Dieses Jahr erschien Yandé Secks Debütroman „Weiße Wolken“, der größtenteils in Offenbach und Frankfurt spielt. Wir haben uns mit ihr an einem Ort getroffen, wo sie während der Arbeit am Buch Inspiration fand.

„Die Cafés im Frankfurter Nordend habe ich schon fast alle durch“, sagt Yandé Seck und macht ihr Fahrrad an einem Verkehrsschild fest. Die Rede ist von den vielen Cafés, die in ihrem Roman „Weiße Wolken“ als Schauplätze dienen und in denen die Hauptfiguren oft klärende Gespräche führen. Nach der Veröffentlichung hat sich Seck dort gerne mit Journalist*innen getroffen, um über das Buch zu reden. Dass in ihrem Roman so viele Cafés vorkommen, erklärt Seck übrigens mit ihrer Vorliebe für „Sex and the City“. „Ich gehöre zur Generation, die mit der Serie großgeworden ist.“

Foto: Neven Allgeier

Heute also mal kein Café. Stattdessen laufen wir auf asphaltierten Wegen über die Oberräder Felder. Ein Sonntagspaziergang bei schönem Wetter im Niemandsland zwischen Offenbach und Frankfurt. Eine Autobahn und eine S-Bahn-Trasse begrenzen das weitläufige Gelände, auf dem mit Graffiti übersäte Gewächshäuser stehen, in denen – so vermuten wir jedenfalls – Kräuter für die berühmte Grüne Soße angebaut werden. Urbanität trifft auf Idylle. „Während der Arbeit an meinem Roman war ich hier regelmäßig joggen und habe über die Figuren nachgedacht“, verrät Seck. Die Musik, die sie dabei auf den Ohren hatte, schaffte es sogar als Playlist ins Buch. Songs von Mac Miller, Frank Ocean und Kendrick Lamar sind darauf zum Beispiel vertreten.

Ein Debüt zwischen psychologischer Tiefe und popkultureller Leichtigkeit

„Weiße Wolken“ ist Secks literarisches Debüt. Dieses Jahr wurde es bei dem renommierten Verlag Kiepenheuer und Witsch veröffentlicht. Es geht um zwei unterschiedliche Schwestern, die sich mit ihrer Rolle als Mutter in einer Patchworkfamilie beziehungsweise als Schwarze Frau in einer weißen Mehrheitsgesellschaft auseinandersetzen. Zazie ist so etwas wie eine politische Aktivistin mit guten Argumenten und berechtigter Wut, die sich aber manchmal selbst im Weg steht und überall aneckt. Dieo führt ein vergleichsweise angepasstes und bürgerliches Leben im Frankfurter Nordend. Es gibt Anspielungen auf theoretische Konzepte und akademische – etwa rassismuskritische – Diskurse. Der Roman ist aber auch eine wahre Fundgrube, was popkulturelle und literarische Referenzen betrifft. Bei all der Schwere und psychologischen Tiefe der verhandelten Themen bleibt „Weiße Wolken“ stets ein wunderbar leichter, unterhaltsamer, pointiert erzählter Familienroman.

Foto: Neven Allgeier

Weil sie Kinder- und Jugendtherapeutin werden wollte, studierte Seck zunächst Medizin, wechselte dann aber zu Erziehungswissenschaften als sie feststellte, dass sie auch dieser Weg ans Ziel führte. „Eigentlich war es eher die Idee meiner Mutter und meiner Oma, dass ich Medizin studieren sollte“, sagt sie. „Das Studium war nie so richtig meins.“ Heute wohnt Seck mit ihrem Mann und den zwei Söhnen – einer im Kindergarten, der andere im Teenageralter – in Offenbach. Dort arbeitet sie auch als Therapeutin. Außerdem ist sie Dozentin am Fachbereich Erziehungswissenschaften an der Frankfurter Goethe-Uni.

Am Wegesrand entdecken wir zwei Mäusebabys. Seck erzählt davon, wie sie vor wenigen Wochen bei einem Strandspaziergang in Irland, wo die Familie ihres Mannes lebt, auf einen toten Delphin gestoßen ist – was einige Erklärungen nötig machte. „Wenn man mit Kindern unterwegs ist, hat man noch mal einen ganz anderen Blick auf die Natur“, sagt sie. Seck wurde in Heidelberg geboren, wo sie einen Teil ihrer Kindheit verbrachte. „Dort hatte ich eine Freundin, die großer Bibi-Blocksberg-Fan war. Wir haben Kassetten mit Geschichten aufgenommen, die wir uns ausgedacht hatten – samt dazu passender Geräusche“, erzählt Seck von ersten Erfahrungen mit literarischen Welten. Als Teenager fiel ihr die Autobiografie „Mein Leben“ des Literaturkritikers Marcel Reich-Ranicki in die Hände. „Mich hat fasziniert, wie hier jemand von seiner innigen Beziehung zu fiktionalen Welten berichtet“, erinnert sich Seck an eine ihrer frühen prägenden Lektüreerfahrungen.

Yandé Seck, Foto: Neven Allgeier
Foto: Neven Allgeier

„Vor vier Jahren wurde unser jüngster Sohn hin und wieder fremdbetreut. In diesen Stunden habe ich mich dann nicht nur an meine Doktorarbeit gesetzt, sondern auch den Dingen Raum gegeben, die sich sonst noch so in mir regen“, erzählt Seck. Auf diese Weise entstand „Weiße Wolken“. Einige Kapitel wurden von einer Reise in den Senegal – dem Herkunftsland ihres Vaters – inspiriert, die sie zuvor unternommen hatte. Sie habe den Text – zumindest am Anfang – nicht wirklich mit Blick auf spätere Leser*innen geschrieben, sagt Seck. „Das sieht man alleine schon daran, dass ich einer Nebenfigur den Namen des Trauzeugen meines Mannes gegeben habe. Später ließ sich das dann nicht mehr ändern, weil es im Roman eine Anspielung auf das Kinderbuch ‚Wo die wilden Kerle wohnen‘ gibt, wo die Hauptfigur ebenfalls Max heißt.“

Das Potenzial zu einer Romanverfilmung?

Ihr Manuskript gab sie zunächst Leuten aus ihrem Umfeld zu lesen. „Das war eine erste Berührung mit der Realität. Ich wollte herausfinden: Ist das überhaupt Etwas, hat das Bestand.“ Eine Leseprobe schickte Seck an verschiedene Verlage. „Ich musste erst einmal lernen, wie das Business funktioniert – nämlich so, dass man sich am besten von einer Agentur vertreten lässt. Eine Literaturagentin kümmerte sich schließlich um alles Weitere. Besonders toll findet Seck, dass „Weiße Wolken“ dieses Jahr für die Reihe „Books at Berlinale“ ausgewählt wurde. Als eines von weltweit zehn Büchern, die das Potential für eine Verfilmung haben, wurde es dort Filmschaffenden vorgestellt. „Ob wirklich mal ein Film daraus wird, zeigt sich vermutlich erst in ein paar Jahren.“

Yandé Seck, Foto: Neven Allgeier

Hat Seck schon Ideen für den nächsten Roman? „Meine Erzählweise in ‚Weiße Wolken‘ ist nicht besonders plotgetrieben. Nicht die Handlung steht im Mittelpunkt, sondern die Figuren. Vielleicht sollte ich das nächste Mal alles anders machen und zur Abwechslung mal einen Thriller schreiben“, sagt sie und lacht. Im Herbst stehen nun einige Lesungen an. Aber auch mal eine Auszeit vom Literaturbetrieb zu nehmen ist ihr wichtig. „Dieses Jahr ist so viel passiert, das muss ich erst einmal sacken lassen“, sagt Seck. „Sonst kann es schnell passieren, dass einem alles Schöne und Interessante, das man erlebt, einfach so durch die Finger rinnt.“

Diesen Monat ist Frankfurter Buchmesse. Seck wird nicht mit dabei sein. „Während die Buchmesse stattfindet, besuche in meine Schwester in Vilnius, die dort studiert. Die Messe hatte ich total vergessen als wir den Termin vereinbart haben. Ich glaube, dass hinter dieser Fehlleistung ein Bedürfnis steht“, sagt Seck. Ihr Unterbewusstsein habe ihr eine Botschaft geschickt. „Es geht darum, mich darauf zu besinnen, dass ich auch ein Familienleben habe und nicht nur aus ‚Weißen Wolken‘ bestehe.“

Nicht die Handlung steht im Mittelpunkt, sondern die Figuren.

Yandé Seck
Foto: Neven Allgeier

Yandé Seck

„Weiße Wolken“

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