine unerwartete Überraschung im Briefkasten, als eine obligatorische Urlaubskomponente. Bildersuchen, Instagramtags und Satellitenaufnahmen der Welt nehmen der Postkartenvorderseite auch den Informationsgehalt und die Möglichkeit der einmaligen Abbildung der örtlichen Schönheiten und Begebenheiten vorweg. Alles ist verfügbar, kann angesehen werden, die entlegensten Orte sind dank des world wide web stets ganz nah. Trotzdem: Postkarten gehören in das Souvenir-Repertoire wie Fische ins Meer, Eiscreme in den Mund und Sonnenschutz auf die Haut.
Eine Postkarte ist auch ein Investment. Karten, Briefmarken, die Zeit, die zwischen dem Kauf und dem Beschriften vergeht, die (panische) Suche nach einer Post, das Bangen, wann und ob sie überhaupt ankommt usw.. Die Entscheidung einen Stapel Karten zu kaufen, die Adressen herauszufinden und dann irgendwelche Informationen in dieses kleine Textfeld zu schreiben, muss auch erst mal getroffen werden. Wie oft schon ärgerte ich mich über einen zu dicken Stift, zu wenig Zeit, zu wenig Motivation oder zu wenig Witz im kurzen Text? Und dann, sind sie angekommen, sind sie oft kein Geschenk von langer Dauer.
Wer freut sich wirklich über eine E-Card?
Klar, manchmal werden sie aufgehoben, landen auf Kühlschränken oder ähnlichen Möbelstücken oder werden als Lesezeichen weiterverwendet, aber irgendwann landen sie wohl doch im Müll und damit auch die Lebenszeichen, Worte und Transferleistungen. Was für ein tolles Objekt, so eine Postkarte! Eigentlich fast zu schön und zu besonders, um im Altpapier zu landen. Ein Beweis für die Qualitäten so einer Karte könnte die gescheiterte Übertragung ins Digitale sein: wer verschickt denn schon gern MMS-Postkarten, oder Internet-Grußkarten (nicht die, die anschießend gedruckt und dann wieder per Post verschickt werden, die Anderen!). Oder noch expliziter: wer freut sich schon wirklich über so eine digitale, nicht greifbare Nachricht, die irgendwie mehr sein will, als der sonstige Chat?
Dass die Postkarte also nicht nur tagein, tagaus durch die Hände und Apparate des Postwesens geht, sondern auch längst ihren Weg in die Museen (Museumsshop!), in die Ausstellungen, in die Kunst gefunden hat, soll an dieser Stelle selbstredend keine Überraschung sein. Im Folgenden zwei Beispiele.
Die Postkarte hat längst ihren Weg in die Kunst gefunden
Gilbert und George haben einige Arbeiten mit Postkarten geschaffen. Die ersten dieser Art entstanden bereits in den 1970er Jahren. Eine solche Postcard Sculpture (datiert auf Sommer 1974) zeigt eine rechteckige Anordnung von 55 Karten. Die schwarz-weißen Drucke von Landschaften, Architektur oder Porträts, stehen, auch aufgrund der Sortierung der Karten im Querformat, oftmals auf der Seite oder auf dem Kopf. Dabei handelt es sich zumeist um Ansichtskarten die vor 1914 hergestellt und von Gilbert und George gesammelt wurden. Laut eigener Aussage suchten sie dabei mehr nach Themen als nach konkreten Motiven. Es handle sich bei den Abbildungen um Themenkomplexe, die sie interessieren oder bewundern, Themen, von denen sie „träumen, lieben und respektieren“.
Vor etwas mehr als zehn Jahren zeigten Gilbert und George ihre neuen Postkarten-Arbeiten „THE URETHRA POSTCARD PICTURES“. (Urethra ist die Harnröhre.) Hierbei sind die Postkarten (dazu gleich mehr) ebenfalls streng angeordnet: ein Rahmen, bestehend aus 12 Karten und eine in der Mitte. Auf allen 13 Karten (gleich kommen wir dazu!) ist das selbe Motiv. Der Fokus liegt auf London, auf England.
Touristische Motive gleichermaßen („My Friend went to London and all I got was this lousy Postcard“, klassische Ansichtskarten gespickt mit Fotos der Sehenswürdigkeiten und durchgesetzten Marketingsymbole wie die Telefonzelle, usw.) aber auch das, was unter der leicht zu konsumierenden, attraktiven (touristisch gesehenen) Oberfläche liegt – (so, jetzt kommts:) symbolisiert durch Flyer, Handzettel und Telefonkarten. Flyer die beispielsweise Sexarbeit anwerben („TIE AND TEASE, BOUND TO PLEASE“, „FLOG ME FLOG YOU“, „LUKE (…) GREAT ARSE“, usw.). Eine stringente, harmonische Anordnung von Erzeugnissen, die eine gut fotografierte, gut gedruckte, saubere, gern besuchte Stadt / Welt, mit einer zusammenbringt, die von Reisenden meist übersehen, ignoriert oder ihnen schlichtweg verborgen bleibt. Denn, da kommen wir auf das Reisen an sich zurück, stellt sich doch mit jedem Urlaub, mit jedem Aufenthalt an fremden Orten die Frage: wie lange muss ich hier bleiben, hier einen Alltag bestreiten um wirklich begreifen zu können, wie es sich hier lebt? Um all das zu sehen, was in so gut kaschiert wird?
My Friend went to London and all I got was this lousy Postcard.
Wo wir gerade bei den konzeptuellen Postkarten sind. On Kawara hat eine Serie geschaffen, mit dem Titel „I Got Up…“. Dabei verschickte er täglich zwei Postkarten an unterschiedliche Personen. Auf der Vorderseite klassisch der Ort an dem sich der dauerhaft reisende Künstler befand und auf der Rückseite der stets gleiche Aufbau: gestempeltes Datum und dann, ebenfalls gestempelt: „I GOT UP AT“ und die minutengenaue Uhrzeit und die Adresse, an der er sich befand. On Kawara hat diese Infokarten (rund 8000 Stück) im Zeitraum von 1968-1979 versendet. Und an dieser Stelle lässt sich ein Ausflug in die Welt eines anderen veralteten Kommunikationsmediums nicht vermeiden. Denn in einer anderen Serie verschickte On Kawara Telegramme mit nur einem sehr klaren, unmöglich harten aber gleichzeitig poetischen Satz: I AM STILL ALIVE. On Kawara, ein Freund des Infotalks – und eine denkbar gute Inspirationsquelle für etwaige Urlaubsgrüße.
Sie kommt, wenn sie kommt
Ich persönlich habe eine Vorliebe für wirklich kitschig-hässliche Postkarten, oder ultra gut gestaltete, falls sich jemand fragt. Als ich vor kurzem einige aus dem Ausland an die Freund*innen und Familienmitglieder schickte, schrieben mir beinah alle nach Erhalt eine Textnachricht. Ich fand das irritierend. Eine Postkarte, so meine ich, muss nicht beantwortet werden, oder gar kommentiert. Sie kommt, wenn sie kommt. Ich selbst war, als die Mitteilungen eintrudelten, mittlerweile schon längst nicht mehr im Urlaub, sondern schon wieder im Alltagstaumel - was interessiert mich da mein Strandgeplaudere? Eigentlich viel! Wie schön war es doch, da zu sitzen und das Meer anzugaffen und zu versuchen, all diese Schönheit in vier coolen Sätzen zu formulieren. Hach. Ich wünschte, ich könnte gleich noch mal.