Die Frankfurter Romanautorin und Theaterregisseurin Amanda Lasker-Berlin ist eine leidenschaftliche Spaziergängerin. Ihr erster Roman „Elijas Lied“, der noch während des Studiums entstand, gewann den Preis der lit.COLOGNE für das beste Debüt. Wir sind mit ihr durch die Riederwaldsiedlung spaziert.

Ihr Debütroman handelte von einer Wanderung, die drei höchst unterschiedliche Schwestern zusammen unternehmen. Heute sind wir mit der Autorin und Regisseurin Amanda Lasker-Berlin zu einem Spaziergang verabredet. Die von Platanen gesäumte Schäfflestraße führt in die Frankfurter Riederwaldsiedlung hinein, die in den Zwanzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts als Gartenstadt für die arbeitende Bevölkerung geplant wurde. Tatsächlich ist der Stadtteil überraschend grün. Wir flüchten uns vor der prallen Sonne auf eine Parkbank, die unter schattigen Bäumen steht. Einzig das Surren der Heckenscheren, die ein paar Meter weiter lautstark geschwungen werden, nervt ein wenig. Amanda Lasker-Berlin hat die Riederwaldsiedlung erst vor kurzem für sich entdeckt.

Für eine Lesereihe mit dem Titel „Acht Orte“, die das Literaturhaus Frankfurt ab kommendem September zusammen mit dem Architekturmuseum veranstaltet, schreibt sie gerade an einem Essay über das Viertel. Lasker-Berlin ist leidenschaftliche Spaziergängerin und unternimmt gerne Streifzüge durch die Stadt.

Oft gehe ich an Orte, die ich noch nicht kenne, steige zum Beispiel an der letz­ten U-Bahn-Station aus und laufe herum, um Eindrü­cke zu sammeln. Auf diese Weise erschaffe ich mir ein Orts­ar­chiv, das ich abru­fen und lite­ra­risch verwer­ten kann, wenn ich an einem Text sitze.

Amanda Lasker-Berlin
Foto: Neven Allgeier

Zum Schreiben geht sie oft in den Lesesaal der Deutschen Nationalbibliothek in der Adickesallee. Zurzeit arbeitet Lasker-Berlin an zwei Theaterstücken – und zwar von zuhause aus, in ihrer Wohnung im Nordend: „Wenn ich für das Theater schreibe, lese ich Textstellen gerne laut vor, um zu prüfen, wie sie wirken. Das geht in der Bibliothek natürlich nicht. Das eine Stück handelt von der Hexenverfolgung im Bamberg des 17. Jahrhunderts. Kommenden Januar wird es am dortigen Theater Premiere feiern. Das andere ist eine Adaption des Romans „Frankenstein" von Mary Shelley und soll im März in Ulm uraufgeführt werden. Lasker-Berlin übernimmt hier auch die Regie.

Queere Geschichten gegen das Vergessen

Ihr nächster Roman lässt hingegen noch ein bisschen auf sich warten. „Es geht um die vergessenen und ausradierten Geschichten von queeren Menschen“, erzählt Lasker-Berlin. Die Geschichten sind fiktional, orientieren sich aber an real existierenden Personen. Die Autorin ist noch in der Recherchephase. „Meine ersten drei Romane habe ich relativ schnell geschrieben. Erschienen sind sie in einem Zeitraum von drei Jahren. Jetzt bin ich mit meiner Arbeit an einem Punkt, wo ich merke, dass bestimmte Dinge eben etwas länger brauchen.“ Lasker-Berlin ist im Ruhrgebiet aufgewachsen – was vielleicht auch ihre Faszination für Arbeiterquartiere wie die Riederwaldsiedlung erklärt. „Ich habe schon als Kind gerne geschrieben“ erinnert sie sich. „Damals war es immer mein Plan, ein Märchenbuch zu schreiben.“ Schon früh wollte sie Schriftstellerin werden – oder Schauspielerin. „Ich dachte, wenn ich einfach nicht aufhöre zu schreiben, wird das schon irgendwann klappen müssen.“ Sie sollte Recht behalten.

Foto: Neven Allgeier

Meine ersten drei Romane habe ich relativ schnell geschrieben. Erschienen sind sie in einem Zeitraum von drei Jahren. Jetzt bin ich mit meiner Arbeit an einem Punkt, wo ich merke, dass bestimmte Dinge eben etwas länger brauchen.

Amanda Lasker-Berlin
Das Studium als Befreiungsschlag

Die Schule, die sie in Gladbeck besuchte, empfand sie als beengend. „Dort habe ich mich eingeschränkt gefühlt“, erzählt sie. Nach dem Abi ging sie nach Weimar, um an der Bauhaus-Uni Kunst zu studieren. „Ich wollte eine andere Region kennenlernen.“ Angefangen hat sie mit Malerei. „Kunst habe ich schon immer geliebt, doch ich hatte als Jugendliche eine wahnsinnig schlechte Kunstbildung und dachte: Malerei und Kunst, das ist doch dasselbe.“ Den Schritt beschreibt sie als Befreiungsschlag: „Im Studium ist meine Welt auf großartige Weise explodiert und ich habe so viel Neues kennengelernt.“ Als sie Performance-Kunst für sich entdeckte, begann ihre Leidenschaft für das Theater. Lasker-Berlin wechselte an die Akademie für Darstellende Kunst nach Ludwigsburg, wo sie Regie studierte. Als Bachelorarbeit inszenierte sie dort den Roman „Atemschaukel“ der Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller als Theaterstück. „In der freien Kunst habe ich gelernt, konzeptionell zu denken. Das Theater hat mich gelehrt, über Dramaturgie nachzudenken, über Körper im Raum, Figuren und Konflikte.“ All diese Skills kann sie nun auch als Schriftstellerin gut gebrauchen.

Foto: Neven Allgeier

Ihr erster Roman „Elijas Lied“, der noch während des Studiums entstand, gewann 2020 den Preis der lit.COLOGNE für das beste Debüt. Es folgte „Iva atmet“, indem sich die Protagonistin mit den Verstrickungen ihrer Familie in die deutsche Kolonialgeschichte auseinandersetzen muss. Lasker-Berlin schreibt sinnlich, klar und einfühlsam. Ihr aktuellstes Werk „Spes heißt Hoffnung“ hat gleich vier Protagonist*innen: Den Journalisten Paul, der entfernt an den Spiegelreporter Claas Relotius erinnert und dessen Lügengebäude über ihm zusammenbricht. Achura, eine Jungpolitikerin mit Migrationsgeschichte, die befürchtet, dass ihr eine unbedachte Äußerung die Karriere kostet. Dann ist da noch die Reporterin Mirjam, die im Libanon Zeugin eines Unglücks wird. Außerdem die titelgebende Spes – ein zehnjähriges Mädchen, das an der Schmetterlingskrankheit leidet und auf eine Hauttransplantation wartet.

Amanda Lasker-Berlin: Elijas Lied, Image via deutschlandfunkkultur.de

Geschichten über verschiedene Lebensrealitäten

Lasker-Berlin bevorzugt eine personale Erzählperspektive. Die erlaubt es ihr, den Figuren so nah wie möglich zu kommen, ohne mit ihnen zu verschmelzen. Dieser Punkt ist ihr wichtig: „Ich schreibe oft über Menschen, deren Lebensrealität eine andere ist als meine. Ich möchte mir nicht anmaßen, sie zu repräsentieren oder den Eindruck erwecken, mit ihnen identisch zu sein. Allerdings will ich mich auch nicht immer nur mit mir selbst beschäftigen. Literatur ist eine tolle Möglichkeit, aus dem eigenen Quark herauszukommen.“ Wir laufen zurück zum Torhaus in der Schäfflestraße am Eingang der Siedlung. An der Ecke befand sich noch bis vor kurzem ein Lokal der Reichsbürgerszene. Ausgerechnet hier in diesem Viertel, in dem einst berühmte Bewohnerinnen wie die sozialdemokratische Politikerin Johanna Tesch und die Widerstandskämpferin Anna Beyer lebten, die für eine gänzlich andere Gesinnung standen.

Lasker-Berlins Romane erscheinen bei der Frankfurter Verlagsanstalt, ihre Theatertexte im Verlag der Autoren, der ebenfalls in Frankfurt sitzt. Hergezogen ist sie allerdings nicht aus beruflichen Gründen, sondern der Liebe wegen. Ihre Frau wohnte zuvor schon hier. Lasker-Berlin fühlte sich in Frankfurt von Anfang an wohl. „Die Stadt ist divers und von überschaubarer Größe. Beides mag ich. Und wenn man hier einmal falsch abbiegt, entdeckt man vielleicht eine Siedlung wie diese.“

Foto: Neven Allgeier

Amanda Lasker-Berlin

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