STILLSTAND IST IHR ALPTRAUM
Das Lichter Filmfest Frankfurt International geht am 18. April in die nächste Runde – was für Filmtrends sich dort abzeichnen? Ein Gespräch mit Gregor Maria Schubert und Johanna Süß im Festivalbüro gibt erste Einblicke.
Von Markus Wölfelschneider (Text), Neven Allgeier (Foto)Wir sitzen auf der Terrasse des italienischen Restaurants Pasta e Panini in Bockenheim. Vor uns dampfen die Tassen mit dem Morgenkaffee. Der hohe Laubbaum ein paar Meter weiter trägt noch keine Blätter. Gregor Maria Schubert und Johanna Süß sind hier fast täglich zu Gast. „Das ist unser Open-Office“, scherzt Schubert. Das wirkliche Büro der Festivalleitung des Lichter-Filmfest befindet sich direkt gegenüber. Ein spätklassizistisches Gebäude, dem man schon auf den ersten Blick ansieht, dass es etwas Besonderes ist. Es hat einen fünfeckigen Grundriss und steht mit viel Abstand zu den Nachbarhäusern am Anfang der Leipziger Straße. Rund zehn Menschen arbeiten dort, kümmern sich um Buchhaltung, Marketing und Presse oder machen Programmarbeit.
Ein paar Tage vor unserem Besuch Anfang März hat gerade die Berlinale stattgefunden. Das mit Abstand größte Film-Festival im Land gilt als wichtige Kontaktbörse. „Es ist, ein bisschen böse ausgedrückt, wie Spring Break für die Filmbranche. Es gibt unfassbar viele Partys und Empfänge, wo man relaxt miteinander ins Gespräch kommt“, erzählt Süß. „Unsere Kontakte zu Filmverleihen sind im Laufe der Jahre immer besser geworden“, ergänzt Schubert. „Filme für das eigene Programm zu bekommen, ist immer auch eine Frage des Vertrauens. Das ist nicht einfach so, als ob man bei Rewe einkaufen geht und bloß zugreifen muss.“
Über 70 Filme in sieben Kinosälen
Später laufen wir die paar Meter ins Büro herüber und machen es uns im „Salon“ bequem, einem Raum, der für Team-Besprechungen genutzt wird. Es gibt einen Video-Beamer mit Leinwand. „Hin und wieder schauen wir hier gemeinsam Filme“, erzählt Süß. In einem Regal reihen sich jene schwarzen Bembel aneinander, die beim „Lichter Filmfest Frankfurt International“ von einer Jury als Trophäen verliehen werden. In einem Raum im ersten Stock, direkt über uns, wird gerade die 16te Ausgabe vorbereitet. Am 18. April ist die Eröffnung. An einer Wand hängt ein Whiteboard mit einer riesigen Tabelle. Mit Filmtiteln beschriftete Klebestreifen werden hin und her geschoben. Über 70 Filme gilt es, je nach zu erwartendem Publikumsinteresse, auf sieben verschieden große Kinosäle zu verteilen.
Schubert gründete das Lichter Filmfest in den Räumen des alten Kunstzentrums Atelier Frankfurt im Bahnhofsviertel, wo 2008 die allererste Ausgabe stattfand. „Ich war der Meinung, dass eine Stadt, die so groß ist wie Frankfurt, unbedingt auch ein Filmfestival braucht.“ Zuvor hatte er an der Offenbacher Hochschule für Gestaltung studiert und dort eine Reihe von Kurzfilmen gedreht. Den – teils fiktionalen – Dokumentarfilm „Wenn der Eisberg kalbt“ zum Beispiel schuf er zusammen mit seiner damaligen Kommilitonin Sylvie Hohlbaum. „Es geht um einen Erfinder mit Weltuntergangsfantasien, der eine Art Arche entwickelt, damit die Menschheit überlebt“, erzählt Schubert. Ein skurriles Requisit aus dem Streifen – eine „Überlebenskapsel“ in knalligem Orange – steht in einer Glasvitrine direkt vor uns.
Ich war der Meinung, dass eine Stadt, die so groß ist wie Frankfurt, unbedingt auch ein Filmfestival braucht
Eigener Geschmack & Fingerspitzengefühl fürs Publikum
Süß studierte Politik- und Filmwissenschaften in Frankfurt und Mainz, verbrachte nach ihrem Abschluss längere Zeit in Südamerika und wurde 2009 Teil eines fünfköpfigen Teams, das damals das Festival leitete. „Ich war fasziniert von der Aufbruchsstimmung, die zu dieser Zeit in der Gruppe herrschte“, erinnert sie sich. Mittlerweile bilden Schubert und Süß als Festivalleitung eine Doppelspitze. Über die Auswahl der Filme entscheiden mehrköpfige Sichtungskommissionen. „Ein gutes Kuratorium ist immer ein Mix aus eigenem Geschmack und Fingerspitzengefühl dafür, was das Publikum sehen will“, sagt Schubert. Private Vorlieben dürfen niemals ausschlaggebend sein „Ich zum Beispiel hasse Kostümfilme“, bekennt Süß. „Umso wichtiger ist es, dass wir zum Ausgleich Leute im Team haben, die genau solche Filme mögen.“
Früher bespielte das Lichter Festival oft leerstehende Immobilien wie die Diamantenbörse oder den Turmpalast, die längst aus dem Stadtbild verschwunden sind. Diesmal dient die Eventlocation Massif Central in der Eschersheimer Landstraße 28 als Festivalzentrum. Von dort ist es nicht weit zu Kinos wie dem Eldorado oder dem Metropolis, die ebenfalls Schauplatz sind. Man möchte ein Festival der kurzen Wege sein.
Gezeigt werden regionale, nationale und internationale Filme. Im Anschluss an die Vorführungen finden Talks statt. Es gibt verschiedene Wettbewerbe, darunter den Lichter Art Award und den Virtual Reality Storytelling Award. Das internationale Programm steht dieses Jahr unter dem Motto „Liebe“. Eröffnungsfilm ist Christoph Hochhäuslers Thriller „Bis ans Ende der Nacht“, der in Frankfurt gedreht wurde.
Filmtrends
Bei unserem Besuch Anfang März sind längst noch nicht alle Filme bestätigt. Johanna Süß verschwindet kurz nach oben und druckt eine vorläufige Liste aus, die sie für uns kommentiert. „Ein Trend dieses Jahr sind Coming-of-Age-Filme mit jungen Darsteller*innen, die auf der Suche nach ihrer Identität, ihrer sexuellen Orientierung und ihrem Platz im Leben sind“, erzählt sie. In diese Kategorie fällt zum Beispiel das spanische Drama „La Maternal“ über die Mutterschaft eines 14 jähriges Mädchens. Ebenso der koreanische Streifen „Riceboy Sleeps“, der von einer Mutter-Sohn-Beziehung handelt. Weitere Highlights im internationalen Programm sind „All the Beauty and the Bloodshed“ – ein Film über das Leben der Fotografin Nan Goldin. Außerdem die kanadische Indie-Komödie „I like Movies“. „Es geht um einen narzisstischen Typen, der Filme mehr mag als Menschen.“
Der bundesweit beachtete „Kongress Zukunft Deutscher Film“, der parallel zum Festival stattfindet, liegt Süß besonders am Herzen. Diskutiert wird unter anderem über eine Neuregulierung des deutschen Filmförderungssystems, das viele Filmschaffende als kompliziert und unfair empfinden. „Filme werden nur dann gefördert, wenn sie Erfolg versprechen. Dabei ist überhaupt nicht klar, wie man Erfolg definieren soll. Das führt dazu, dass Filme wie „Keinohrhasen“ mit Steuermitteln gefördert werden, obwohl sie das vermutlich wirtschaftlich gar nicht nötig hätten, während andere Filme leer ausgehen.“ In diesem Jahr wird die Zukunft der Filmkultur im Kontext des 100. Jubiläums der Frankfurter Schule diskutiert.
Filme werden nur dann gefördert, wenn sie Erfolg versprechen. Dabei ist überhaupt nicht klar, wie man Erfolg definieren soll.
In der Anfangszeit war das Festivalprogramm rein regional ausgerichtet. „Stillstand ist unser Albtraum“, sagt Schubert. „Wir suchen immer nach neuen Herausforderungen, deshalb wird uns auch nie langweilig.“ Die Arbeit für Lichter ist ein Vollzeitjob. Neben dem sechstägigen Festival organisieren Schubert und Süß mit ihrem Team einmal pro Jahr auch das „Freiluftkino Frankfurt“ sowie das „High Rise Cinema“, bei dem Filmklassiker auf Hochhaus-Dachterrassen gezeigt werden.
Binding-Kulturpreis
Zu den wichtigsten Geldgebern des Lichter Filmfests zählen das Land Hessen, die Stadt Frankfurt und der Kulturfond Rhein-Main. Dieses Jahr wurde Lichter Filmkultur e.V. mit dem Binding-Kulturpreis ausgezeichnet, der mit 50.000 Euro dotiert ist. Vergangenes Jahr hat ihn die Künstlerin Anne Imhof gewonnen. „Wir sind in bester Gesellschaft und fühlen uns sehr geehrt“, sagt Schubert. Können die beiden die heiße Phase ihres Festivals eigentlich genießen – oder ist das purer Stress? „Manchmal gehört es zu unseren Aufgaben, mit wichtigen Gästen essen zu gehen“, erzählt Süß. „Dabei habe ich immer ein bisschen Angst, dass ich unaufmerksam wirke, weil mir so viele Dinge durch den Kopf schwirren. Entspannt im Kino sitzen: Das habe ich in all den Jahren bloß ein einziges Mal geschafft.“