Anja Arncken ist Künstlerin und Goldschmiedin. Ihre Liebe zu glitzernden Dingen hat sie erst nach ein paar Umwegen zu ihrem Beruf gemacht. Wir haben sie in ihrer Werkstatt besucht.
Anja Arncken trägt Schal und Mantel als sie uns im Erdgeschoss eines Offenbacher Altbaueckhauses empfängt. Früher gehörte der Raum zu einem Tante-Emma-Laden, später zu einer Fahrschule. Heute teilt ihn sich eine vierköpfige Ateliergemeinschaft. Weiße Vorhänge vor den Panoramascheiben schützen vor neugierigen Blicken. Die Heizung neben der Tür läuft auf Hochtouren und verbreitet eine der Kälte abgetrotzte Gemütlichkeit, wie es sie nur im Winter geben kann. Auf einem kleinen Tisch brennt eine rote Kerze. Arncken stellt eine Kanne mit frisch aufgebrühtem Almkräutertee daneben. Das Radio spielt einen französischen Popsong aus den Achtzigern.
Arncken ist Goldschmiedin. Auf ihrem Arbeitstisch liegt ein Anhänger, den sie aus Silberblech gesägt hat. Das Motiv: Das Wort „Erde“ in einer Schrift, deren Form an züngelnde Flammen erinnert. In einem Ledertuch, das unter die Ausbuchtung in der Holzplatte gespannt ist, sammeln sich die Metallspäne. Der Abfall, zu kostbar für den Hausmüll, wird später in einer Box in eine Scheideanstalt geschickt, um dort recycelt zu werden.
Ihre Liebe zu glitzernden Dingen hat Arncken lange verleugnet
„Glitzernde Gegenstände haben mich schon immer angezogen“, erinnert sich Arncken. „Ich war ein verträumtes Kind und oft in meiner eigenen Fantasiewelt unterwegs, die Augen dabei immer auf den Boden gerichtet. Dort habe ich manchmal Geld oder verlorene Schmuckstücke gefunden. Später musste ich diese Liebe zu den glitzernden Dingen neu entdecken. Am Anfang meines Studiums habe ich sie verleugnet, weil ich dachte, als Künstlerin musst du wichtige Themen behandeln und gesellschaftskritisch sein.“
Arncken studierte Visuelle Kommunikation an der Offenbacher Hochschule für Gestaltung. „Im Studium habe ich alles Mögliche ausprobiert. Ich hatte viele Interessen, aber keinen Fokus.“ erzählt sie. Nach dem Abschluss arbeitete sie hauptsächlich in der Gastronomie. „Ich hatte das Gefühl, meinen Platz noch nicht gefunden zu haben und wusste, dass es so nicht weitergehen konnte.“
Das Interessanteste am kreativen Prozess ist der Fehler
Also besann sie sich auf ihre Kindheitsträume und begann eine Ausbildung als Goldschmiedin an der Hanauer Zeichenakademie. „Am Anfang fand ich es ganz schön anstrengend, mich mit Mitte Dreißig noch einmal in die Rolle der Schülerin zu fügen. Im Studium hatte ich gelernt, mich von Konventionen frei zu machen. Es galt die Einstellung: Das Interessanteste am kreativen Prozess ist der Fehler. In der Ausbildung wurde nun Wert auf enorme Präzision und verbindliche Regeln gelegt. Das hat bei mir zu inneren Konflikten geführt – und manchmal auch zu Konflikten mit den Lehrer*innen.“
Auch wenn Arncken nun glücklich darüber ist, im Beruf einen klaren Fokus zu haben: Vielfältig sind ihre Interessen noch immer. „Ich würde gerne mal wieder Theater spielen“, bekennt sie. Früher war sie Teil des Laiensclub am Schauspiel Frankfurt. Außerdem macht sie Musik mit ihrer Performance-Band Baby of Control. „Trashiger Glam-Pop“ beschreibt sie den Stil. Die Arbeit als Goldschmiedin hat zurzeit aber Vorrang. „Es hat mir gut getan, mich auf eine einzige Sache zu konzentrieren.“ Ein Teil ihres Alltags sind Auftragsarbeiten – Hochzeitsringe zum Beispiel. Manchmal bekommt sie es auch mit ungewöhnlichen Wünschen zu tun: „Ein befreundeter Arzt wollte eine Halskette in Form eines RNA-Stranges haben“, erzählt Arncken. Stilistisch ist sie breit aufgestellt. „Ich mag Schmuck, der so schlicht ist, dass er sich dem Rest der Garderobe unterordnet. Mir gefallen aber auch Sachen, die mutig und provokant sind.“
Ich mag Schmuck, der so schlicht ist, dass er sich dem Rest der Garderobe unterordnet. Mir gefallen aber auch Sachen, die mutig und provokant sind.
Sie kollaboriert mit Firmen und Institutionen und hat schon Schmuck für das Künstlerhaus Mousonturm und die Gastronom*innen der IMA Clique entworfen. Zurzeit sitzt Arncken an einem Anhänger für das Taschenlabel Airbag. Regelmäßig entwirft sie Ringe, Ketten oder Broschen in Kleinauflagen („Ich mag die Zahl Drei. Ab drei Exemplaren ist es für mich eine Serie.“) Ihre Kund*innen findet sie hauptsächlich über Instagram. Ein Online-Shop ist in Planung. In Frankfurt kann man ihren Schmuck zurzeit im Pop-Up-Store der Freitagsküche (Jahnstraße 62) kaufen. In der Regel kosten ihre Stücke zwischen 70 und 300 Euro, wobei Silber deutlich günstiger zu haben ist als Gold – weshalb Arncken dann auch eher selten Gold verwendet. „Viele Leute sind überrascht, wie groß der Preisunterschied wirklich ist. Das wird oft unterschätzt.“
Der wert von Gold wird oft unterschätzt
Arncken zeigt uns einige ihrer Kreationen. Eine aufwendig gearbeitete Brosche in Form einer rituellen Maske. Silberne Ketten, an denen das Wort „Rohstoff“ schaukelt. Weitere mit dem Schriftzug „Vulnerable“ sind in Vorbereitung – die sensible Botschaft und die martialische Schrift bilden einen reizvollen Gegensatz. Die Buchstaben werden zunächst mit einer Anreißnadel auf Silberblech gezeichnet und anschließend mit der Säge bearbeitet.
Ein anderer Anhänger hat die Form einer Autofelge. Den Prototyp hat Arncken aus Wachs modelliert und anschließend in eine Gießerei gegeben. „Ich war schon immer fasziniert davon, wieviel Aufmerksamkeit Menschen diesem vermeintlich unwichtigen Detail ihres Autos widmen. Genau darum geht es ja auch bei Mode: Ein bestimmtes Detail – und damit letztlich auch sich selbst – aufzuwerten. Dabei macht es gar keinen so großen Unterschied, ob es sich um Felgen oder Fingernägel handelt.“
Hierarchien sind arrogant und überflüssig
Mit Lena Grewenig, ebenfalls Goldschmiedin und Künstlerin, rief Arncken den „Devine Shop“ ins Leben. Auftakt war Ende des vergangenen Jahres im Projektraum des Frankfurter Atelierhauses Basis. Es gab Rauminstallationen und es wurde Schmuck verkauft. Weitere Ausgaben der Reihe sollen folgen. Versteht sie sich nun in erster Linie als Handwerkerin oder als Künstlerin? Arncken muss nicht lange nachdenken. „Ich bin dagegen Kunsthandwerk, Kunst und Design voneinander zu trennen und in eine Hierarchie zu bringen“, stellt sie klar. „Das finde ich arrogant und überflüssig.“