Es ist kein Kunstfilm und will keiner sein: „Loving Vincent“ beleuchtet den bis heute ungeklärten Tod Vincent Van Goghs und bedient sich dabei seiner künstlerischen Handschrift.
„Etwas an der Geschichte stimmt nicht“, meint der Protagonist irgendwann, und fasst damit jenes Unbehagen zusammen, das sich eigentlich an allen guten Theorien rund um Verschwörungen und gehüteten Geheimnissen entzünden lässt. Bei einem Ikone gewordenen Künstler wie Vincent van Gogh gar noch 130 Jahre später: Die bis heute nicht vollständig geklärten Umstände seines Todes im Jahr 1890 lässt jetzt der Film „Loving Vincent“ durch den jungen Armand Roulin aufbereiten.
Van Gogh starb an den Folgen eines Baucheinschusses, den er sich selbst gegeben haben soll – unmöglich angesichts dieser Wunde, meinte ein Experte für Schussverletzungen. Zudem soll der Maler, wie es ein letzter Brief aus seiner Feder nahelegt, kurz vor seinem möglichen Selbstmord im französischen Auvers-sur-Oise ausgesprochen zufrieden gewesen sein. Aber was heißt das schon bei einem chronischen Melancholiker?
Animation aus 1001 Pinselstrichen
Ein wenig weiter gefasst stimmt in diesem Film aber noch etwas anderes nicht: Erzählung und Erzählform, Dramaturgie und Optik erscheinen in diesem Biopic nicht als die gottgegebene Einheit, die sie ja ohnehin niemals sind. Zumindest nicht in der ersten Viertelstunde oder vielleicht noch ein wenig länger, bevor man sich als Zuschauer an die ungewöhnliche Animation aus 1001 Pinselstrichen gewöhnt hat. „Loving Vincent“ will, und das ist natürlich der Unique Selling Point dieses Biopics, das für seine außergewöhnliche Herstellungsweise bereits diverse Preise abgeräumt hat, nicht weniger als die berühmten Bilder van Goghs in Bewegung zu versetzen.
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Mit rund 800 Motiven, die der niederländische Künstler in nur acht Schaffensjahren gemalt hat, stand den Filmemachern potentiell ein reicher Fundus zur Verfügung. Aus denen wählten Dorota Kobiela und Hugh Welchman berühmte Szenen und Figuren aus, die dem Film als Kulissen und Protagonisten dienen und die von über 100 Malern per Hand in Szene gesetzt wurden.
Who-done-it?
So kann man Armand Roulin, den Sohn des Postboten, der einen letzten Brief zuzustellen hat, in einem klassischen Who-done-it auf den Spuren Vincent van Goghs Mörders begleiten: Mal sind die französischen Sommerfelder und Wege zweidimensionaler Hintergrund, mal mäandert und wabert die Leinwand im nervösen Flimmern und Flackern wechselnder Farbenstriche. Immer tiefer begibt man sich mit Roulin in die Widersprüche, die van Goghs letzte Tage im Kreise seines Arztes und dessen Tochter, im Gasthaus mit dessen junger Wirtstochter und umgeben vom Dorftrottel und von zynischen Jugendlichen, begleitet haben, und erfährt in Rückblenden von der Familie, die Vincent und seinen Bruder Theo geprägt hatte.
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War er ein ewig depressiver Einzelgänger oder gar ein heimlicher Frauenheld? Witzig und geistreich oder peinlich und viel zu nett? Die wechselnden Perspektiven auf den Maler durch verschiedene Wegbegleiter zeigen dann doch ein komplexeres Bild als das, welches der Name „van Gogh“ ad hoc ins Gehirn spült.
Wunderbar rumpelige Stop-Motion
Wenn das erste Erstaunen über die plötzlich zum Leben erweckten, weltberühmten Porträts und Landschaftsmalereien abflaut, könnte folgendes passieren: Entweder, man bemerkt die Animation kaum noch, folgt also dann ganz der in Ölfarbe gegossenen Geschichte. Oder aber, man erliegt dem Aufblitzen der in ihren besten Momenten wunderbar rumpeligen Stop-Motion und kann sich ergo dann weniger auf die Handlung konzentrieren. Eventuell passiert auch beides im Wechsel, und „Loving Vincent“ würde zeitweilig richtig anstrengend, weil er seine Zuschauer immer wieder aus der Geschichte herausreißt.
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Der Effekt der ölgemalten Animation funktioniert nämlich längst nicht immer: Streckenweise meint man den unterliegenden Spielfilm, der mit tatsächlichen Schauspielern gedreht und anschließend quasi übermalt wurde, regelrecht herauszulesen. Dann wähnt man sich plötzlich eher in einer Art Videospiel, dessen animierte Ästhetik sich wie ein Filter über das ursprüngliche Bild legt.
Animierte van Goghs
In diesem ganzen Wust werden dann noch ganz andere Fragen und Überlegungen aufgeworfen: Die Vorstellung animierter van Goghs hat ganz sicher eine Menge Charme. Nicht umsonst dürften die Bilder des Malers die Hitliste der meistgedruckten Künstlermotive auf Halstüchern und Postkarten, Jahreskalendern, Armbanduhren und Umhängetaschen zumindest mit anführen. Und wenn das künstlerische Erbe ohnehin längst als Gemeingut gilt, wieso sollte man es sich dann nicht für einen Film zu Nutze machen dürfen?
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Das Van Gogh-Museum in Amsterdam, das als Förderer mit im Abspann genannt wird, hatte offenbar nichts einzuwenden. Nach dem „Warum“ ist dann noch überhaupt nicht gefragt: Schließlich ist die Vorstellung, von einem Künstler im Stile jenes Künstlers zu erzählen, die sich als Welt aus ihm heraus und um ihn herum entfaltet, auf den zweiten Blick eine gar nicht so zwingende Idee, wie dies in der verständlichen Verzückung über ein solches Filmvorhaben vielleicht scheinen mag. Und dann auch noch posthum.
65.000 gemalte Einzelframes
„Loving Vincent“ ist kein Kunstfilm und will keiner sein: Er ist ein Film über einen Künstler, der sich gleich auch noch dessen künstlerischer Handschrift bedient. Seine Entstehungsbedingungen und den Rattenschwanz an Überlegungen, den die nach sich ziehen, werden im Film nicht reflektiert – es geht ganz eindeutig ums Erleben. Das funktioniert über große Strecken auch ganz hervorragend. Ob es sich tatsächlich um eine ganz neue Form der Animation handelt, bloß weil in diesem Falle mit Öl und Pinsel statt am Computer gearbeitet wurde? Wo etliche der ursprünglich 65.000 bemalten Einzelframes schließlich ohnehin nicht benutzbar waren – und die einzelnen Übergänge dann letztlich wiederum am Computer zusammengeführt wurden?
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Beeindruckend sind Bilder und Entstehungsweise; die Geschichte lässt sich als schön unaufgeregtes, trotzdem mitreißendes Who-Done-It verfolgen. Ob die Form nun tatsächlich so neuartig aufregend ist, wie sie vorgibt, und ob man den Film ohne das Wissen um seine Entstehung genau auf diese Weise wahrnehmen würde, kann man sich dann immer noch fragen. Offenbar ist, auch das zeigt „Loving Vincent“, die Geschichte, die man um die Geschichte bauen kann, für die Rezeption ähnlich wichtig wie das Werk selbst.
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