069

„ICH MAG EINFACHE FORMEN UND LINIEN“

Die Illustratorin Tatjana Prenzel arbeitet für so renommierte Medien wie die New York Times und The New Yorker. Ihr Stil: bunte Farben, einfache Formen, melancholische Stimmungen. Wir haben sie in ihrer Frankfurter Wohnung besucht.

Von Markus Wölfelschneider (Text), Neven Allgeier (Foto)

Eine Altbauwohnung im Frankfurter Nordend. An der Rückseite des Hauses lehnt ein Baugerüst, doch von den Arbeiten, die dort stattfinden, bekommen wir hier drinnen nichts mit. Die einzigen Geräusche, die wir hören, kommen vom Spielplatz um die Ecke. „Ich mag es nicht, wenn es in der Wohnung ganz still ist und habe deshalb gerne das Fenster geöffnet“, sagt Tatjana Prenzel. „Das Gewusel da draußen hilft mir dabei, mich bei der Arbeit zu entspannen.“ Esstisch und Schreibtisch stehen beide im gemütlichen Wohnzimmer. Eine Schale mit Brezeln und Croissants auf dem einen. Laptop, iPad, und Skizzenbuch auf dem anderen. Hier die Tassen mit dem Kaffee, aus denen wir trinken. Dort die mit Blei- und Buntstiften gefüllten Einmachgläser.

Prenzel ist freiberufliche Illustratorin – arbeitet in diesem Job aber gerade Teilzeit, weil sie ein wissenschaftliches Volontariat im Offenbacher Klingspor Museum für Buch- und Schriftkunst macht. „Irgendwann hat es mir nicht mehr gereicht, Bilder zu erstellen. Ich wollte auch darüber reden und habe deshalb während der Pandemie mit Kunstvermittlung angefangen“, erzählt sie. Im Klingspor Museum gibt sie nun Illustrations-Workshops für Kinder und Erwachsene. Außerdem organisiert sie Ausstellungen. „Eine meiner ersten Aufgaben war es, die Illustrationen in der Dauerausstellung neu zu kuratieren. Im Archiv gibt es rund 80000 Arbeiten. Dort habe ich wochenlang stöbern dürfen – und mich dabei wie ein Kind im Süßigkeitenladen gefühlt“, schwärmt sie.

Von bunten Wachsmalstiften zur App Procreate als wichtigstes Tool

Als Illustratorin arbeitet Prenzel für so renommierte Zeitungen wie die New York Times und The New Yorker. Ihre Bilder sind bunt und haben manchmal einen leicht melancholischen Touch – passend zu den eher ernsten Themen, für die sie in der Vergangenheit hin und wieder angefragt wurde: Artikel über Krebs, Scheidungen oder komplizierte Beziehungen zum Beispiel. „Ich mag einfache Formen und Linien“, sagt Prenzel. Dass ihre Illustrationen zwar nicht besonders detailreich, dafür aber wunderbar atmosphärisch sind, führt sie auf den Umstand zurück, dass sie früher ausschließlich analog gearbeitet hat – mit Buntstiften etwa. Und ganz zu Beginn sogar mit Wachsmalstiften. „In der Regel schicke ich den Artdirektionen drei unterschiedliche Skizzen zur Auswahl. Sobald über das Motiv entschieden wurde, beginne ich mit dem Kolorieren. Das ist eine eher meditative Tätigkeit, bei der ich nebenbei gerne Podcasts oder Musik höre.“ Inzwischen ist die App Procreate ihr wichtigstes Tool. „Digital zu arbeiten hat den Vorteil, dass sich unkompliziert Änderungen vornehmen lassen. Das ist besonders bei meinen Arbeiten für Zeitungen und Magazine wichtig, weil die Anfragen oft spontan reinkommen und es schnell gehen muss.“

Foto: Neven Allgeier

Das Gewusel da draußen hilft mir dabei, mich bei der Arbeit zu entspannen.

Tatjana Prenzel

Prenzel breitet einige ihrer Arbeiten vor uns auf dem Tisch aus: Illustrationen zu Tanztheaterstücken, die im New Yorker besprochen wurden zum Beispiel. In der New York Review of Books ist Prenzel für das Bebildern von Buchbesprechungen zuständig. Eine ihrer jüngsten Illustrationen zeigt ein Porträt der Österreichischen Autorin Marlen Haushofer, die in der Romanwelt ihres bekanntesten Buches „Die Wand“ steht. Im Hintergrund: Eine dichte Reihe von Bäumen, deren Stämme wie Gefängnisstäbe wirken. Außerdem ein zerbrechlich anmutender Hund, im Roman der wichtigste Gefährte der von der Welt abgeschnittenen Protagonistin. Prenzel hat auch schon ein Buchcover gestaltet: Vier Menschen, die in verschiedene Richtungen schauen. Auf den ersten Blick wirken sie alles andere als einander zugewandt. Doch ihre Körper, so wie Prenzel sie gezeichnet hat, verschmelzen zu einer Einheit und zeugen dadurch von einer tiefen Verbundenheit. „All Adults Here“ heißt der Familienroman von Emma Straub. Für den Knesebeck Verlag hat Prenzel gleich ein ganzes Buch mit ihren Illustrationen gefüllt. „Tomate, Fahrrad, Guillotine – Eine kurze Frauengeschichte in 30 Objekten“, geschrieben von Kerstin Wolff.

Foto: Neven Allgeier

Sie arbeitet aber nicht nur für Zeitungen, Magazine und Buchverlage. Sie hat auch schon Motive für Plattencover und T-Shirts entworfen. Für einen Brillenladen der amerikanischen Firma Warby Parker schuf Prenzel großflächige Wandgemälde. Die Vorlage schickte sie als Vektorgrafik per Mail über den Ozean. Vollendet hat die Arbeit dann ein Maler vor Ort. „Das war eine meiner schönsten Aufträge.“ Prenzel geht kurz ins Schlafzimmer und kommt mit einem gerahmten Bild zurück. Es gehört zu einer Serie von freien Arbeiten mit dem Titel „Lockdown Tristesse“, die während der Corona-Zeit entstand. Das Motiv: Eine Frau, die mit melancholischem Geschichtsausruck auf einem Sofa liegt. Auf ihren in eine Decke gehüllten Körper fallen schwere Schatten, die vielleicht von einem Fensterkreuz stammen und die Frau am Aufstehen zu hindern scheinen.

Wie alles begann

Sie könne keine dieser Geschichten erzählen, die davon handeln, wie sie schon als Baby einen Stift gehalten habe, sagt Prenzel. Sie wuchs aber in einer kreativen Familie auf. Ihre Mutter brachte oft kunstvoll gestaltete Kinderbücher mit nach Hause. „Am liebsten mochte ich solche, die nicht so vordergründig pädagogisch sind“, erinnert sie sich. „Wo die wilden Kerle wohnen“ von Maurice Sendak zum Beispiel ist bis heute eines ihrer Lieblingsbücher. Nach ihrem Abi an einer Fachoberschule mit Schwerpunkt Gestaltung studierte Prenzel an der Offenbacher HfG. Ein Auslandssemester an der Haute école des arts du Rhin in Straßburg versetzte sie in einen regelrechten Schaffensrausch. Anders als in Offenbach gab es dort einen Studiengang Illustration mit Kursen in Comic, Buchcovergestaltung und Editorial – also dem Bebildern von Texten. „Mit zehn vollen Skizzenbüchern und tausenden Arbeiten bin ich von dort zurückgekommen.“ 

Foto: Neven Allgeier
Foto: Neven Allgeier

2018 erhielt sie ihr Diplom. Lange Zeit war ihr nicht klar, wie sie sich als freiberufliche Illustratorin am besten aufstellen soll. Prenzel schickte überall ihr Portfolio herum. Nebenbei arbeitete sie als Grafikerin im Frankfurter Haus des Buches. Nach einem halben Jahr kamen die ersten Aufträge. Nach einem weiteren halben Jahr meldete sich schließlich die New York Times. „Das war ein krasser Push. Da habe ich gemerkt: Mein Stil funktioniert anscheinend. Also habe ich mich getraut, noch weiter Akquise zu machen.“ Es folgten Aufträge für die ebenfalls international renommierte Washington Post und den Guardian. Auch für das SCHIRN-MAG hat Prenzel übrigens schon gearbeitet und die Cover für eine Podcast-Reihe über Marc Chagall illustriert. Aktuell sitzt sie an drei Illustrationen, ihr Beitrag zu einem Buchprojekt, das zum Zeitpunkt unseres Besuchs noch nicht ganz spruchreif ist, weshalb hier leider keine Details verraten werden können. Außerdem hat sie ein eigenes Kinderbuch geschrieben und gezeichnet. Wann und wo es veröffentlicht wird, ist noch unklar. „Es geht um ein Mädchen, das Angst vor der Dunkelheit hat. Die Schatten auf dem Boden fangen an, sich zu bewegen. Sie verwandeln sich in Figuren, die das Mädchen mit auf eine nächtliche Reise nehmen.“

Foto: Neven Allgeier

Tatjana Prenzel

Alle News und Infos auf Instagram

Follow here