Vor zwei Jahren starben in Hanau neun Menschen an einem rassistisch motivierten Terroranschlag. Warum es unsere Pflicht ist, dieses Ereignis in die deutsche Erinnerungskultur zu integrieren.
Kunst ist eng verknüpft mit dem Erinnern. So prägen die öffentliche Präsentation und Diskussion bestimmter Künstler*innen, Werke oder Themen das kulturelle, das kollektive Gedächtnis einer Gesellschaft. Der Begriff des kollektiven Gedächtnisses wurde von dem französischen Philosophen und Soziologen Maurice Halbwachs begründet. Seiner Auffassung nach benötigen Gesellschaften identitätsstiftendes gemeinsames Erinnern. Die Verknüpfung von Identität und Gedenken verweist somit auf die Macht und die Kraft einer gemeinsamen Erinnerung.
Vor zwei Jahren starben im 20 km von Frankfurt entfernten Hanau Ferhat Unvar, Mercedes Kierpacz, Sedat Gürbüz, Gökhan Gültekin, Hamza Kurtović, Kaloyan Velkov, Vili Viorel Păun, Said Nesar Hashemi und Fatih Saraçoğlu. Sie wurden Opfer eines rassistischen Terroranschlags. Ein Anschlag, der für die Angehörigen und Freunde, aber auch für Menschen mit Migrationsbiographie ein einschneidendes Erlebnis bedeutete. Ein Ereignis, das für viele das Zugehörigkeitsgefühl zu diesem Land, das wiederholt fragwürdig auf einen solchen Anschlag reagierte, erschütterte. Diesen Tag, den 19. Februar in die deutsche Erinnerungskultur zu integrieren ist wichtig, um die Tradition einer eurozentristischen und weiß dominierten Erinnerung zu durchbrechen. Für eine multiperspektivische Gesellschaft und ihre Geschichte.
Um über die Symbolhaftigkeit des Gedenktages hinauszugehen, ist es zentral die Stimmen der Betroffenen zu hören. Denn sie klagen an. In einem einstündigen Statement macht die Initiative 19. Februar auf ihre Recherchearbeiten zu dem Anschlag in Hanau aufmerksam, sie benennt offene Fragen und übt Kritik am Vorgehen der Behörden.
Die Initiative 19. Februar Hanau hat sich kurz nach dem Anschlag gegründet. Ihr Ziel ist es die Namen der Opfer nicht in Vergessen geraten zu lassen. Mit ihrem Slogan “erinnern heißt verändern” fordern sie von der sogenannten Mehrheitsgesellschaft politische Solidarität und Sichtbarkeit. Auf Ihrer Homepage veröffentlicht die Initiative die neuesten Entwicklungen im Zusammenhang mit dem Anschlag.
Die Journalistin Sham Jaff und Reporterin Alena Jabarine machen sich im Podcast 190220 – Ein Jahr nach Hanau auf die Suche nach einer Antwort auf die Frage, wie es schon wieder so weit kommen konnte und ob die Tat hätte verhindert werden können. Sie rekonstruieren die Tat mit Hilfe der Angehörigen, werfen einen Blick in die Akten und stellen – ein Jahr nach dem Anschlag – die noch offenen Fragen.
Und auch die Kunst trägt aktiv zum Gedenken bei. Der aus Hanau stammende Rapper Azzi widmet den Opfern einen eigenen Song. Mit 17 weiteren Rapper*innen und Musiker*innen produzierte er die Single “Bist du wach”. Dort finden die Künstler*innen klare Worte - nicht nur zum Anschlag in Hanau, sondern auch zu rechtem Terror im Allgemeinen, zu Rassismus und rechten Tendenzen in der deutschen Gesellschaft.
Das Frankfurter Künstlerkollektiv “Kollektiv ohne Namen” schuf unter der Frankfurter Friedensbrücke bereits vier Monate nach dem Anschlag einen Ort des Gedenkens. Das 27 Meter lange Graffiti zeigt die Gesichter von Ferhat Unvar, Mercedes Kierpacz, Sedat Gürbüz, Gökhan Gültekin, Hamza Kurtović, Kaloyan Velkov, Vili Viorel Păun, Said Nesar Hashemi und Fatih Saraçoğlu.
Forensic Architecture ist eine Forschungsagentur, die Menschenrechtsverletzungen untersucht, darunter auch Gewalt, die von Staaten, Polizeikräften, Militärs und Unternehmen begangen wird. Bereits auf der documenta 14 war ein Projekt dieses Kollektivs vertreten. Bei ihren Untersuchungen werden modernste Techniken der Raum- und Architekturanalyse, Open-Source-Untersuchungen, digitale Modellierung und immersive Technologien eingesetzte sowie dokumentarische Recherchen, situative Interviews und wissenschaftliche Zusammenarbeit einbezogen. Nun hat sich das Forschungsteam auch mit dem Anschlag in Hanau auseinandergesetzt.