Sie sind Teil der Clubszene, wollen diese mit ihrem neuesten Projekt jedoch überschreiten: Der DJ und Labelbetreiber Oliver Hafenbauer und Pascal Mungioli, Inhaber einer Künstleragentur, haben gemeinsam das Webradio EOS gegründet.
Ein Garten am Waldrand von Oberrad, der so groß ist, dass man fast die Dauer eines Popsongs braucht, um ihn einmal der Länge nach zu durchschreiten. Dieser Vergleich bietet sich an, da wir hier im Grünen mit zwei Musikenthusiasten verabredet sind. Am Wegesrand parken Tretfahrzeuge für Kinder, es gibt eine Feuerstelle und Beete, in denen Obst und Gemüse wachsen. Wir setzen uns auf Korbstühle und Bierbänke neben eine Holzhütte.
Der DJ Oliver Hafenbauer stellt Schalen mit Chips und Oliven auf den Tisch, auf dem auch ein Buch mit dem Titel „The Making of Dune“ liegt. Hafenbauer ist schon lange fasziniert vom Film „Dune – der Wüstenplanet“. Der Name seines Plattenlabels „Die Orakel“ ist von dem Orakel aus dem Science-Fiction-Klassiker inspiriert.
Beide haben lange im Robert Johnson gearbeitet
Auch Pascal Mungioli sitzt mit am Tisch. Er und Hafenbauer haben viele Jahre lang im Office des Offenbacher Clubs Robert Johnson gearbeitet und sich dort um das Booking gekümmert. Inzwischen haben sie damit aufgehört, um mehr Zeit für eigene Projekte zu haben. 2019 hat Mungioli in Berlin Neukölln die Booking- und Managementagentur Stay Service gegründet, bei der auch Hafenbauer unter Vertrag steht. „Pascal ist mein Agent“, sagt er. Mit seiner Vizlador-Hündin Bertha ist Mungioli für ein paar Wochen zu Besuch im Rhein-Main-Gebiet. Er ist es gewohnt, zwischen den Städten zu pendeln. „Mein Freund ist vor kurzem nach Offenbach gezogen. Dort habe ich eine Anlaufstelle“, erzählt er. Nach Berlin hat es ihn einst verschlagen, weil es die einzige deutsche Stadt war, in der man das Fach Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation studieren konnte.
Als wegen Corona einige ihrer Projekte weggebrochen sind, fanden Hafenbauer und Mungioli Zeit, sich einer gemeinsamen Herzensangelegenheit zu widmen: Mit EOS (die Abkürzung steht für „Expansion of Sound“) haben sie einen eigenen Internet-Radiosender gegründet. Eines der erklärten Ziele der beiden Radiomacher ist es, DJs und anderen Musikschaffenden eine Plattform zu bieten, auf der sie sich jenseits ihrer üblichen Auftrittsmöglichkeiten Gehör verschaffen können. „Wir wollten raus aus dem klassischen Clubkontext“, sagt Hafenbauer.
Mit dem Radio soll auch ein digitales Archiv geschaffen werden
Seit dem 7. Mai gibt es jeden Freitag sechs Stunden neues Programm. Hauptsächlich besteht es aus einstündigen Mixes, die von DJs exklusiv für EOS vorproduziert werden. Nachdem sie das erste Mal gesendet worden sind, wandern die Shows ins digitale Archiv, wo sie regelmäßig reaktiviert werden, damit EOS so schnell nicht die Musik ausgeht. Gesendet wird schließlich rund um die Uhr. Für die Zeit nach dem Lockdown sind „Radio-Festivals“ geplant, die vor Publikum – vielleicht schon kommenden August im neuen „Sommerbau“ des Mousonturms – stattfinden sollen.
Außerdem wird es bald ein Talk-Format geben. Im Bereich elektronische Musik sind Hafenbauer und Mungioli – regional und international – gut vernetzt. Es liegt ihnen aber fern, im eigenen Saft zu schmoren: „Vielleicht gibt es ja zum Beispiel irgendwo eine Gruppe Jugendlicher, die Surfrockplatten sammeln und Lust auf eine Radiosendung haben“, sagt Hafenbauer. „Irgendwann machen wir auf EOS mehr als bloß sechs Stunden Programm pro Woche. Dann müssen unbedingt weitere Musikliebhaber*innen gefunden werden.“
„Der Sender existiert bis jetzt rein virtuell“, erklärt Mungioli. Noch gibt es kein eigenes Studio. Langfristig wollen die beiden EOS-Gründer in Frankfurt aber geeignete Räume für ihre Aktivitäten finden. Natürlich ist das auch eine Kostenfrage. „Wir finanzieren uns weder durch Werbung, noch durch Mitgliedsbeiträge. Dafür sind wir bis jetzt noch viel zu klein“, sagt Hafenbauer. Um erste Kosten zu decken und jene DJs zu bezahlen, die an zwei großen Auftakt-Events im Februar und im März mitgemacht haben, gab es eine Anschubfinanzierung von der Hessischen Kulturstiftung. „Wir möchten so bald wie möglich dahin kommen, dass wir alle, die bei uns mitwirken, angemessen bezahlen können.“
Vielleicht gibt es [...] eine Gruppe Jugendlicher, die Surfrockplatten sammeln und Lust auf eine Radiosendung haben.
Wie es im Idealfall funktionieren kann, zeigen Beispiele von anderen Webradios, die sich die beiden zum Vorbild genommen haben. Mungioli schwärmt vom französischen „Radio Meuh“, Hafenbauer zeigt sich vom englischen Sender „NTS“ begeistert: „Die haben jeden Monat eineinhalb Millionen Zuhörer*innen, arbeiten mit großen Fernsehstationen wie HBO zusammen und lassen sich ihr Musikprogramm auch schon mal einen Tag lang von Prominenten wie dem Simpsons-Erfinder Matt Groening kuratieren. Das ist natürlich ein ganz anderes Level.“
Hafenbauer zückt sein Handy, um die Webseite des Senders aufzurufen – gestaltet wurde sie von den Graphikern des Frankfurter „Nonot“-Studios, die ebenso wie Gergana Todorova zum erweiterten Team von EOS gehören. Über die Seite sollen auch ausgesuchte DJ-Mixes vertrieben werden, die hin und wieder in kleinen Auflagen auf dem sendereigenen Label erscheinen. Die Veröffentlichung erfolgt auf den unterschiedlichsten Tonträgern – Kassetten, Schallplatten oder CDs. Auf EOS läuft gerade ein Track des Münchner DJs und Produzenten Skee Mask. In die elektronischen Klänge hinein mischt sich das Gezwitscher der Kohlmeisen, die sich hinter uns in den Hecken tummeln. Die Sonne scheint, es ist Freitagabend, das Wochenende beginnt, auf dem Tisch stehen Bierflaschen. Wenn nicht gerade Corona wäre, könnte das hier in Hafenbauers Garten jetzt der Auftakt zu einer vielversprechenden Grillparty sein.