Einfach los, ohne Plan, ohne Kompass! Im Gepäck der SCHIRN Soundtrack mit Songs, die von Fernweh zeugen und der jahrhundertelangen Faszination für unberührte Natur und ferne Länder entspringen.

Weiße Flecken auf der Landkarte und abenteuerliche Expeditionen an entlegene Orte – die Suche nach der Wildnis beschäftigt Künstlerinnen und Künstler schon seit Anfang des 20. Jahrhunderts bis in die Gegenwart. Auch in der Musik dient Wildnis seit jeher als Projektionsfläche für das Andere, Fremde, für Sehnsuchtsfantasien jenseits vermeintlich zivilisierter Welten.

Schon die großen Komponisten der klassischen Musik, wie Claude Debussy, Ferrucio Busoni und Maurice Ravel, ließen sich von orientalischen, nordamerikanischen und indischen Klängen inspirieren. Mit der vom deutschen Musiktheoretiker Georg Cappelen im frühen 20. Jahrhundert begründeten Theorie der „Zukunftsmusik“ entstand ein neues Musikverständnis.

Verschmelzung von Kulturen oder eurozentristische „Weltmusik“?

Die universale Metamusik sollte außereuropäische und europäische Traditionen, wortwörtlich „Orient und Okzident“, miteinander verbinden, steht aber bis heute als eurozentristisch geprägte „Weltmusik“ in der Kritik. So entstand in den 1950er Jahren in den USA der sogenannte „Exotica“-Stil, eine Mischung aus Jazz und Easy Listening, häufig untermalt mit tropischen Klängen. 

Musiker wie Eden Ahbez oder Esquivel drückten damit ihre Sehnsucht nach der Südsee aus. Der afroamerikanische Sänger Harry Belafonte löste mit karibischen Rhythmen einen weltweiten Calypso Boom aus, die Sängerin Miriam Makeba wurde in den 1960er Jahren der erste international gefeierte Star aus Südafrika. Bis heute taucht das Fernweh-Klischee in der Lounge Musik auf. Vor allem in den 1980er bis 2000er Jahren war der alljährliche „Sommerhit“ in Europa beliebt, der musikalische Elemente populärer Urlaubsziele aufnahm, wie beispielsweise Whams „Club Tropicana“.

Sitar bei den Beatles und arabische Klänge bei den Rolling Stones

Der Einsatz der Sitar bei den Beatles, arabischer Klänge bei den Rolling Stones oder afrikanischer Elemente bei John Coltrane machte vermeintlich exotische Instrumente ab Mitte der 1960er Jahre auch in der westlichen Musik populär und sorgte für einen gesteigerten künstlerischen Dialog zwischen den Kulturen. Die in Jamaica unter dem Einfluss US-amerikanischer Musikrichtungen wie Soul, R&B und Blues entstandenen Spielarten Ska und Reggae sorgten erst in der frühen Skinhead-Szene Großbritanniens für Furore und dann dafür, dass Acts wie The Skatalites oder Alton Ellis auch in Europa äußerst populär wurden.

FANTASTIC MAN

von William Onyeabor

Der äthiopische Vibraphonist Mulatu Astatke wiederum wurde als „Vater des Ethiojazz“ erst dann international bekannt, als der Regisseur Jim Jarmusch 2005 einige seiner Songs im Film „Broken Flowers“ verwendete. Auch der von 1977 bis 1985 aktive nigerianische Musiker William Onyeabor wurde erst 2014 als Electropop-Visionär entdeckt. In den 1970er Jahren war es vor allem Brian Eno, der als Solokünstler und Produzent für David Bowie und die Talking Heads die Popmusik mit Rhythmen Afrikas und des Mittleren Ostens bereicherte. Damit ebnete er den Weg für Popstars wie Paul Simon und Peter Gabriel, die im folgenden Jahrzehnt verstärkt mit afrikanischen Versatzstücken arbeiteten, was ihnen große Erfolge, aber auch die Kritik eines „kulturellen Kolonialismus“ einhandelte.

I was born a winner

Alton Ellis, Black man's pride, 1983

Der jamaikanische Rocksteady-Crooner Alton Ellis thematisierte diese Ambivalenz im Dialog der Kulturen bereits Mitte der 1960er Jahre in dem auf Treasure Island erschienenen Song „Blackman’s Word“, auf dem er mit zwischen Wehklagen und Jubilieren oszillierendem Falsett „I was born a loser“ singt – um dann zwei Jahre später beim Coxson-Label den Song als „Black Man’s Pride“ mit dem Refrain „I was born a winner“ einfach neu zu interpretieren. Ein simpler wie radikaler Akt, den Cyprien Gaillard noch 2015 in seiner Videoarbeit „Nightlife“ aufgriff.