Nikita Kudakov alias Coodiny schreibt nicht nur Rapsongs, sondern auch eine Doktorarbeit über Rap-Konzerte. Wir haben den vielseitigen Musikenthusiasten an seinem Frankfurter Arbeitsplatz getroffen.

Nikita Kudakov hat es nicht nötig, am Arbeitsplatz heimlich Musikvideos zu gucken. Er macht das ganz offiziell. Es sind Auftritte von Rapper*innen, die er sich auf seinem Laptop ganz genau anschaut. Wie oft wechselt das Mikrofon die Hand? Wie oft wird ein Moshpit angezettelt? Wie oft ist eine Bounce-Bewegung zu sehen? Mit Hilfe von Statistiksoftware wie JASP werden die gesammelten Daten analysiert. Ziel ist es, Auftritte zu optimieren und vielleicht sogar, die Formel für die perfekte Performance zu finden.

Wir befinden uns im Max Planck Institut für empirische Ästhetik im Frankfurter Westend, wo Kudakov eine Doktorarbeit darüber schreibt, wie Rapper*innen sich bewegen und mit dem Publikum kommunizieren. Der Musikwissenschaftler möchte später einmal Professor werden, kann sich aber auch gut vorstellen, in der Musikindustrie zu arbeiten. In einem Raum, an dessen Tür ein Schild mit der Aufschrift „Medialab“ prangt, sitzen wir auf einem breiten, gemütlichen Sofa. Die Haustechnik war so nett, uns Kekse und Getränke bereitzustellen.

Konzertreihe und Forschungsobjekt zugleich

Auf einem Tisch liegen vier Stapel mit Fragebögen. Ausgefüllt wurden sie vom Publikum der Konzertreihe „About The Feeling“, die Kudakov zusammen mit dem Frankfurter Mousonturm veranstaltet. Die Umfrageergebnisse nutzt er, um mit den Rapper*innen an ihren Auftritten zu arbeiten, die im Mousonturm aus gleich sechs Kameraperspektiven gefilmt werden. „Wenn ich zum Beispiel in den Umfragen sehe, dass das Publikum einer bestimmter Person Lust auf einen Moshpit hat, frage ich, ob sie sich vorstellen kann, das in ihre Live-Show zu integrieren.“

Foto: Neven Allgeier

Kudakov ist nicht nur Musikwissenschaftler, sondern auch Rapper. Bis 2019 rappte Coodiny, wie er sich als Künstler nennt, ausschließlich in russischer Sprache. Damals hatte er für ein Studienprojekt Musik von klassischen russischen Komponisten gesampelt und daraus Beats gebaut. „Meine Dozentin regte mich an, dazu deutsche Texte zu schreiben“, erzählt er. „Ich hätte schon viel früher anfangen sollen, auf Deutsch zu rappen. Dann hätten sich für mich schon früher mehr Türen geöffnet. Denn seien wir mal ehrlich: Wer interessiert sich hier in Deutschland schon für russischen Rap?“ Kudakov ist in Russland aufgewachsen und fand über Breakdance Zugang zur Hip-Hop-Szene. 2005 zog er mit seiner Familie nach Deutschland.

Denn seien wir mal ehrlich: Wer interessiert sich hier in Deutschland schon für russischen Rap?

Nikita Kudakov aka Coodiny

Vor rund drei Jahren begann er damit, so gut wie jede Auftrittsmöglichkeit zu ergreifen, die sich ihm bot. „Jede Bühne, jedes Open-Mic“. Geld, das er für ein Stipendium bekam, investierte er in Equipment. Er kaufte sich ein Funkmikrofon und einen Sampler. Letzteres, um auf der Bühne nicht auf jene DJs angewiesen zu sein, die bei Open-Mic-Auftritten oft von den Veranstalter*innen gestellt werden und die laut Coodiny meist nicht besonders motiviert sind. „Ich habe angefangen, mir allerhand Spielzeug zu besorgen, um meinen Sound interessanter zu machen“, sagt Coodiny und angelt sich einen Vocal-Prozessor aus der randvoll mit technischen Geräten gefüllten Kiste, die hinter dem Sofa steht.

Vom Splash-Festival zum wohl bekanntesten Battle-Rap-Contest Deutschlands

Inzwischen ist Coodiny zum Beispiel im Technikum München oder beim Science Festival in Frankfurt aufgetreten. Auch in der Alten Oper stand er schon auf der Bühne. Mittlerweile bringt er meist auch eine Band mit, die sich „Gute Band“ nennt und aus einem DJ, einem Bassisten und einem Gitarristen besteht. Als Kudakov auf dem Splash-Festival für seine Feldforschungen die Auftritte anderer Rapper*innen filmte, wurde er von Magda Kannengießer, der Bookerin von TopTier Takeover angesprochen – Deutschlands wohl bekanntestem Battle-Rap-Contest. „Sie wollte wissen, ob ich Rapper bin und Bock auf eine Cypher habe.“ Bei dieser Battle-Rap-Variante bilden die Teilnehmer*innen einen Kreis. Wer will, springt hinein und rappt 16 Bars zu einem Beat. An drei solcher Cyphers hat Coodiny teilgenommen, bevor er im vergangenen April bei der TopTier Challenge in Berlin antrat (die Musiker*innen batteln sich dort mit kompletten Songs Eins gegen Eins) und den zweiten Platz belegte. „Beim Battle-Rap spielt Humor eine große Rolle“, sagt Coodiny. „Das mag ich“.

Foto: Neven Allgeier
Nikita Kudakov aka Coodiny, Foto: Neven Allgeier

Der Song „Fahren oder gehen“, den Coodiny eigens für den Wettbewerb schrieb, findet sich nun auch auf seiner „Alexander von Humboldt“ EP, die vor kurzem erschienen ist. Die Beats stammen von Thilo B, mit dem Kudakov schon lange zusammenarbeitet. Aufgenommen wurde die EP in den PIRATE-Studios in Berlin. „Dort kannst du für wenig Geld stundenweise Räume mieten. Du gehst einfach rein und es ist schon alles vorbereitet. Das ist durchaus ein Vorteil von Rap-Musik: Es ist nicht besonders kompliziert, sie zu recorden.“

„Genau wie Thilo B bin auch ich jemand, der gerne experimentiert und nicht bei einem einzigen Sound stehen bleibt“, sagt Kudakov. „Uns ist es wichtig, immer etwas Neues auszuprobieren.“ Viele seiner älteren Songs hat er jetzt neu arrangiert und mit Band im Rücken vor Publikum im Atelier des Bassisten, der sich Nieg nennt und auch als Künstler arbeitet, in der Frankfurter Gwinnerstraße live aufgenommen. Herausgekommen ist ein wilder Mix aus Rap, Rock und Techno. „Coodiny und die Gute Band“ heißt das Projekt. „Wir alle sind große Fans von Bands wie Beastie Boys und Red Hot Chili Peppers“, erklärt Coodiny.

Neben russischer Musik liefen in seinem Elternhaus zum Beispiel auch Songs von Modern Talking und Rammstein. „Russische Musik ist oft sehr traurig. Schnelle, lustige Musik zum Feiern hat mir sehr viel mehr gefallen als diese traurige Schönheit“, sagt Kudakov. Das ist bis heute so geblieben. „Mir geht es nicht darum, in meinen Songs eine tiefsinnige Message zu vermitteln. Mein Ziel ist es, Leute zum Tanzen zu bringen.“

Nikita Kudakov aka Coodiny, Foto: Neven Allgeier
Foto: Neven Allgeier

About The Feeling – Expe­ri­men­tal Edition

Am 13. Dezember um 19 Uhr findet im Mousonturm (Waldschmidtstraße 4) der vierte und letzte Teil der Konzertreihe „About The Feeling – Experimental Edition“ statt – mit Auftritten von Eunique, Alyzah, Aufmischen, Dizzepticon, DJ Nomi, Coodiny und SenZ. Wichtig: Eintritt nur ab 18 Jahren und nach unterschriebener Einverständniserklärung. Das Publikum beteiligt sich an einer anonymen Umfrage und wird zu Forschungszwecken gefilmt.

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