Die Frankfurter Autorin Cecily Ogunjobi ist eine Meisterin der kleinen Form. Sie schreibt verdichtete Prosa, die sich an der Grenze zur Lyrik bewegt. Und studiert nebenbei noch Geowissenschaften.
Ein Sachsenhäuser Mehrfamilienhaus, dessen Rückseite über und über mit Efeu bewachsen ist. Wir sitzen auf blauen Gartenmöbeln im Hinterhof, der so schön grün ist, dass sich hier auch Tiere wohlfühlen: Einmal huscht ein Eichhörnchen dicht an uns vorbei, das eine Nuss in den Pfoten trägt.
„Wir hatten mal eins bei uns im Blumenkasten wohnen“, erzählt Cecily Ogunjobi. „Es hatte sich dort einen Kobel gebaut.“ Auch drei Nachbarskinder, die nacheinander aus der Schule heimkommen, statten uns einen kurzen Besuch ab. Sie finden es offenbar spannend, dass bei ihnen vor der Tür gerade ein Interview stattfindet.
Die 21-jährige Autorin wohnt zusammen mit ihrer Mutter und ihrer Schwester unter dem Dach. Im Wohnzimmer, vier Stockwerke über uns, stehen gleich drei Schreibtische – ohne dass die Gemütlichkeit des großen Raumes darunter leiden würde. „Meiner ist der Unordentlichste“, sagt Ogunjobi und lacht. Ihre Mutter arbeitet als Creative Director in der Werbebranche, ihre Schwester promoviert gerade in Physik. Die drei teilen sich sozusagen einen Arbeitsraum.
Ogunjobi studiert im vierten Semester Geowissenschaften. Auf einem Sideboard gegenüber dem Sofa sind Gesteine und Minerale zu einer schillernden Sammlung aufgereiht. Auf dem Schreibtisch liegt eine Hausarbeit zum Thema „Die Geologie Hessens.“ „Für 500 Millionen Jahre Erdgeschichte habe ich genau drei Seiten Platz“, sagt Ogunjobi. „Da muss ich auf jeden Fall noch kürzen.“
Drei Seiten für 500 Millionen Jahre Erdgeschichte
Kurze Texte sind ihre Spezialität – zumindest, wenn es um Literatur geht. Angefangen hat sie mit Kurzgeschichten. „Behütete Unwahrheiten“ handelt von einem Jungen, der von Zuhause ausbricht. Die Geschichte wird von seiner Schwester erzählt. „Für den Leser bleibt dabei aber unklar, ob sie sich ihren Bruder vielleicht nur einbildet“, erzählt Ogunjobi. Der Text wurde 2018 beim Schreibwettbewerb von „Junges Literaturforum Hessen-Thüringen“ ausgezeichnet.
Mit der Zeit hat sie ihre Texte immer weiter verdichtet. Einige sind nur wenige Zeilen lang. „Irgendwann bin ich darauf gekommen, dass ich viele Sätze einfach streichen kann, weil sie irrelevant sind“, sagt Ogunjobi. „Prosaminiaturen“, nennt sie ihre Arbeiten, die sich mit Lautmalereien und Wortspielen an der Grenze zur Lyrik bewegen. Mit fünf ihrer Miniaturen wurde sie vergangenes Jahr zum „Treffen junger Autor*innen“ eingeladen – dem vielleicht wichtigsten Literaturwettbewerb für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene des Landes. „auto-Werkstatt“ heißt einer dieser Texte. Der Titel ist wunderbar doppeldeutig. Schließlich arbeitet die Protagonistin Theresia nicht nur in einem KFZ-Betrieb, sie versucht auch erfolglos, ihr Ego zu reparieren – wofür ihr aber leider keine Zeit bleibt, weil sie sich immerzu mit den Problemen ihrer Kunden herumschlagen muss.
Ich finde es interessant, Textsorten, die erst einmal nichts mit Literatur zu tun haben, mit Literatur zu füllen.
In ihrer Jugend hat Ogunjobi vor allem Fantasybücher gelesen, sich dann aber realistischer Literatur zugewandt und Erzählerinnen wie Jenny Erpenbeck, Judith Keller, Mariana Leky und Chimamanda Ngozi Adichie für sich entdeckt. Ihre eigenen Texte sind auch von Kinderbüchern beeinflusst. Ihr gefällt, dass gesellschaftlich relevante Themen in der Kinderliteratur oft mit spielerischer Leichtigkeit behandelt werden. Als weitere Inspirationsquelle nennt sie Songtexte. Wichtigster Einfluss sind allerdings eigene Erfahrungen und Erlebnisse. Im Text „Big chop“ geht es zum Beispiel um Alltagsrassismus.
Inspiriert von Kinderliteratur, Songtexten und eigenen Erfahrungen
Ihre Begeisterung für das verdichtete Schreiben wurde im Deutsch Leistungskurs an der Sachsenhäuser Schillerschule geweckt. „Wir hatten dort einen tollen Lehrer“, erzählt sie. Später schloss sich Ogunjobi dem Autor*innenkollektiv „Sexyunderground“ an, das sich regelmäßig am Frankfurter Literaturhaus trifft, um sich gegenseitig die neuesten Texte vorzulesen und konstruktives Feedback zu geben. Rund ein halbes Dutzend Personen gehört zu der Gruppe. „Wegen Corona sehen wir uns momentan nur online.“
Nach dem Abitur hat sich Ogunjobi ein Jahr Auszeit genommen, ist viel gereist und hat sich dabei gründlich überlegt, wie es weitergehen soll. Sie spielte mit dem Gedanken, Literarisches Schreiben oder Germanistik zu studieren – entschied sich dann aber für Geowissenschaften. „Ich mag naturwissenschaftliches Denken. Nach meiner Schulzeit habe ich es vermisst, zu rechnen und logische Aufgaben zu lösen.“ Zwischen Geowissenschaften und ihrer verdichteten Prosa gibt es durchaus Gemeinsamkeiten, findet sie: Auch Steine können dem aufmerksamen Betrachter schließlich eine Geschichte erzählen. Man muss sie bloß richtig zu deuten wissen.
Erst vor wenigen Tagen ist ein neuer Text von ihr in einer vom Samuel Kramer herausgegebenen Anthologie mit dem Titel „Poetry for Future“ erschienen. Es geht um den Klimawandel. Ogunjobis Beitrag ist im Stil einer Textaufgabe geschrieben, wie sie auch in einem Mathematikbuch stehen könnte. „Ich finde es interessant, Textsorten, die erst einmal nichts mit Literatur zu tun haben, mit Literatur zu füllen“, sagt sie. Anlässlich der Buchmesse wird es am 13. Oktober im Gallustheater eine Lesung geben. Ein weiterer Auftritt folgt am 17. Oktober in der Sachsenhäuser Ausstellungshalle 1a. Dieser zweite Termin gehört zur langen Lyriknacht „Teil der Bewegung“, die im Rahmen des Open Books-Festival stattfindet.
Reizt es sie nicht, irgendwann einmal einen Roman zu schreiben? „Ja, das ist schon eine Form, an der ich mich früher oder später versuchen will“, bekennt Ogunjobi. Ihre Träume für die Zukunft sind allerdings nicht bloß literarischer Natur: „Mit einem Forschungsschiff in die Antarktis reisen“, schwärmt sie. „Das wäre toll.“
Mit einem Forschungsschiff in die Antarktis reisen, das wäre toll.
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