Die Frankfurter Drag Queen Electra Pain tritt (normalerweise) regelmäßig in Clubs auf, im Lockdown wurde sie zum TikTok-Star. Dabei versteht sich vor allem auch als Botschafterin für mehr Vielfalt.

Ein Mehrfamilienhaus mitten in Bornheim. Auf dem Klingelschild unten auf der Straße prangt Daniels bürgerlicher Nachname, doch oben an der Wohnungstür im ersten Stock empfängt uns die Drag Queen Electra Pain – eine schillernde Kunstfigur im regenbogenfarbenen Showkleid. Dazu trägt sie Overkneestiefel mit Plateausohlen und eine knallgelbe Kunsthaarperücke. Ihre Erscheinung ist ein Lichtblick an diesem grauen und verregneten Samstagvormittag.

In Daniels Wohnzimmer nimmt Electra viel Raum ein: Der halbgeöffnete Kleiderschrank gibt den Blick auf High-Heels und glitzernde Kostüme frei. Viele der Outfits wurden im Ausland maßgeschneidert. Auf einem Highboard neben dem Fenster reihen sich Styroporköpfe aneinander, auf denen gestylte Perücken sitzen. Mitten im Zimmer steht ein Stativ, auf das ein LED-Ringlicht montiert ist, wie es viele Web-Video-Produzent*innen zum Ausleuchten ihrer Social-Media-Arbeitsplätze verwenden. In der Mitte befindet sich eine Handyhalterung. Die Kamera ist auf einen Glitzervorhang an der Wand gerichtet, vor dem ein runder Tisch steht. Auf ihm liegen Make-up-Tiegel, Pinsel und falsche Wimpern.

„Normalerweise trete ich in Bars, Clubs und Theatern auf. Wegen Corona läuft bei mir momentan aber alles online“, erzählt Electra. Über 240.000 Follower hat sie auf TikTok. Regelmäßig postet sie lustige Verwandlungsvideos, in denen Daniel – zum Beispiel nach einem Fingerschnipsen ­– plötzlich als Electra erscheint. In Wirklichkeit dauert eine solche Metamorphose schon mal bis zu drei Stunden. „Zwei Stunden für Make-Up. Eine Stunde für Kleidung, Haare, Wimpern und Nägel.“

Zwei Stun­den für Make-Up. Eine Stunde für Klei­dung, Haare, Wimpern und Nägel.

Electra Pain
Foto: Neven Allgeier

Immer wieder beantwortet Electra auf ihren Social-Media-Kanälen auch Fan-Fragen. Lustiger Nonsens wie „Warum existiert Hogwarts nicht?“ wechselt sich ab mit ernsthaften Themen – etwa: „Wie verkraftet man am besten eine Trennung?“. Die Aufmerksamkeit, die Electra zuteilwird, möchte sie nutzen, um für Vielfalt zu werben und queeren Themen mehr Raum zu geben. In letzter Zeit wird sie immer öfter von namhaften Konzernen wie Douglas, Netflix oder Amazon für Werbekooperationen engagiert. „Diversität ist in aller Munde und ich finde es super, dass immer mehr Firmen Wert darauf legen. Die Leute sollen sehen, wie bunt die Welt ist.“

Während andere Drag Queens mit Gesang oder Comedy punkten, steht bei Electras Shows der Tanz im Mittelpunkt. Aber auch Videoinstallationen und Knalleffekte wie Konfettikanonen und Feuerwerk kommen zum Einsatz. Daniel wuchs auf dem Land in der Nähe von Fulda auf. „Früher habe ich mich in meinem Kinderzimmer eingeschlossen, um zur Musik von Britney Spears, DJ Bobo oder den Vengaboys zu tanzen. Nicht einmal meine Eltern durften das sehen, weil ich mich auf eine Weise bewegt habe, die gemeinhin als weiblich gilt. Dafür habe ich mich geschämt – und gleichzeitig davon geträumt, der Welt zu zeigen, was ich kann und was mir Spaß macht.“ Mittlerweile ist er froh, dass er das Versteckspiel hinter sich hat.

Früher habe ich mich in meinem Kinder­zim­mer einge­schlos­sen, um zur Musik von Brit­ney Spears, DJ Bobo oder den Venga­boys zu tanzen.

Electra Pain
Foto: Neven Allgeier

Vor rund acht Jahren zog Daniel, der inzwischen offen schwul lebt, nach Frankfurt und fand Anschluss an eine lebendige LGBTQI+-Szene. „Das ‚Pulse‘ in der Bleichsstraße war damals unser Wohnzimmer. In dem Club bin ich zum ersten Mal Drag Queens begegnet. Ich war fasziniert davon, wie stark und selbstbewusst sie sich gaben und dachte nur: Wow, das ist es! So möchte ich auch sein.“ Daniel ließ sich von einer Freundin schminken, war als Drag Queen zunächst Gast und bald darauf glamouröser Mittelpunkt von Partys. Clubbetreiber wurden auf ihn aufmerksam und engagierten ihn.

Inzwi­schen wird sie mit ihren Shows in ganz Deutsch­land gebucht

Den Namen Electra legte er sich zu „weil er tough und selbstbewusst klingt. Als Daniel bin ich im Alltag eher schüchtern.“ Pain steht für die Schmerzen, die es ihm anfangs bereitete, auf High-Heels zu laufen. 2016 nahm Electra am renommierten Drag-Contest „Diva Deluxe“ teil – und gewann. Für den Sieg gab es eine Krone mit Glitzersteinen, die nun ganz oben auf dem Wohnzimmerregal thront. Außerdem ein Auftritt beim Frankfurter Christopher Street Day auf der Hauptbühne an der Konstablerwache. Inzwischen wird Electra mit ihren Shows in ganz Deutschland gebucht.

Foto: Neven Allgeier

Daniel hat Drag als Teil einer queeren Szene kennengelernt, als ein kunstvolles Spiel mit Geschlechterrollen, als Möglichkeit „weiblich“ gelesene Verhaltensweisen auszuleben. Dank erfolgreichen TV-Formaten wie „RuPaul‘s Drag Race“ und Heidi Klums „Queen of Drags“ ist Drag innerhalb der vergangenen Jahre im deutschen Mainstream angekommen. Daniel begrüßt diese Entwicklung. „Es ist toll, wenn sich auch Leute außerhalb der Szene für unsere Kunst und unsere Geschichten interessieren.“

Seit rund zwei Jahren finanziert Electra sich gewissermaßen selbst. „Um in immer wieder neue Outfits und Accessoires zu investieren, musste ich früher regelmäßig drauflegen“, erzählt Daniel. Seine Backgroundtänzer rekrutierte er bis vor kurzem noch aus dem Freundeskreis. Mittlerweile beschäftigt er Profis. Daniel hat einen ziemlich bürgerlichen Bürojob bei der Stadt Frankfurt. Demnächst will er die Arbeitszeit reduzieren, um mehr Zeit für Electra zu haben. Die Web-Videos, die zwar kurz aber aufwendig sind, werden bislang meist am Wochenende für die folgende Woche vorproduziert. Mit einer Kollegin zusammen sollte Electra dieses Jahr eine Show auf einem Kreuzfahrtschiff auf dem Rhein bestreiten. Ob und wann es losgeht, ist wegen Corona noch unklar. „Ich finde es toll, dass man mit Social-Media inzwischen genausoviel Geld verdienen kann wie mit Bühnenauftritten“, sagt sie. „Trotzdem fehlt mir die Interaktion mit dem Publikum. Electra ist eine Rampensau.“

Foto: Neven Allgeier

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