Folge 1 des vierteiligen 069 x THE CULTURE Specials: In den Neunzigerjahren wurde Fuego Fatal eine Szenegröße des Graffiti-Writings. Heute bietet er mit seiner Agentur „Studio Fatal“ Graffiti-Kurse an, veranstaltet Street-Art-Touren und realisiert Auftragsarbeiten.

Ein langgestreckter Fachwerkbau flankiert einen Garten, der von hohen Mauern umgeben ist. Talentierte Graffiti-Artists haben hier großflächige Wandgemälde angebracht. Unter einem Dachvorsprung prangt ein sogenanntes Rooftop-Graffiti von Zorin, das einige Kletterkünste erfordert. Hombre hat einen seiner comicartigen Charakterköpfe beigesteuert, für die er bekannt ist. Von der Newcomerin Nein 385 stammt ein zähnefletschender Pitbull. „Meine Hall of Fame“, kommentiert Fuego Fatal. Zwischen zwei noch winterlich kahlen Bäumen ist eine transparente Folie gespannt, die Neulingen als Übungsfläche dient. Wir befinden uns im Hauptquartier der Agentur „Studio Fatal“, mitten im Frankfurter Stadtteil Oberrad. Fuego bietet hier Graffiti-Kurse an, veranstaltet Street-Art-Touren und realisiert Auftragsarbeiten.

Jugendliche machen etwas, das andere Jugendliche sehen, die es dann besser machen wollen. Das ist der kreative Motor. So funktioniert Hip-Hop.

Fuego Fatal

Er verschwindet kurz im mittleren der drei Räume, in dessen Fenster ein Schild mit der Aufschrift „Café Fatal“ liegt, und kommt mit drei Kaffeetassen auf einem Tablett wieder heraus. Im vordersten Raum setzen wir uns auf ein Sofa. Mit den Worten „Improvisation ist genau mein Flavour“ rückt Fuego eine Kiste zurecht und nimmt darauf Platz. Auf einer Kleiderstange hängen T-Shirts von Fuegos Streetwear-Label „Stoff aus Frankfurt“. Hinter einem kleinen Tresen werden Stifte und Sprühdosen verkauft. In einem Regal stehen Bildbände zum Thema Graffiti und das Modell einer alten S-Bahn. Das Ambiente wirkt wie ein Mix aus Museumsshop und gemütlichem Wohnzimmer.

Hip-Hop ist sein kreativer Motor

Fuego hat aus Graffiti ein Business gemacht. Auch wenn er dabei überhaupt nicht wie ein kühler Geschäftsmann agiert. „Ich verstehe mich als Mittler und Botschafter von Hip-Hop und bin jemand, der das auch wirklich gelebt hat.“ Ende der Achtzigerjahre entdeckte Fuego, der mit bürgerlichem Namen Jorge Labraña heißt, im Jugendhaus „Am Bügel“ im Frankfurter Stadtteil Bonames die Graffiti-Kultur für sich. „Jugendliche machen etwas, das andere Jugendliche sehen, die es dann besser machen wollen. Das ist der kreative Motor. So funktioniert Hip-Hop. Und so hat es auch bei mir funktioniert.“

Fuego Fatal, Foto: Neven Allgeier

Von Tags (Unterschriften) über Throw-Ups (blasenförmige Buchstaben) bis hin zu Pieces (Bilder) entwickelte er seinen Stil immer weiter. Fuego machte sich in der Szene einen Namen. „Das war harte Arbeit und hat ungefähr fünf Jahre gedauert“, erzählt er. In den Neunzigerjahren wurde Fuego Teil der Crew Nordmassiv, die auf Brückenpfeilern, Hauswänden und in U-Bahnschächten ihre Spuren überall im Stadtgebiet hinterließ. Zum Kollektiv gehörten mehrere Musiker, auch Fuego betätigte sich als Rapper. Als Nordmassiv Anfang der Nullerjahre ihr erstes Album „Schlachtplatte“ herausbrachte gingen Kunst und Musik Hand in Hand: Mit Hilfe von Sprühdosen und Schablonen wurde jedes Cover der auf 1000 Exemplare limitierten Platte in ein Unikat verwandelt.

Der Regel­bruch und die Grenz­über­schrei­tung gehö­ren in der Kunst manch­mal dazu. Das hat es immer schon gege­ben.

Fuego Fatal
Artist: PENG, Foto: Neven Allgeier

„Graffiti findet im öffentlichen Raum statt, fragt nicht um Erlaubnis, sondern macht“, sagt Fuego. Legale Flächen, wie heute zum Beispiel am Ratswegkreisel oder unter der Friedensbrücke, gab es damals so gut wie keine. „Ich finde, dass unerlaubtes Graffiti absolut seine Berechtigung hat, auch wenn ich das inzwischen nicht mehr mache. Der Regelbruch und die Grenzüberschreitung gehören in der Kunst manchmal dazu. Das hat es immer schon gegeben.“ Andererseits beweist gerade Fuego immer wieder, dass Graffitis auch ohne den Reiz des Verbotenen nicht harmlos und gefällig sein müssen. Vor einigen Jahren hat er auf einen Bauzaun vor der EZB den kapitalismuskritischen Slogan „Divided by Luxury“ gesprüht. Daneben den Kopf einer jungen Frau, die Stirn in fast andächtiger Pose gegen eine Pistole gelehnt, deren Lauf in den Himmel zeigt.

Der Weg bis zur Selbstständigkeit

„Graffiti war für mich immer schon mehr als ein Hobby“, sagt er. „Es hat aber über zwanzig Jahre gedauert, bis ich daraus einen Beruf gemacht habe.“ Nach dem Abi begann er eine Ausbildung zum Werbekaufmann. „Bald habe ich gemerkt, dass es nicht meiner Vorstellung von Kreativität entspricht, Logos kleiner und größer zu machen. Weil ich immer schon ein Faible für Schrift und Sprache hatte, bin ich schließlich Texter geworden.“ Nach jahrelanger Arbeit für verschiedene Agenturen machte er sich 2018 selbständig. Zunächst begab er sich unter das Dach des Künstlerhauses Atelier Frankfurt, in dem er noch heute einen Raum hat. 2023 richtete er sich hier auf dem Gelände in Oberrad ein. Fuego wohnt mit seiner Familie gleich um die Ecke. „Ein Glücksfall“, sagt er – auch wenn der Mietvertrag für das „Studio Fatal“ auf zwei Jahre befristet ist.

Foto: Neven Allgeier

Fuego greift zum Handy, mit dem er seine – naturgemäß oft flüchtigen – Arbeiten vor dem Vergessen bewahrt. Ein Foto zeigt bunte Lettern auf einer Wand im Atelier Frankfurt, die den Satz „Alles was du siehst, ist nicht alles, was ich bin“, ergeben. Mit Hilfe von Spraydosen verwandelte er den Spruch während einer rund dreistündigen Performance in eine buchstäbliche hintergründige Wahrheit, indem er ihn hinter einem riesigen Auge verschwinden ließ. Ein anderes Foto zeigt ein Gastroschiff auf dem Main, das neben dem Eisernen Steg ankert. Fuego hat dort im Auftrag einer bekannten Biermarke ein Graffiti angebracht. Es folgt das Foto eines lebensechten Adlerkopfes, der auf einem Garagentor prangt. Auftraggeber war ein Fan der Frankfurter Eintracht. Auch Fuego ist der Eintracht eng verbunden. Einige Zeit war er an der Seite von Caser Nova als Rapper aktiv, der wohl bekannteste Song der beiden heißt „Frankfurter Jungs“ und gehört inzwischen fest zur Fankultur des Vereins.

Auf der Wiese vor dem Fenster blühen die ersten Schneeglöckchen und Krokusse des Jahres. Im vergangen Sommer ist Fuego Vater von Drillingen geworden. „Das ist im Moment mein größtes Abenteuer. Und auch der Grund dafür, warum ich eher selten zum Malen komme.“ Kommenden April will er im „Backyard Paradise“ – so nennt er seinen Garten – seinen 50. Geburtstag feiern. Vorher soll die Open-Air-Galerie, die er dort betreibt, noch einmal umgestaltet werden. Alle sechs Monate sind neue Motive auf den Mauern geplant. „Damit es immer wieder einen guten Grund gibt, mich hier zu besuchen.“

Foto: Neven Allgeier

Studio Fatal

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