Folge 3 des vierteiligen 069 x THE CULTURE Specials: Breaking ist dieses Jahr olympisch. Fatima Yazici trainiert B-Girl Jilou, Hoffnungsträgerin des deutschen Nationalkaders. Wir haben uns mit ihr an der Hauptwache getroffen, die früher ein Hotspot der Frankfurter Breaking-Szene war.
An einem Donnerstagnachmittag sitzen wir am Rand der Skaterbahn an der Frankfurter Hauptwache. Berufspendler*innen auf dem Sprung in den Feierabend sausen an uns vorbei – allerdings ohne Brett unter den Füßen. Früher war der vielleicht zentralste Ort, den die Stadt zu bieten hat, auch ein beliebter Treffpunkt der Breaking-Szene. „Bei gutem Wetter haben wir an der Hauptwache oder der Konstablerwache und manchmal auch am Flughafen trainiert und nebenbei versucht, ein bisschen Geld zu verdienen“, erzählt Fatima Yazici. „An Plätzen, wo viele Passant*innen vorbeikamen, haben wir PVC-Matten ausgerollt, eine Boombox aufgestellt und Straßenshows gemacht.“
Moves von der VHS-Kassette
Weil ihre Eltern es sich damals nicht leisten konnten, sie in einem Verein oder Fitnessstudio anzumelden, waren Jugendhäuser im Ostend und in Bornheim in ihrer Kindheit eine wichtige Anlaufstelle. Im Alter von sechs Jahren begann sie dort mit Kampfsport. Später kamen dann Breaking und verwandte Tanzstile wie Popping, House, Locking und Hip-Hop hinzu. An TikTok oder Youtube war Mitte der Neunziger noch nicht zu denken. „Viele Moves haben wir uns von VHS-Kassetten abgeguckt, die an Ständen auf Jams und Battles verkauft wurden“, erinnert sich Yazici. „Diese Bänder haben wir untereinander weitergereicht. Die besten Stellen waren dann immer total verrauscht.“
Viele Moves haben wir uns von VHS-Kassetten abgeguckt, die an Ständen auf Jams und Battles verkauft wurden.
Als Tänzerin nannte sich Yazici erst Sin Derella, dann Cleopatra. Sie hat an vielen Battles teilgenommen und auch selbst welche veranstaltet. Beim von ihr mitorganisierten Wettbewerb „Catch the Flow“ im Frankfurter Gallus Theater saß 2007 der legendäre Mr. Wiggles in der Jury, Tänzer in der Rock Steady Crew, die als Wegbereiter des Breaking gilt. In einer anderen berühmten New Yorker Gruppe aus den Anfangstagen des Breaking, den Mighty Zulu Kingz, wurde Yazici später übrigens selbst Mitglied. Alien Ness, Präsident der in den Siebzigerjahren gegründeten Crew, hatte zuvor nach neuen Anwärter*innen Ausschau gehalten.
Ihre Breaking-Aktivitäten hatte Yazici, die inzwischen in Berlin wohnt, eine Zeit lang auf Eis gelegt. „Mein Motto ist: Always a Student“, sagt sie. Sich weiterzuentwickeln, sich immer wieder neue Ziele setzen, das ist ihr wichtig. Deshalb hat sich die ausgebildete Trainerin im Profisport immer wieder neue Bereiche erschlossen: Als Mental-Coach betreut sie das American-Football-Team Berlin Thunder. Bei der Kampfsport-Organisation ISKA ist sie Nationaltrainerin für die Disziplinen Grappling und MMA. Außerdem unterrichtet sie an der MetFilm School, einer privaten Hochschule, als Stunt-Dozentin.
Breaking spielt seit einigen Jahren wieder eine größere Rolle in Yazicis Leben. Das liegt nicht zuletzt an einer ganz besonderen Athletin, die sie als Trainerin betreut: Sanja Jilwan Rasul alias „Jilou“ gilt als eine der besten B-Girls des Landes und gehört zum deutschen Olympia-Kader. Der Kader wurde erst vor wenigen Jahren vom Deutschen Tanzsportverband (DTV) aufgebaut, der seinen Sitz in Frankfurt hat. Als langjährige Trainerin von Jilou, unterschrieb Yazici im vergangenen Jahr einen Vertrag beim DTV, um ihre Athletin optimal unterstützen zu können.
Breaking ist olympisch
Breaking wird dieses Jahr in Paris das allererste Mal als Disziplin bei den Olympischen Spielen vertreten sein. Als eine von zwei deutschen Athletinnen hat Jilou die Chance, sich zu qualifizieren. Die entscheidenden Wettkämpfe finden im Mai und im Juni in Shanghai und in Budapest statt. Anders als zum Beispiel beim Kunstturnen, können die Athlet*innen nicht einfach eine vorbereitete Choreographie abspulen. Gebattlet wird freestyle. Über die Musikauswahl, zu der getanzt wird, bestimmt ein DJ.
Kreativität, Persönlichkeit, Technik, Abwechslung, Performativität und Musikalität. Diese sechs Kriterien sind für die Jury entscheidend. „Bei Battles, die im Hip-Hop-Kontext stattfinden, kommt es schon mal vor, dass die Jury ihr Urteil nicht so genau begründet. Auch solche Battles haben völlig ihre Berechtigung. Es gibt auch Tänzer*innen, die Breaking nicht in erster Linie als Sport betrachten, sondern vor allem die Hip-Hop-Kultur lieben, als deren Teil es entstanden ist. Wer Breaking jedoch als Leistungssport betreibt, muss auch die besondere Struktur akzeptieren, die das mit sich bringt. Und die speziellen Kriterien, nach denen hier gejuged wird.“
Yazici sieht – auch dank Olympia – eine große Zukunft für Breaking, die sie sich auch für ihre zweite Leidenschaft MMA wünscht. „Ich mag das Offensive, Kompetitive und den Adrenalinkick, der dich aus der Komfortzone pusht.“ Das gelte für beide Sportarten, sagt Yazici. Früher gab es kaum Frauen in der Breaking-Szene, erzählt sie. Das habe sich inzwischen geändert, auch wenn die Männer noch immer in der Mehrzahl sind. Wir laufen durch die B-Ebene der Hauptwache und reden darüber, was sich hier seit Yazicis Frankfurter Zeit alles verändert hat. „Dort hinten, in der alten Zeilgalerie, habe ich während meiner Schulzeit im Hip-Hop-Laden ‚New Styles‘ gejobbt und Klamotten und Mixtapes verkauft“, sagt Yazici und deutet zeilabwärts.
An Plätzen, wo viele Passant*innen vorbeikamen, haben wir PVC-Matten ausgerollt, eine Boombox aufgestellt und Straßenshows gemacht.
Wenn ihre Zeit es erlaubt, unterrichtet Yazici noch immer einmal pro Woche in einem Berliner Jugendzentrum. „Ich möchte der Szene etwas zurückgeben – und zwar auf eine nicht-kommerzielle Weise“, sagt sie. „Es gibt viele Bereiche, in denen man sich mit einer Breaking-Vergangenheit verwirklichen und vielleicht sogar eine Karriere aufbauen kann. Ich hoffe, dass ich kommenden Generationen mit meinem Beispiel eine Inspiration sein kann.“