Ricky Saward gilt als einer der talentiertesten Jungköche der Region. Er ist Küchenchef in einem von nur zwei vegetarischen Sternerestaurants der Republik. Ein Streifzug durch das hauseigene Gemüseanbaugebiet.
Die Braumannswiesen bei Bad Homburg. Unter Folientunneln, die Schutz vor Kälte spenden und in denen sonst Pflanzen aufgepäppelt werden, gackern Hühner. In einem neu angelegten Erdkeller, über dem sich eine grasbewachsene Decke wölbt, lagern Kisten voller Kürbisse, Zwiebeln, Pastinaken, Petersilienwurzeln und Kartoffeln. Das Gemüse musste schnell noch abgeerntet werden, bevor der erste Frost kommt und den Boden hart macht. Ricky Saward zeigt uns Beete, in denen er im vergangenen August Salate mit so klangvollen Namen wie „Blutstropfen“ und „Teufelsohr“ angepflanzt hat.
Er führt uns zu Baumstämmen, auf denen er Shiitake-Pilze züchtet. Sie lehnen an einem Zaun, der das rund drei Hektar große Gelände, eine ehemalige Pferdeweide, begrenzt.
Saward verfolgt ein radikales Farm-to-Table-Konzept
„Im Sommer hat unser Restaurant dienstags geschlossen. Dann hilft das ganze Personal auf der hauseigenen Wiese mit“, erzählt er. „Aber auch im Winter, wenn es Engpässe gibt, komme ich oft vorbei, um zu schauen, was gerade so wächst. In den Bestelllisten, die wir kriegen, wird nicht jedes Kraut vermerkt und manchmal finde ich vor Ort überraschend etwas, das ich gebrauchen kann“. Seit März 2018 ist Saward Küchenchef im Seven Swans in der Frankfurter Altstadt und verfolgt dort ein radikales Farm-to-Table-Konzept: Außer Molkereiprodukten, Salz und Getreide wird nichts von anderen Erzeugern zugekauft. Alles, was in dem vegetarischen Sternerestaurant auf den Tisch kommt, stammt aus eigenem Anbau direkt von den Braumannswiesen. „Es war schon immer mein Traum, in der Sternegastronomie zu arbeiten“, erzählt der heute 29-Jährige, während wir im Laufschritt der Kälte trotzen.
Nach der Lehre in einem gutbürgerlichen Restaurant seiner Heimatstadt Borken im Münsterland („eine Art bessere Apfelweinwirtschaft – gekocht wurde aber immer frisch, viele Pasteten und Terrinen. Handwerklich war das eine prima Schule“) befolgte er den Rat seines Vaters („Wenn du jung bist, geh und guck dir die Welt an“) und zog erst einmal nach Wien. Im Hilton am Stadtpark sammelte er Erfahrungen in der Fünf-Sterne-Hotellerie und stieg schnell in der Hierarchie auf.
Über eine Art hoteleigenes Transfermarktportal bewarb er sich nicht nur in ganz Europa. Im Überschwang setzte er auch noch ein Häkchen hinter Sidney. Womit er nie gerechnet hätte: „Ich wurde tatsächlich angenommen. Eine Woche hatten meine damalige Freundin und ich Zeit, unsere Wohnung aufzulösen, den Hausrat zu verkaufen, und die Koffer zu packen“, erinnert er sich. In Australien folgte gleich die nächste Überraschung: „Ich hatte mich auf Clubsandwiches eingestellt. Statt in der Hotelküche landete ich jedoch in der ‚Glass Brasserie‘– dem berühmten Restaurant von Australiens damals jüngstem Sternekoch Luke Mangan, das er unter dem Dach des Hilton in Sidney betrieb.“
Es war schon immer mein Traum, in der Sternegastronomie zu arbeiten.
Seine Zeit in Australien sei hart und prägend gewesen, sagt Saward zurückblickend. „Am Anfang ist auch super viel schief gelaufen. Mein Chef ließ mich am Pass arbeiten, wo es meine Aufgabe war, die Speisen anzurichten. Bei großen Fleischstücken war immer ein Bindfaden drumgewickelt, damit sie in Form bleiben. Einmal habe ich vergessen, ihn zu entfernen. Ich träume heute noch davon“, sagt Saward und lacht. „Der Chef wollte mich dreimal nach Hause schicken. Ich habe immer wieder ‚nein‘ gesagt. Zum Schluss war aber wieder alles gut.“ In Australien genießen Köche generell ein enormes Ansehen, sagt Saward.
Der Chef wollte mich dreimal nach Hause schicken. Ich habe immer wieder ‚nein‘ gesagt. Zum Schluss war aber wieder alles gut.
„Wenn du dort nachts um drei in der Kneipe erzählst, dass du Koch bist, wirst du gefeiert wie ein Held. Essen hat dort einen ganz anderen Stellenwert als hier. Business-Meetings finden zum Beispiel oft in Restaurants statt. Die Leute geben schon mal 200 Euro pro Kopf für ein Mittagessen aus. In Deutschland ist das undenkbar.“
Zwischendurch kochte er in vier der besten Gourmetrestaurants in Neuseeland
Zurück in Deutschland, bekam Saward das Angebot, nach Südafrika zu gehen. „Der Papa meiner damaligen Freundin hatte dort ein Weingut samt Restaurant gekauft und wollte uns einbinden. Meine Freundin wollte das unbedingt. Ich fand mich mit Anfang 20 zu jung dafür. Wir lehnten ab.“ Schließlich zog Saward nach Frankfurt, wo seine Freundin im Hilton-Hotel am Flughafen eine Stelle als Restaurantleiterin antrat. Er selbst arbeitete zunächst in der Kameha Suite, später in der Alten Oper, dann im Restaurant Chairs. Zwischendurch kochte er in vier der besten Gourmetrestaurants in Neuseeland – der mehrmonatige Trip war eine Art Stipendium, das Saward bei einem Kochwettbewerb gewann.
Ein schwerer Motorradunfall zwang ihn zu einer längeren Auszeit. „Irgendwann musste ich aufpassen, dass ich für die Sternegastronomie nicht zu alt werde. Ich wollte weiter“, sagt er. Er wechselte in die Villa Merton, ein Frankfurter Gourmet-Restaurant mit Michelin-Stern. Als seine Chance im Seven Swans kam (der frühere Küchenchef Jan Hoffmann plante zunächst ein Sabbatical, kehrte dem Lokal dann aber ganz den Rücken zu), änderte er gleich am ersten Tag das Menü. „Ich wollte alles anders machen als mein Vorgänger und dachte mir: Wenn ich das Restaurant vor die Wand fahre und den Stern verspiele, dann wenigstens auf meine Weise.“ An eines seiner ersten Gerichte kann sich Saward noch gut erinnern: eine über dem Feuer geröstete Karotte mit viel Knack, dazu geröstete Leinsaat, Vogelmiere und mariniertes Karottengrün. All das in einem Jus aus karamellisiertem Karottensaft.
„Meine Menüs entstehen im Kopf, wo ich Zutaten miteinander verbinde“, sagt er. „Ich habe gar nicht die Zeit, viel am Herd zu experimentieren. Ein guter Koch verfügt über genug Erfahrung, um sich Geschmäcker vorstellen zu können.“ Vor dem Erscheinen der nächsten Ausgabe des Michelin-Führers (Anfang Februar 2019) hat Saward keine Angst. Warum auch? Der Jungkoch, der mit dem Frankfurter Nachwuchspreis „Kochtalent 2017“ ausgezeichnet wurde, ist auf einem guten Weg. Das hat ihm gerade erst der Gault-Millau bescheinigt. Dort wird das Seven Swans mit beachtlichen 15 Hauben geführt. Immerhin zwei Hauben mehr als im Vorjahr.
Saward nimmt sich für unseren Rundgang viel Zeit. Er zeigt uns jene Stelle am Waldrand, wo er kürzlich auf die Idee zu einem Tannennadeleis („ein harziger Mentholgeschmack, aber angenehm süß“) kam. Als wir an den Holzkisten vorbeikommen, in denen 13 Bienenvölker überwintern, erzählt er von einem Tag der vergangenen Woche, an dem er beim Honig-Schleudern half: „In einer Wabe saß der Honig zu fest, um dabei herauszufliegen. Wir haben aus der harten Masse dann Petits Fours gemacht und im Seven Swans als Nachtisch serviert. Du siehst: Wir lassen nichts verkommen. Das gehört zu unserem Konzept.“
Meine Menüs entstehen im Kopf, wo ich Zutaten miteinander verbinde.
Über einem gemauerten Ofen, der zwischen zwei Fachwerkhäusern steht (in einem davon waren früher Pferde untergebracht), steigt eine hübsche Rauchsäule in den wintergrauen Himmel. Ilka Schön, die als Projektleiterin mit einer Gruppe von Arbeitern (einige der Helfer kommen aus den Oberurseler Werkstätten für Behinderte) die Braumannswiesen bewirtschaftet, schiebt Bleche mit selbstgemachten Pizzen hinein. Und während Ricky Saward schon wieder Richtung Frankfurt fährt, wärmen wir uns noch ein bisschen am Kamin und beißen in die lecker belegten Teigfladen.
Wir lassen nichts verkommen. Das gehört zu unserem Konzept.