Das Frankfurter Kollektiv KVTV hat sich mit erfrischend respektlosen Videos einen Namen gemacht und ist aus dem Frankfurter Kunstbetrieb nicht mehr wegzudenken. Ein Besuch im improvisierten TV-Studio.
Wir durchqueren den Kunst-trifft-Kulinarik-Hot-Spot Freitagsküche in einem Hinterhaus im Frankfurter Bahnhofsviertel. Im Vorbeigehen werfen wir einen Blick auf ein Backblech voller Drillingskartoffeln. Es ist ein später Freitagnachmittag. Bald kommen die Gäste. Betörende Essensgerüche verfolgen uns die Kellertreppe nach unten in einen Lagerraum. An dessen Rändern stapeln sich Restaurantstühle und Kochbücher, die von seiner eigentlichen Nutzung zeugen.
Dazwischen hat sich vor kurzem das Künstler*innenkollektiv Kulturvotzen (kurz: KVTV) vorübergehend ein Filmstudio eingerichtet, um drei Folgen „KVTV Television“ für seinen Youtube-Kanal zu produzieren. Die jeweils halbstündigen Ausgaben beinhalten Parodien auf den Kunstbetrieb, gewohnt krawallige Ausstellungs-Reviews und (teils geskriptete) Dokus über gesellschaftlich relevante Themen. In der ersten Folge geht es zum Beispiel um kulturelle Identität.
Neuerdings hat KVTV auch einen Youtube-Kanal
Vor einer Kulisse aus mit Palmen bemalten Tapeten thront ein breites Sofa auf einem Podest. Dort machen wir es uns bequem. An einer Kleiderstange auf Rollen hängen zahlreiche Second-Hand-Klamotten. Sonja Yakovleva sitzt mit einem Glätteisen in der Hand vor einem Schminktisch. Ihre Schwester Anja und Leon Joskowitz entkorken mit vereinten Kräften eine Flasche französischen Schaumwein. Lautes Klopfen an einem der Kellerfenster. Kurz darauf stehen Olga Inozemtceva-Appel und Ivan Robles Mendoza im Raum. Die Kulturvotzen sind komplett.
Zum ersten Mal folgen die Videos des fünfköpfigen Kollektivs nun einem Drehbuch. Es gibt ein Bühnenbild und gedreht wird mit hochwertigem Equipment. „Im Grunde haben unsere Arbeiten aber immer noch denselben DIY-Charakter“, behauptet Sonja Yakovleva. Los ging es vor fünf Jahren mit Handyvideos auf Instagram. „Damals hat es angefangen, dass sich auch in der Hochkultur niemand mehr dafür geschämt hat, überall sein Handy rauszuholen. Wir haben die Gunst der Stunde genutzt, um in Museen oder Galerien auf Video festzuhalten, was wir langweilig und scheiße fanden.“
Während eines Besuchs auf der Documenta 2017 in Athen entstand das allererste Video. „Viele Posts in den sozialen Medien hatten damals diesen Tenor: Ich bin jetzt hier auf der Documenta, esse Souvlaki, trinke Ouzo – und ihr Opfer sitzt in Frankfurt und seid nicht dabei. Es war diese Fear of missing out, die dadurch geschürt wurde. Das fanden wir ekelhaft. Wir wollten den Menschen zeigen: Wir sind auch hier und in Wirklichkeit ist es gar nicht so toll.“
Wir wollten den Menschen zeigen: Wir sind auch hier und in Wirklichkeit ist es gar nicht so toll.
Nichts liegt den Kulturvotzen ferner als den Kunstbetrieb und sich selbst unkritisch abzufeiern. Lieber mischen sie unter dem Motto „Wir kommen auf deine Vernissage“ Ausstellungen auf. In einem Video läuft Sonja Yakovleva mit demonstrativ hochgeschnürten Brüsten durch eine Rubens-Ausstellung im Städel. „Ich wollte die Museumsbesucher*innen zwischen all diesen Nacktbildern mit einer leibhaftigen Rubensfrau konfrontieren. Das hat sie total überfordert. Ich wurde bestaunt wie ein Freak.“ In einem andern Clip rührt sie mit einem Faschingsnasenpenis im Gesicht betont gelangweilt in einer Kaffeetasse. Die Szene spielt auf einem Ästhetik-Kongress an der Offenbacher Hochschule für Gestaltung.
KVTV schauen kritisch auf den Kunstbetrieb und sich selbst
Zu den Vorbildern des Kollektivs gehören Enfant Terribles wie Christoph Schlingensief und Trashseiten im Netz, wie Look at this Russian. „Wir sehen uns aber auch in der Tradition einer Institutional Critique, wie sie zum Beispiel Andrea Fraser betreibt“, erklärt Leon Joskowitz. „Etablierten Kulturinstitutionen stehen wir grundsätzlich kritisch gegenüber. Wir fragen uns: Wieso werden viele Ausstellungen für das immergleiche Publikum gemacht? Warum ist Kunst oft so schwer zugänglich? Wir wollen Institutionen an ihrem eigenen Bildungsanspruch messen, der leider ganz oft nicht eingehalten wird. Wir haben ein sehr hohes Bild von der Kunst und glauben daran, dass sie uns emanzipieren kann und ästhetische Erfahrungen ermöglicht, die uns menschlich weiterbringen. Das geht aber nur, wenn man eingetretene Pfade verlässt.“
Konsequenterweise haben die Kulturvotzen irgendwann damit angefangen, eigene Ausstellungen auf die Beine zu stellen. „Das wäre ja sonst wie gackern und kein Ei legen“, findet Anja Yakovleva. Bespielt wurde zunächst die Sachsenhäuser Wohnung ihrer Schwester Sonja, die damals in einem – zwischenzeitlich vom Abriss bedrohten – Haus in der Darmstädter Landstraße lebte. „‘The Reference‘ haben wir diesen Ort genannt. Zu Beginn der Pandemie war er unser Büro und Place to Be.“ Später kam als zweiter Ausstellungsort ein Garten in der „Grünen Lunge“ im Nordend hinzu, der von Leon Joskowitz bewirtschaftet wird.
KVTV organisiert auch eigene Ausstellungen
Während Neven Allgeier seine Fotosession startet, drückt mir Olga Inozemtceva-Appel den Katalog zur Ausstellung „Koi Pond“ in die Hand, die von den Kulturvotzen vergangenes Jahr im Atelier Frankfurt veranstaltet wurde. „Damit du dich nicht langweilst.“ Das Talent, auch unter nicht immer perfekten Bedingungen kreativ zu sein, habe vielleicht auch etwas mit ihren russischen Wurzeln zu tun, vermutet Sonja Yakovkeva, die mit ihrer Schwester Anja ihre Kindheit im postsowjetischen Sankt Petersburg verbrachte. „Wohnungsausstellungen waren dort keine Seltenheit. Man braucht keine schicken weißen Wände, um Kunst zu machen.“ Olga Inozemtceva-Appel zog 2014 von Moskau nach Frankfurt, um Curatorial Studies an der Städelschule zu studieren.
Sonja Yakovleva ist Künstlerin und wurde an der Offenbacher HfG ausgebildet. Ivan Robles Mendoza arbeitet als Kameramann, Anja Yakovleva als Intensivkrankenschwester. Leon Joskowitz ist studierter Philosoph. Wie in wohl fast jedem Kollektiv, gab es auch bei den Kulturvotzen immer mal wieder Abwanderungen und Neuzugänge.
Die fünf Mitglieder verstehen sich nicht nur als Arbeitsgemeinschaft, sondern sind – teils schon viele Jahre lang – miteinander befreundet. „Wir funktionieren wie eine Rockband“, sagt Ivan Robles Mendoza. „Wenn wir uns einmal streiten, schweißt uns der Humor schnell wieder zusammen“, erzählt Leon Joskowitz. „Humor ist wichtig – auch, wenn es darum geht, mit Selbstwidersprüchen klarzukommen. Wir kritisieren zum Beispiel den Kulturbetrieb, kommen aber selbst darin vor und sind natürlich auch nicht frei von Fehlern. Um das auszuhalten…“ „…führen wir viele Diskussionen“, ergänzt Olga Inozemtceva-Appel. „…nein, deshalb saufen wir“, sagt Anja Yakovleva und lacht. „…nehmen wir uns selbst nicht so ernst“, beendet Joskowitz seinen Satz.
Wir kritisieren zum Beispiel den Kulturbetrieb, kommen aber selbst darin vor und sind natürlich auch nicht frei von Fehlern. Um das auszuhalten nehmen wir uns selbst nicht so ernst.